Deutsche Straßen: Auf der Strecke geblieben
Milliarden fließen in das deutsche Straßennetz, die Mauteinnahmen steigen. Weshalb ist der Zustand vieler Straßen trotzdem so schlecht?
An diesem Wochenende werden mit die längsten Staus des Jahres erwartet. In Bayern beginnen die Ferien, in sieben Bundesländern enden sie, darunter in Berlin und Brandenburg. Dazu kommen viele Baustellen, die den Verkehrsfluss zusätzlich verlangsamen. Spätestens seit nun ab dem 1. August für Lastwagen nicht nur auf Autobahnen, sondern auch auf bestimmten Bundesstraßen Maut verlangt wird, werden die Themen Verkehr und Straßenbau wieder heftig diskutiert.
In was für einem Zustand ist das deutsche Straßennetz?
Das Autobahnnetz umfasst 12 845 Kilometer, an Bundesstraßen kommen weitere 39 700 Kilometer dazu. Daraus ergibt sich reichlich Investitionsbedarf. Der letzte Bundesverkehrswegeplan aus dem Jahr 2003 legt den Baubedarf des Straßennetzes noch bis 2014 fest. Derzeit bereitet das Bundesverkehrsministerium einen neuen Verkehrswegeplan vor, der 2015 veröffentlicht werden soll. Die Länder melden dafür ihren Bedarf, das Ministerium ordnet nach Wichtigkeit.
„Die Ermittlung dieses Bedarfs ist etwas undurchsichtig“, moniert jedoch der Vorsitzende des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Michael Ziesak. Denn hier werden auch Ortsumgehungen und andere Projekte gemeldet, die eigentlich nichts mit der Instandhaltung der Fernstraßen zu tun haben, für die der Bund zuständig ist. Wird dennoch eine Ortsumgehung von der Landstraße zur Bundesstraße befördert, können damit zwar Kommunalpolitiker vor Ort punkten. Das Geld aber fehlt dann bei der Instandhaltung des Fernstraßennetzes. Experten fordern seit langem, das Bundesverkehrsministerium müsse sich ausschließlich darauf konzentrieren. Denn, sagt Jürgen Berlitz vom ADAC, der Zustand des Autobahnnetzes in Deutschland sei „nicht sonderlich gut“. Der VCD-Vorsitzende Ziesak wird noch deutlicher: „Wir steuern auf eine handfeste Infrastruktur-Instandhaltungskrise zu.“
Wie viel Geld wird in das Straßennetz gesteckt?
Insgesamt fünf Milliarden Euro gibt der Bund in diesem Jahr für das Fernstraßennetz aus. Auch wenn Erhalt vor Neubau geht, stehen dennoch für die Erneuerung nur 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung. ADAC-Experte Berlitz errechnet dafür aber einen tatsächlichen Bedarf von mindestens 3,5 Milliarden im Jahr. „Vor allem die gestiegene Belastung durch den Lkw-Verkehr ruiniert unsere Straßen“, sagt er. Auch der VCD-Vorsitzende Ziesak fordert mehr Mittel für den Erhalt des bestehenden Straßennetzes. In den Autobahnneubau fließen in diesem Jahr 1,6 Milliarden Euro, zwischen 2007 und 2010 wuchs das Netz dennoch nur um insgesamt 219 Kilometer. Von der verbleibenden Milliarde geht offenbar ein stattlicher Teil an Projekte wie die besagten Ortsumfahrungen, die eigentlich nicht in die Zuständigkeit des Bundesverkehrsministeriums fallen.
Neben der steigenden Verkehrsbelastung, die den Erhalt der Autobahnen immer aufwendiger und teurer macht, sind besonders die maroden Brücken vor allem im Westen Deutschlands ein Problem. Ein großer Teil davon wurde in den 70er und 80er Jahren gebaut und muss nun dringend renoviert werden. „Rund ein Drittel der Autobahnbrücken muss zeitnah erneuert werden“, schätzt ADAC-Sprecher Berlitz. Dafür stehen in diesem Jahr 700 Millionen Euro zur Verfügung. Den eigentlichen Bedarf hält Berlitz mit etwa 1,4 Milliarden jährlich für fast doppelt so hoch.
