Piraten: Auf der Suche nach dem Kern
Wenig Wähler, kaum Aufmerksamkeit: Die Piraten sind in der Krise. Vom Bundesparteitag soll nun ein Signal ausgehen.
Zu feiern haben sie wenig. Nach ihrem sehr bescheidenen Ergebnis bei den Wahlen zum EU-Parlament (1,4 Prozent) und dem Rücktritt von drei Mitgliedern des Bundesvorstandes im März stehen die Piraten nun vor einem kompletten Führungswechsel. Gewählt wird auf dem Bundesparteitag am 28. und 29. Juni in Halle an der Saale. Von der kommissarischen Führung werde niemand mehr antreten, sagte Vorstandsmitglied Veronique Schmitz am Freitag in Berlin.
Sieben Kandidaten stehen für die Nachfolge von Parteichef Thorsten Wirth bereit, unter anderem Bernd Schreiner, Landesvorstand in Thüringen, der ehemalige sächsische Vorstand Florian André Unterburger und Wolfgang Dudda, Mitglied des schleswig-holsteinischen Landtages. Zur Debatte steht in Halle nicht weniger als der Markenkern der Partei: „Wir müssen klarmachen, wo wir politisch eigentlich stehen“, sagte Anita Möllering, Bundespressesprecherin der Piraten. „Wir müssen einen Weg finden, wieder Inhalte zu setzen und zu vertreten“ – und dafür brauche es mehr als nur einen neuen Vorstand. Vielen Mitgliedern fehle nach den zahlreichen Skandalen inzwischen auch die Motivation, sich in der Partei zu engagieren, ergänzte Schmitz.
Das gilt auch für sie selbst. Desaströs sei vor allem die Streitkultur in der Partei. „Wir müssen da wieder auf ein vernünftiges Niveau kommen“, moniert Schmitz. Sie überlege deswegen ihre „Zeit künftig lieber in positive Dinge zu investieren“. Der Parteitag soll unzufriedenen Mitgliedern nun auch die Gelegenheit bieten, ihren Unmut zu äußern. Also von Angesicht zu Angesicht und nicht über persönliche Beleidigungen im Netz. Unzufrieden ist man zum Beispiel mit der Umsetzung eines ihrer Kernkonzepte, des „Liquid-Democracy-Ansatzes“, mit dem die Partei einst bei ihrer Gründung 2006 angetreten ist. Online-Experten werden nun auf dem Parteitag in Fachvorträgen alternative Tools zur jetzigen Liquid-Feedback-Software vorstellen, das auf Bundesebene völlig gescheitert ist. Die Idee dahinter war einst, möglichst schnell größere Meinungsbilder in der Partei einzuholen. Doch die fehlende Verbindlichkeit für die Mitglieder führte zu mangelnder Beteiligung. Nun hoffen die Mitglieder, vor allem von ihren österreichischen Parteikollegen lernen zu können. „Die haben viel mehr Erfahrungen damit“, sagt Schmitz.
Die Zerrissenheit der Partei bestrafen die Wähler seit 2013 konsequent an der Urne: Ihr Spitzenergebnis von fast neun Prozent bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2011 konnten die Piraten nicht wiederholen. Nach ihrem Höhenflug bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen 2012, wo sie knapp acht Prozent und im Saarland 7,4 Prozent der Stimmen gewannen, schafften sie 2013 in Bayern, Hessen und Niedersachsen und bei der Bundestagswahl nur rund zwei Prozent. Bei den Wahlen zum EU-Parlament im Mai erreichten sie nur noch 1,4 Prozent – ein Tiefstwert.
Von Julia Reda, der einzigen Abgeordneten, die für die Piraten in Brüssel einzog, versprechen sie sich allerdings viel. Sie sei eine „gute Vertreterin, die gute Impulse geben kann“, sagt Schmitz. Sie könne gerade digitale Themen glaubhaft im Parlament vertreten. Ihre Arbeit wird sie auch auf der Delegiertenversammlung vorstellen und sich der Diskussion über den Europakurs der Partei stellen, die sich im EU-Parlament der Fraktion die Grünen/Europäische Freie Allianz angeschlossen hat. Mithilfe von Reda wollen die Piraten auch wieder deutlich machen, wofür sie ihrer Meinung nach gebraucht werden. Denn dass sich andere Parteien überhaupt mit Netzpolitik befassen würden, sei der Verdienst der Piraten, sagt Möllering.
Igor Mitchnik
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