Berühmte Dissidentin: Aung San Suu Kyi - Zurück im alten Kampf
Birmas berühmte Dissidentin Aung San Suu Kyi ist nach siebeneinhalb Jahren aus dem Hausarrest entlassen worden und hat sich ihren Anhängern gezeigt. Tausende feierten die Friedensnobelpreisträgerin vor ihrem Haus.
Um Punkt zwölf mahnen Gongschläge zur Ruhe auf der Straße, da strömen noch immer Menschen herbei, Junge und Alte, Studenten und Mönche, Männer und Frauen, obwohl Verkehrspolizisten in weißen Uniformen die Zufahrten längst gesperrt hatten, so dass sich in den Nebenstraßen der Verkehr staut wie in der Woche zur Rushhour.
Tausende Menschen sind gekommen, an diesem Sonntag, in die West Shwe Gone Daing Road, zur Parteizentrale der „Nationalliga für Demokratie“, der NLD. Sie sitzen auf dem Pflaster, hängen in den Bäumen, hocken am gegenüberliegenden Hang. Es ist eng, es wird gedrängelt, aber alle versuchen, aufeinander acht zu geben, jeder hält seinen Nebenmann mit einem Lächeln fest, damit nicht alle übereinandertaumeln. Ein Geschäftsmann verteilt gratis Wasserflaschen. Die werden sie brauchen. Denn nun schließen die Menschen auch noch ihre Schirme, die sie gegen die glühende Sonne dabeihaben, damit die Sicht frei wird. Trotzdem wollen sich nicht alle setzen. Immer wieder bekommt einer Angst, er könnte nicht genug sehen, springt auf. „Hinsetzen, hinsetzen“, ruft dann die Menge schon etwas erschöpft. Und auch Maw Thein bekommt fast keine Luft mehr.
Er ist Ende 50, ein schmaler Mann, dem sein Longyi und das Hemd längst am Körper kleben. Er hält in einer Hand seine Tasche fest, in der anderen eine der Wasserflaschen, die der Geschäftsmann verteilt hat. Ohne die wäre er vielleicht schon umgefallen. Und das darf nicht sein.
Maw Thein war auch am Vortag auf der Straße gewesen. Da stand er vor einem Haus in der University Avenue am Inya-Lake, mit vielleicht 2000 anderen Menschen. Bis um fünf Uhr nachmittags. Dann gab er auf. 20 Minuten zu früh.
„Um 20 nach fünf haben sie die Barrikaden weggeräumt“, sagt er und hebt hilflos die Arme. Da war er nicht mehr dort, dabei wollte er seine Heldin unbedingt so schnell wie möglich sehen. Das hat er immer so gehalten. Und es war immer nicht ungefährlich.
Seine Heldin. Die verehrte Lady. Aung San Suu Kyi. Seit 1991 Friedensnobelpreisträgerin. Seit 1989 mit Unterbrechungen eingesperrt in ihrem Haus. Am Sonnabend durfte sie zum ersten Mal seit 2003 wieder vor die Tür treten, rollte die Polizei den ausgelegten Stacheldraht zusammen. Am Sonntag dann war sie das erste Mal seit sieben Jahren auch wieder in der Stadt unterwegs. Sie hatte einen Auftritt angekündigt vor der Parteizentrale. Und es sind auch diejenigen dem Ruf gefolgt, die sich am Vortag noch nicht getraut hatten, weil sie nicht von den Geheimdienstmitarbeitern gefilmt werden wollten, um vielleicht anschließend im Gefängnis zu landen.
Aung San Suu Kyi, Jahrgang 1945, Tochter eines Generals, der für die Unabhängigkeit Birmas kämpfte und ermordet wurde, als seine Tochter erst zwei Jahre alt war. Verheiratet in Oxford, Großbritannien. Mit ihrem Mann, dem britischen Tibetforscher Michael Aris, habe sie die Abmachung gehabt, dass er sie nicht aufhalten werde, wenn ihr Land sie eines Tages brauche, hatte sie vor Jahren geschrieben. Zur Aktivistin für die Demokratie wurde sie dann 1988, als sie nach Birma zurückkehrte, um ihre todkranke Mutter zu pflegen. Kurz nach den blutig niedergeschlagenen Studentenunruhen im selben Jahr wandte sie sich zum ersten Mal in einer großen Rede an ihr Volk, wurde im Juli 1989 erstmals unter Hausarrest gestellt. Die Wahlen 1990, die ihre Partei NLD mit gut 80 Prozent gewann, erkannten die Generäle nie an.
