Gastbeitrag: Auslandseinsätze der Bundeswehr: Weniger, kleiner, bescheidener
Die Bundeswehr ist eine Armee im weltweiten Einsatz. Das wird auch so bleiben. Aber Zahl, Umfang und Ziele werden sich dramatisch ändern, wie Markus Kaim von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik analysiert.
Die deutsche Politik hat mittlerweile mehr als zwanzig Jahre Erfahrung mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Die bislang 28 abgeschlossenen und laufenden Missionen haben dabei sehr unterschiedliche Aufgaben umfasst – von der Reform des Sicherheitssektors in der Demokratischen Republik Kongo über die Pirateriebekämpfung im Indischen Ozean bis zur Unterstützung der afghanischen Regierung bei der Gewährleistung von Sicherheit und der Bekämpfung von Aufständischen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Diese Einsätze haben das außenpolitische Selbstverständnis der Bundesrepublik erheblich beeinflusst, das bis zu Beginn der 90er Jahre von dem Konsens getragen war, dass die Anwendung militärischer Gewalt nur zur Bündnis- und Landesverteidigung eingesetzt werden dürfe. Akzeptabel für weite Teile der Bevölkerung wurde diese ohnehin restriktive Anwendung nur durch die zusätzliche Annahme, dass angesichts des Systems der nuklearen Abschreckung die Möglichkeit eines konventionellen deutschen Militäreinsatzes eher unwahrscheinlich war.
Konkret betraf der dann einsetzende Wandel die Fragen nach dem Beitrag Deutschlands zur Gewährleistung der internationalen Sicherheit, nach der multilateralen Einbettung deutscher Sicherheitspolitik und schließlich die Frage, von wem und zu welchem Ziel die Bundesregierung zur Anwendung militärischer Gewalt autorisiert wird. Trafen die veränderten Anforderungen der Weltpolitik die „alte“ Bundesrepublik zu Beginn der 90er Jahre noch recht unvermittelt, entwickelte sich in diesem Jahrzehnt in der politischen Elite eine wachsende Bereitschaft, sich an internationalen Einsätzen, die von der Nato, der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen geführt wurden, zu beteiligen. Diese Bereitschaft speiste sich aus einer Reihe von Konflikten der Weltpolitik, mit denen die Bundesrepublik konfrontiert war, zum Beispiel die Zerfallskriege Jugoslawiens oder die Terroranschläge vom 11. September 2001. Daneben wirkte als Treiber die Zuversicht, dass die internationale Gemeinschaft mit solchen Einsätzen nicht nur kurzfristig militärisch, sondern mittel- und langfristig auch politisch erfolgreich sein könne. Die beiden heute noch größten Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan und im Kosovo reichen in diese Phase zurück. Eine Reihe von Gründen lassen vermuten, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr in den kommenden Jahren nicht verschwinden, aber sich erheblich verändern werden, was ihren Umfang und ihre Ziele betrifft.
Ein erster Grund ist die „Krisenstabilität“ der internationalen Politik. Die deutsche Sicherheitspolitik wird auch zukünftig mit Konflikten konfrontiert werden, die eine Bedrohung der internationalen und möglicherweise der deutschen Sicherheit darstellen. Dabei kann es sich um „traditionelle“ zwischenstaatliche Kriege handeln, aber auch um innerstaatliche Konflikte, die gewaltsam ausgetragen werden, zum Beispiel Bürgerkriege entlang politischer, ethnischer oder religiöser Bruchlinien. Zumeist wird ein möglicher Bundeswehreinsatz jedoch nicht dadurch ausgelöst werden, dass deutsche Interessen betroffen sind, sondern häufiger durch humanitäre Erwägungen, das heißt wenn eine Konfliktpartei gewaltsam gegen die Bevölkerung vorgeht beziehungsweise vorzugehen droht und dabei Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen oder andere Straftatbestände des Völkerstrafrechts erkennbar werden beziehungsweise zu befürchten sind. Die Nato-Einsätze im Kosovo 1999 und in Libyen 2011 sind Beispiele dafür. Gegenwärtig illustriert die Diskussion um einen internationalen Militäreinsatz in Syrien diese Herausforderung, sie illustriert zugleich ein legitimatorisches Problem, das mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr und ihren Begründungen verbunden ist – das der möglicherweise doppelten Standards: Warum interveniert die internationale Gemeinschaft in dieser Krise, in einem ähnlichen Konflikt jedoch nicht? Die Frage eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr war und ist eine politische Entscheidung, bei der eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle spielt, und die sich einer generalisierenden Betrachtung entzieht.