Fehlende Gelder sollten eigentlich durch die Einführung der Lkw-Maut wettgemacht werden. Tatsächlich verdient der Bund auch rund 4,5 Milliarden jährlich durch die Gebühr. Mit dem Start der Maut auf ausgewählten Bundesstraßen sollen noch einmal 100 Millionen hinzukommen. Trotzdem ist der Etat für den Ausbau und Erhalt des Fernstraßennetzes zuletzt kaum gestiegen. Michael Ziesak vom VCD nennt das „kreative Buchführung“. Die Mauteinnahmen laufen zwar in den Etat für das Straßennetz. Nur wurden im Gegenzug die bisher zugeteilten Bundesmittel in fast gleicher Höhe gekürzt. „Ein Nullsummenspiel“, sagt Ziesak. Ähnlich sieht das die Opposition im Bundestag. Der SPD-Verkehrsexperte Uwe Beckmeyer nennt das Fernstraßensystem „klassisch unterfinanziert. Jedes Jahr fehlen rund zwei Milliarden Euro“.
Wenn nicht genug Geld da ist, warum gibt es dann trotzdem so viele Baustellen?
Im Jahresdurchschnitt geht das Bundesverkehrsministerium von 800 Baustellen aus. In diesem Jahr ist deren Zahl sogar um 20 Prozent gestiegen, auch weil der Verkehrsminister eine Milliarde Euro für ein Infrastrukturbeschleunigungsprogramm nachverhandelt hat. Davon fließen 400 Millionen zusätzlich ins Straßennetz, im kommenden Jahr werden es 200 Millionen sein. Der Bund bezahlt dabei die Baumaßnahmen, aber wo, wann und wie lange gebaut wird, organisieren die Länder. Gerade im Sommer steigt die Zahl der Baustellen, weil in den frostfreien Monaten zwischen April und September durchgehend gebaut werden kann. Außerdem werden auf den Pendlerstrecken, wo in der Ferienzeit etwas weniger Verkehr zu erwarten ist, zusätzlich temporäre Baustellen aufgemacht. Dass dann auf manchen Baustellen die Bagger stillstehen und kein Arbeiter zu sehen ist, „hängt auch an der Planung der Mittel“, sagt ADAC-Experte Berlitz. Nachtarbeit und Doppelschichten seien teurer. Die Länder würden lieber sparen und dafür länger andauernde Arbeiten in Kauf nehmen. Allerdings können die Bürger seit Oktober 2011 über den „Baustellenmelder“ des Verkehrsministeriums unbesetzte Baustellen melden. 1949 Mal ist das bis Ende Juli geschehen.
Wie fährt es sich in der Hauptstadt?
Berlin hat laut Senatsverkehrsverwaltung einen Instandhaltungsrückstand in Höhe von etwa 400 Millionen Euro. Dass dieser irgendwann abgearbeitet sein könnte, ist derzeit so gut wie ausgeschlossen. Im Gegenteil: Gab es in den vergangenen Jahren noch jeweils 25 Millionen Euro extra für die Bezirke, um Schlaglöcher beseitigen und Straßen sogar von Grund auf sanieren zu können, will Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) die Summe in diesem Jahr auf fünf Millionen Euro beschränken. Damit bleibt es beim Flickwerk auf dem 5361 Kilometer langen öffentlichen Straßennetz.
Nur wenige Straßen schaffen es, in die Prioritätenliste der Verkehrsverwaltung aufgenommen zu werden, deren Basis eine Umfrage in den Bezirken ist. Der ADAC fordert seit Jahren, das Budget für die Straßenreparaturen zu erhöhen. Erhört worden ist der Automobilclub nicht.