Die folgenden Jahre über ließen die Generäle Aung San Suu Kyi immer mal wieder unter Auflagen aus dem Gefängnis, fanden aber immer auch wieder Vorwände, um sie erneut einzusperren. Für sie hieß das auch die Trennung von ihrem Mann und ihren beiden Söhnen. Als Michael Aris 1999 im Sterben lag, erhielt er kein Visum für Birma – und sie wollte nicht ausreisen, weil sie fürchtete, nicht zurückkehren zu dürfen.
Am vergangenen Wochenende hatten die Generäle nun eine neue Wahl inszeniert, die erste seit 1990, in deren Vorfeld freilich die Weichen zur Machtsicherung bereits gestellt waren. Der Wahltag selbst lief ruhig, doch im Laufe der Woche wurde klar, dass massiv zugunsten der Partei der Generäle, der USDP, manipuliert worden war.
Am vergangenen Freitag dann gab das staatliche Fernsehen mit steifen Bildern von einem Funktionär an einem Tisch bei Suu Kyi deren Freilassung bekannt.
Was das genau heißt, darauf weiß im Moment wohl niemand eine Antwort. Ihrer Regierung trauen die meisten Birmanen jedenfalls nichts Gutes zu.
Es geht inzwischen auf halb eins zu, da spannt sich Maw Theins Körper plötzlich. Endlich kann er sie sehen, jedenfalls ausschnittsweise, seine verehrte Lady, für ihn ist sie die eigentliche Regierung, die Generäle zählen nicht.
Er hat es nicht bis ganz vorne geschafft. Er sieht mal einen Teil ihres blaugrünen Longyi-Kostüms, mal den Strauß gelber Blumen im linken Arm, mal blitzt auch ihr schmales Gesicht durch eine Lücke im Gedränge. Dann beginnt sie zu reden, und Maw Thein, der das Gefühl hat, kein Wort zu verstehen, ist glücklich.
Noch glücklicher sind die, die früh da waren, die ganz vorne sitzen. Sie haben freien Blick auf Aung San Suu Kyi. Da steht sie nun also, und es ist, als träfen sie eine alte Bekannte, die nur ein paar Tage nicht da war. Wie aus dem Fotoalbum ausgeschnitten steht sie da: erhaben und unnahbar trotz der Nähe. So, wie die Welt sie kennt, an ihrem ersten Tag in Freiheit – laut ihrem Anwalt eine Freilassung ohne Auflagen. Würdevoll die dunklen Haare zurückgebunden, üppige Blüten im Zopf und heute auch eine Kette aus Blumen.
„Aung Suu“, skandiert die klebende und schwitzende Menge, klatscht in die Hände. Mönche halten Digitalkameras in die Höhe, einer hat ein Konterfei von der Lady und ihrem Vater Aung San dabei, dem Nationalhelden Birmas. Nun spricht sie also – und die Menge hofft auf eine Wegweisung von ihr. Immer wieder applaudieren sie, rufen ihren Namen. Was die Lady ihnen sagt: Dass Redefreiheit das Fundament der Demokratie ist, dass sie dafür weiterkämpfen wolle, mit allen demokratischen Kräften zusammen, dass sie im Hausarrest gut behandelt wurde. Und dann fordert sie die Menschen auf: „Sagt mir, was ihr wollt.“ Das Volk konsultieren, so wie sie es immer gemacht hat. Viele junge Leute und auch der alte Maw Thein hatten sich genau das gewünscht. Denn bei aller Verehrung sind sie sich doch nicht so sicher, wie viel ihre ungekrönte Königin in den Jahren der Gefangenschaft von der Welt hier draußen erfahren hat. Ohne Telefon und Internet, informiert allein von ihrem Arzt und einem Kurzwellensender.
