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Der Wahlkampf war wenig fokussiert - keine Partei, kein Kandidat und kein Thema dominierten den Wettbewerb um die Stimmen.
© Kay Nietfeld/dpa

Wohin mit dem Kreuz bei der Bundestagswahl?: Augen auf und durch

Es herrscht viel Unentschlossenheit eine Woche vor der Wahl. Wer zu sehr auf Koalitionen starrt statt auf Inhalte, hat ein Problem. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Noch nie waren vor einer Bundestagswahl so viele Wählerinnen und Wähler unentschlossen, für welche Partei sie stimmen werden. Umfragen zufolge ringen noch bis zu 40 Prozent mit sich und den Verhältnissen. Gleichzeitig ist das Interesse an der Wahl hoch wie nie. Die Deutschen schauen in die Kugel, gebannt wie nie zuvor. Aber da lässt sich nur ein buntes, verschwommenes Flackern erkennen.
Was von den Demoskopen an Stimmungen und Meinungen gemessen wird, hat keine eindeutige Richtung.

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Das befördert die Unentschlossenheit. Menschen neigen dazu, sich Kohorten anzuschließen, und zwar gern denen, die Masse haben und Erfolg versprechen. Aber da hat sich keine Partei hervorgetan. Und es hat sich auch kein dominierendes Thema herausgeschält, das den Wahlkampf inhaltlich hätte fokussieren können. Deutschland tritt gerade in eine neue Phase der Demokratie ein, die vielleicht etwas mehr verlangt von Wählern und Gewählten, als frühere Generationen es gewohnt waren. Die Ära der Großkohortenparteien mit ihren Stammwählerschaften (auch Volksparteien genannt) ist schon länger vorbei. Nun hat sich endgültig ein Vielparteiensystem mit seinem bunten Strauß an Angeboten und Möglichkeiten herausgebildet. Wechselwähler sind nichts Neues, auch früher schon konnten sie der entscheidende Faktor sein. Aber nun gibt es – auch angesichts der größeren Auswahl – mehr von ihnen, und ihr Merkmal ist, lange unentschieden zu bleiben.

Viele Parteien, zu wenig Orientierung?

In einem Vielparteiensystem ist Orientierung nicht grundsätzlich schwieriger. Was offenbar vielen Probleme bereitet, ist die Koalitionsfrage. Man möchte das, oder dies nicht. Das Farbenspiel wirkt verwirrend: Ampel, Jamaika, Belgien, Rot-Grün-Rot, selbst die ausgeleierte „Groko“ ist im Spiel, nur andersrum vielleicht, Rot-Schwarz statt Schwarz-Rot.

Was tun? Am besten nicht auf Koalitionen schielen. Was am Ende entsteht, ist ohnehin unkalkulierbar. Aber die Parteien haben ihre Programme und Vorstellungen vorgelegt, das hilft beim Orientieren. Das Personal in den vorderen Reihen, auf das es ankommt, ist nun besser bekannt. Wer Veränderung möchte, hat mehrere Oppositionsparteien zur Auswahl, die andere Akzente versprechen. Es kann mit Rot-Grün-Rot eine deutliche Abkehr von der mitte-fixierten Politik der vergangenen Jahre geben. Oder es kommt zu Varianten der Links-Rechts- Konstellation, eben Ampel oder Jamaika.

Zu sehr auf Koalitionen fixiert

In beiden Koalitionen wären Grüne und FDP prägend. Denn ob nun die SPD oder die Union den Kanzler stellt – sie wirken ausgemergelt und sie werden viele grüne und gelbe Wünsche erfüllen müssen. Käme Rot-Grün-Rot, könnten auch die Linken Ansprüche stellen. Keine Koalition wäre der Untergang der Republik. Und alles, was eine weitere „Groko“ verhindert, wirkt belebend.

Wer sich von der Koalitionsfixierung verabschiedet, von der Furcht, das falsche Bündnis zu befördern, dem fällt das Wählen leichter. Man stimmt für die Partei, für die man genügend Sympathie entwickelt, mit der man am ehesten übereinstimmt, die beim wichtigsten Thema, das man sieht, die relativ beste Lösung bietet.

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Eine Partei, die alles kann, die alles im Angebot hat, was man selber für richtig und geboten hält, die gibt es nicht. Im Sechsparteiensystem nicht, wahrscheinlich nicht einmal in einem Sechzigparteiensystem. Also: Augen auf und durch.

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