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Der Ost-West-Graben in der EU wird deutlicher.
© imago/Super Express

Polen und die EU: Aufklärung gegen die Angst vor dem Identitätsverlust

Alle Versuche der Kommission, die polnische Regierung von der Unrechtmäßigkeit ihres Handelns zu überzeugen, sind gescheitert. Neben Sanktionen braucht es jetzt vor allem Aufklärung und Geduld.

Nun hört man viele große Worte. Die EU-Kommission geht bis zum Äußersten, sie setzt ein noch nie gebrauchtes Strafverfahren in Gang, Brüssel greift zur Atombombe. Der Sprachgebrauch bezeugt zweierlei: Die Fassungslosigkeit der meisten EU-Staaten angesichts fortlaufender Attacken der polnischen Regierung auf das Institut der Gewaltenteilung – und die Ratlosigkeit darüber, wie die Gemeinschaft der Staaten Europas mit solchen Brüchen des demokratischen Grundkonsenses umgehen könne. Denn bei Licht betrachtet ist die Kommission machtlos.

Der Prozess, den sie nach Artikel 7 der EU-Verträge in Gang setzt, war vermutlich unausweichlich. Die polnische Regierung und die deren politisches Handeln bestimmende Partei, die PiS, untergräbt systematisch die Unabhängigkeit der Richter und schafft sich Mittel, sie abzusetzen, so sie Recht nicht im Sinne der Partei sprechen. Die PiS, in der ihr Parteichef, Jaroslaw Kaczynski, der entscheidende Machtfaktor ist, verbrämt den Anschlag auf die Unabhängigkeit der Justiz publikumswirksam mit einem angeblichen Kampf gegen eine Korruption, die seit der kommunistischen Ära nie aufgehört habe.

Überzeugungsversuche der Kommission sind gescheitert

Alle Versuche der Kommission, die Regierung in Warschau von der Unrechtmäßigkeit ihres Handelns zu überzeugen, sind gescheitert. Ganz im Gegenteil präsentiert sich die De-facto-Staatspartei nun als Opfer einer übermächtigen Brüsseler Bürokratie, hinter der sich in Wahrheit das west-europäische Bestreben verstecke, Polen und andere mittel-osteuropäische Staaten ihrer nationalen Identität zu berauben.

Diese Zwangsvorstellung, sich aus einer Wagenburg von christlich-abendländischen Idealen gegen libertinäre und multikulturelle Tendenzen Westeuropas verteidigen zu müssen, eint Polen mit Ungarn, aber auch mit Tschechien und der Slowakei. Diese vier haben sich im Bund der Visegradstaaten im November 1998 zusammengefunden, der gemeinsame Probleme vor allem ökonomischer Natur lösen wollte. Tatsächlich ist die Berufung auf die ungarische Stadt Visegrad am Donauknie aber die Revitalisierung eines historischen Bündnisses, das bis in das Jahr 1335 zurückreicht.

Ungarn vor allem wird verhindern, dass die jetzt von der Kommission eingeleitete Strafaktion in der Praxis jene Durchschlagskraft erreicht, die ihr theoretisch innewohnt und die bis zum Stimmrechtsentzug reicht. Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs müsste die Sanktionen gegen Polen einstimmig beschließen. Dem wird sich aber Ungarn verweigern, sagt dessen Regierungschef Victor Orban immer wieder. Sein Land hat mit der Europäischen Union ähnliche Rechtsstaatsprobleme, die sich in Budapest vor allem im Kampf gegen unabhängige Universitäten zeigen.

Ost-West-Graben wird deutlich

Damit wird die von der Kommission beschlossene Einleitung des Sanktionsverfahrens nicht zum Papiertiger, denn moralische Kraft hat die Maßnahme schon. Die Protestbewegungen Polens und Ungarns werden sich moralisch unterstützt und gestärkt fühlen. Im Europäischen Rat isoliert sich Polen, an der Seite Ungarns, vielleicht Tschechiens und der Slowakei. Die vier sind zu schwach, die EU zu sabotieren, aber stark genug, sie international zu beschädigen.

Der Ost-West-Graben in der EU wird nun jedoch noch deutlicher werden. Der unterschiedliche Umgang mit Flüchtlingen ist ja nur ein Indiz dafür. Keiner hat damit gerechnet, dass ein Land rechtsstaatliche Strukturen schleifen könnte. Tatsächlich geht es den mittel-osteuropäischen Staaten vor allem um ihre nationale Souveränität. An Europa wollen sie nur insoweit partizipieren, als sie Zugang zu den Fördertöpfen haben. Für Victor Orban und Jaroslaw Kaczynski sind die Staaten Westeuropas Länder mit gemischten Bevölkerungen, die durch Einwanderung ihre ethnische und nationale Singularität verloren haben. Das sind wie bei AfD und Pegida ähnliche Zwangsvorstellungen angeblich drohender „Umvolkung“ und Verwässerung des Volkscharakters. Dagegen helfen keine Sanktionsverfahren, da helfen nur Aufklärung und Geduld.

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