Ein zweiter Grund sind die Selbst- und Fremderwartungen an die Bundesrepublik als einer sicherheitspolitischen Mittelmacht mit globaler Verantwortung. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitiker haben in den vergangenen Jahren immer wieder betont, dass die Bundesrepublik aufgrund ihrer eigenen Interessen größere Verantwortung für die internationale Sicherheit zu schultern bereit sei, so zum Beispiel in den Verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Jahr 2011 oder in den Begründungen für die nicht-ständige Mitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat in den Jahren 2011 bis 2012. Damit haben sie nicht nur einem veränderten Selbstverständnis deutscher Sicherheitspolitik Ausdruck verliehen, sondern auch bei anderen Regierungen Erwartungen geweckt, die nunmehr von diesen verstärkt an die Bundesrepublik herangetragen werden. Berücksichtigt man zudem, dass die Führungsrolle, die der Regierung Merkel bei der Bewältigung der europäischen Finanz- und Schuldenkrise zugewachsen ist, von den Verbündeten nunmehr auch in anderen außenpolitischen Feldern gefordert wird, so wird offensichtlich, dass zukünftige Bundesregierungen sich Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht werden vollständig entziehen können.
Andererseits beschränkt auch eine Reihe von Faktoren die deutsche Sicherheitspolitik darin, die Auslandseinsätze der Bundeswehr in den kommenden Jahren in Form und Umfang einfach fortzuführen.
Die skizzierte Phase der Interventionszustimmung in der politischen Klasse und der Öffentlichkeit der 90er Jahre ist vorbei und hat einer Interventionsmüdigkeit Platz gemacht, die vor allem die Frage betrifft, welche Ziele mit einem solchen multilateralen Militäreinsatz erreicht werden können. Häufig sind diese Einsätze in einer kurzfristigen Perspektive militärisch ein Erfolg. Ob jedoch mittel- und langfristig die angestrebten deutschen und europäischen Ordnungsvorstellungen umgesetzt werden können, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das Ergebnis waren beziehungsweise sind Auslandseinsätze, die scheinbar kein Ende nehmen und Einsätze, die bereits kurze Zeit nach ihrem Abschluss als politisch erfolglos bewertet werden müssen.
Hinzu tritt eine Innenwende deutscher und europäischer Außenpolitik: Aufgrund der Auswirkungen der europäischen Finanz- und Schuldenkrise haben sich die Prioritäten deutscher Politik verschoben. Die politische Umgestaltung des europäischen Integrationsprozesses und die Bewältigung der haushaltspolitischen Lasten genießen größere Aufmerksamkeit als die Gestaltung der internationalen Sicherheit und das globale Krisenmanagement. Angesichts dessen gibt es auf absehbare Zeit keine Mehrheiten für weitere große Auslandseinsätze, die als teuer, wirkungslos und daher verzichtbar wahrgenommen werden.
Schließlich beschränken auch die finanziellen Rahmenbedingungen deutsches und europäisches Handeln. Zwar ist der deutsche Verteidigungshaushalt im Vergleich zum Vorjahr noch leicht gestiegen. Damit ist die Bundesrepublik im europäischen Vergleich aber eine Ausnahme. Nach einschlägigen Prognosen werden die Verteidigungshaushalte der EU-Staaten inflationsbereinigt von 220 Milliarden Euro bis 2020 um bis zu 70 Milliarden schwinden. Dadurch werden viele Partner ihre Fähigkeit reduzieren müssen, an internationalen Einsätzen teilzunehmen, oder diese ganz verlieren. Werden damit die EU, die UN und die Nato als Ganzes weniger handlungsfähig, wird sich auch Deutschland wohl weniger an Auslandseinsätzen beteiligen. Das Ergebnis werden weniger und kleinere Auslandseinsätze der EU, der Nato und der UN unter Beteiligung der Bundeswehr sein. Vor allem wird sich ihre Funktion ändern: Zielten frühere Missionen auf die grundlegende Umgestaltung einer staatlichen Ordnung nach dem Ende eines Konfliktes, zum Beispiel in Afghanistan, wird es nunmehr um Einsätze gehen, die einzelne Regierungen befähigen, sicherheitspolitische Herausforderungen selbstständig zu bewältigen. In diesem Sinne weist die deutsche Beteiligung an den EU-Trainingsmissionen für Somalia und den Mali den Weg für die kommenden Jahre.
Der Autor ist Sicherheitsexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.
Markus Kaim