Auch so ist die Rede ein bisschen. Der alte und neue Kampf ist das alte und neue Thema. Es ist eine unerhörte Beharrlichkeit, mit der Aung San Suu Kyi sich unentwegt mit der Junta in ihrem Land anlegt, es ist viel Sturheit darin. Die 65-Jährige gilt als konsequent bis zur Unbelehrbarkeit, andere Meinungen akzeptiert sie kaum, soll im Streit sogar Mönche angeschrien haben.
Doch davon wollen Verehrer wie Maw Thein nichts hören. Er erzählt von früher. Während einer ihrer Phasen in Freiheit hielt Aung San Suu Kyi jeden Samstag und Sonntag eine Rede vor ihrem Haus. Natürlich sei es gefährlich gewesen, dort hinzugehen, erzählt er. Seine Familie sah das auch nicht so gerne, also täuschte er sie über sein Ziel. In der Nähe des Hauses von Aung San Suu Kyi sei ein Friedhof, und so habe er der Familie an den Wochenende jeweils erzählt, er müsse zu einer Beerdigung. Irgendwann wurde seine Frau stutzig. So viele sterbende Freunde! Also schickte sie den Sohn hinter dem Vater her. Der staunte über das, was er sah. Das große Haus, die vielen Autos, die Frau mit den Blumen im Haar. Und erzählte abends der Mutter: „Ich habe unsere neue Regierung gesehen, mit ganz vielen Blüten.“ Da wusste die Frau Bescheid.
Maw Thein hofft, dass es nun mit dem Versteckspiel zu Ende sein wird. „Ich hoffe, sie hat eine Idee für jeden Tag“, sagt er nachdenklich, als sich die Menge nach einer gespannten Stunde langsam auflöst. „Bestimmt hat sie das.“
Er trifft Freunde, die auch dort waren, die auch gewartet, geschwitzt und zugehört haben. Die sind weniger optimistisch. „Ich habe so oft gesehen, wie Aung San Suu Kyi am Zaun steht und redet“, sagt ein Freund, ein untersetzter Mann mit wachen Augen. „Sie haben sie immer wieder eingesperrt.“
Nach all den Jahren in Gefangenschaft habe der Tag zwar etwas Historisches. Aber Veränderung? „Unsere Regierung macht Dinge, die kein normaler Mensch verstehen kann“, sagt der Freund von Maw Thein. „Nehmen wir die Wahlen. Die Junta hat alles getan, um sich im Vorfeld ihre Position zu sichern.“ Er guckt gen Himmel: „Aber die Auszählung nach dem Sonntag zeigt, sie sind nicht einmal bereit, eine Portion der Macht abzugeben.“ Wenigstens darauf hatte er gehofft.
Doch die Generäle trauen offenbar nicht einmal den eigenen aufwendigen Vorkehrungen. In der Nacht zu Sonnabend wurden vor den Häusern wichtiger Juntamitglieder massive Polizeikräfte gesehen.
Hatten sie Angst, das Volk könne sich nach der Freilassung von Suu Kyi doch auflehnen?
Sie dürften wissen, dass die Menschen allen Grund dazu haben, hat doch das Militär das einst zu den reichsten Asiens gehörende Land so runtergewirtschaftet, dass es heute zu den ärmsten zählt. Es sitzen auch noch immer gut 2100 andere politische Gefangene ein, und nur Optimisten glauben, dass die bald freikommen. Doch es ist ein Geist aus der Flasche: In den vergangenen Monaten haben immer mehr Menschen gewagt, sich auch in der Öffentlichkeit über die Unzufriedenheit mit ihren korrupten Oberen zu äußern. Sie alle setzen auf Suu Kyi.
Auch Maw Thein hat wieder neue Hoffnung. Immerhin haben sich tausende Menschen versammelt, um die Lady zu begrüßen, und sie wurden nicht auseinandergetrieben. Im Gegenteil. Die Polizei hat die abgesperrte Straße später wieder geöffnet.
Richard Licht
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