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Annalena Baerbock bei der Präsentation ihrer Ideen zur Reform des Katastrophenschutzes.
© Stefanie Loos / REUTERS

Neue Dimension durch Flutkatastrophe: Aufholjagd bei den Grünen – Klimaschutz soll das Ruder rumreißen

Strategiepapier, zehn-Punkte-Plan, Sofort-Programm: Die Grünen setzen nun ganz auf Inhalte. Lassen sich damit die Patzer von Annalena Baerbock wettmachen?

Keine Presse, keine Fotos, keine Besserwisserei auf Twitter, keine Forderungen. So still wie nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen war es bei den Grünen selten gewesen. Zu groß die Angst vor dem Vorwurf, die Flutopfer zu instrumentalisieren.

„Jetzt ist die Stunde der Retter und nicht die Stunde von Politikern, die dort nur im Weg rumstehen“, hatte Partei-Chef Robert Habeck gesagt und war nicht ins Krisengebiet gereist. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock war mit zwei Tagen Abstand in die Eifel gefahren, hatte aber ausdrücklich auf Pressebegleitung verzichtet.

Gerade einmal zwei Wochen ist das her. Inzwischen haben die Grünen ihr Schweigen gebrochen – und werden immer lauter. Mit allen Möglichkeiten scheint die Partei die Folgen der Flutkatastrophe in den Mittelpunkt des Wahlkampfs bringen zu wollen. Am Montag stellte Baerbock gemeinsam mit der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion, Irene Mihalic, einen zehn Punkte umfasssenden Plan für eine Reform des Katastrophenschutzes in der Bundespressekonferenz vor.

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Am Donnerstag legten nun Habeck, Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und sein Stellvertreter Oliver Krischer ein „Impulspapier“ vor, in dem Vorschläge gemacht wurden, um Mensch und Umwelt vor der Klimakrise zu schützen.

Der Natur mehr Platz geben, den Hochwasserschutz intensivieren, Entsiegelung von Parkplätzen, Begrünung von Städten, Renaturierung von Flussläufen – vieles auf den acht Seiten ist nicht neu und findet sich so oder ähnlich bereits im Wahlprogramm der Grünen. Doch das 272 Seiten dicke Werk ist der Parteispitze nicht genug.

Bereits am kommenden Dienstag wollen Baerbock und Habeck ein Klimaschutz-Sofortprogramm vorlegen. Acht Wochen vor der Wahl wirkt es, als wolle man den Takt erhöhen.

272 Seiten sind nicht genug. Die Grünen legen in diesen Tagen nach.
272 Seiten sind nicht genug. Die Grünen legen in diesen Tagen nach.
© picture alliance/dpa

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„Das ist der Versuch, Inhalte in den Wahlkampf zu tragen“, sagt der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Er beobachtet seit Jahrzehnten Wahlkämpfe und erforschte an der Freien Universität in Berlin viele Jahre das Wahlverhalten der Deutschen.

Für die Entscheidung bei der Abstimmung sind nach seiner Erkenntnis vor allem drei Faktoren relevant: Personen, Performance und Programme. Letztere seien für eine Mehrheit sogar wahlentscheidend, sagt Neugebauer. Die Wähler würden genau auf die Inhalte der Parteien schauen und vergleichen, von welchem Programm sie persönlich am meisten profitieren würden.

"Nur ein Prozent der Menschen liest Wahlprogramme"

Doch sonderlich in die Tiefe gingen die meisten Deutschen dabei nicht. „Nur ein Prozent der Menschen lesen Wahlprogramme“, sagt Neugebauer. Die Strategiepapiere, Zehn-Punkte-Pläne und Sofort-Programme würden sich daher vor allem an die Medien richten, die wiederum die Inhalte in ihrer Berichterstattung wiedergeben würden.

Im Fall der Grünen sei es doppelt sinnvoll, zu versuchen, Inhalte in den Mittelpunkt zu rücken. „Damit wirkt man der Personalisierung im Wahlkampf entgegen. Gerade den Grünen ist die Präsentation ihrer Kanzlerkandidatin nicht so gut gelungen“, sagt Politikwissenschaftler Neugebauer und spielt damit auf die vielen kleinen Fehler Baerbocks an.

Die 40-Jährige steht seit Wochen wegen zu spät gemeldeter Nebeneinkünfte, Ungenauigkeiten in ihrem Lebenslauf und abgeschriebenen Passagen in ihrem Buch in der Kritik.

Die Briefwahl beginnt am 16. August

Neugebauer glaubt, dass sich diese Fehler nicht so sehr auf die Wahlentscheidung ausschlagen dürfte. „Ihre Patzer werden im Lauf des Wahlkampfs an Bedeutung verlieren.“ Er rechnet damit, dass die Inhalte in den kommenden Wochen zunehmend in den Mittelpunkt rücken werden.

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Darauf hoffen auch die Strategen der Grünen in der Parteizentrale. Dort hat man die Choreographie der eigenen Kampagne bereits vor Monaten durchgeplant. Regelmäßig will man nun Highlights setzen, sichtbar sein. Dazu zählt die zweiwöchige Küstentour von Robert Habeck, aber auch Annalena Baerbock ist seit ihrem Urlaub wieder viel präsenter.

Sie nimmt an Wahlkampfterminen teil, gibt vermehrt Interviews und ist auch auf den sozialen Kanälen deutlich aktiver. Neben den Fotos jetzt also auch die Inhalte, schließlich beginnt die Wahl bereits ab dem 16. August, wenn die Briefwahlunterlagen zugestellt werden.

Zentrales Thema für die Aufholjagd auf die Union soll in den letzten acht Wochen der Klimaschutz bleiben. Durch die Flutkatastrophe habe dieser eine neue „Dimension“ bekommen, findet Oliver Krischer bei der Präsentation seines Impulspapiers. Der Aachener hat die Flut selbst erlebt, war viel im Krisengebiet. Er rechnet damit, dass der Klimaschutz mobilisieren wird. „Ein solches Ausmaß hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich denke, das geht vielen Menschen so und deshalb hat das Thema Klimaschutz jetzt im Wahlkampf eine andere Bedeutung bekommen“, sagt Krischer.

Doch nicht nur bei ihrem Kernthema setzen die Grünen auf inhaltliche Aufschläge. Für Freitag hat Annalena Baerbock bereits zur Präsentation eines „Impulspapier für eine nationale Bildungsoffensive“ geladen.

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