Das Geld fehlt seit der Wende. Mit der Einheit der Stadt war es wichtiger, die alten Verbindungen wiederherzustellen. Doch dieses Programm ist längst abgearbeitet. Mit dem Anfang Juni fertiggestellten Bau der Axel-Springer-Straße, die Mitte mit Kreuzberg verbindet, endete das Lückenschlussprogramm, das bis auf wenige Ausnahmen wie diese innerhalb weniger Jahre abgeschlossen war.
Können Schlaglöcher nicht beseitigt werden, behelfen sich die Bezirke anders. Sie stellen Warnschilder auf oder ordnen ein Tempolimit an. 2011 galt auf der Arnulfstraße in Tempelhof, die zum Hauptstraßennetz gehört, monatelang „Tempo“ 10. So können die Bezirke Schadenersatzforderungen abschmettern, wenn ein Fahrzeug bei der „Kraterfahrt“ beschädigt wird.
Häufig helfen auch Dritte. Werden Straßen aufgerissen, um Leitungen im Strom- oder Wassernetz zu legen oder zu erneuern, müssen die Verursacher nach Abschluss der Arbeiten auch die Fahrbahndecke wieder instand setzen. So sparen die Bezirke die Kosten. Wie jetzt Unter den Linden, wo die BVG für den Bau der U-Bahn-Linie U 5 Riesengruben auf der Fahrbahn ausbaggert. Bis die Fahrbahn wiederhergestellt sein wird, vergehen aber mehrere Jahre.
Was erwartet Autofahrer auf Brandenburgs Hauptverkehrsstrecken?
Etwa 20 Baustellen bremsen in Brandenburg auf Autobahnen und wichtigen Bundesstraßen den Verkehr. Allein der 199 Kilometer lange Berliner Ring A 10 gleicht mitunter einer Slalomstrecke. Auf dem östlichen Abschnitt zwischen den Dreiecken Spreeau und Schwanebeck zwingen gleich vier Baustellen zum Abbremsen. „Dringende Arbeiten“ an Brücken sind der Grund, teilt der Landesbetrieb Straßenwesen mit. Nach dem vier- bis sechsspurigen Ausbau der Fahrbahnen seien jetzt die „lange Zeit vernachlässigten Brückenbauwerke“ an der Reihe.
Tatsächlich war in Brandenburg bei den meisten Autobahnen zwischen den 30er Jahren und der Wende nicht viel passiert. Dann hatte der Streckenausbau beispielsweise Berlin – Hannover oder Berlin – Hamburg Vorrang. Doch jetzt drängt das Brückenproblem, ebenso wie die nach oben korrigierte Verkehrsprognose. So wird das 1939 angelegte Dreieck Schwanebeck, auf dem die A 11 und die Bundesstraße 2 von der A 10 in Richtung Stettin beziehungsweise Usedom und Rügen abzweigen, neu gestaltet. Ab Oktober 2013 sollen hier in jede Richtung sechs statt zwei Spuren führen, rund 56 Millionen Euro kostet das. In einem Monat beginnt auch der Umbau des Dreiecks Havelland, wo sich heute die Autos in und aus Richtung Hamburg und Rostock beziehungsweise Berlin stauen. Die Lage, so der ADAC, sei „dramatisch“.
Und die nächsten Baustellen kündigen sich bereits auf dem südlichen Abschnitt des Berliner Rings an. Zwischen dem Dreieck Nuthetal und Potsdam gibt es künftig acht Spuren für täglich 90.000 Fahrzeuge. Bis 2025 sollen es täglich sogar 126.000 Fahrzeuge sein. Ähnliche Steigerungen werden für die A 12 von Berlin nach Frankfurt (Oder) erwartet. Derzeit passieren die 58 Kilometer bis zu Polens Grenze täglich 40.000 Fahrzeuge, jedes dritte ein Lastwagen. Bis 2025 rechnet das Infrastrukturministerium mit einem Zuwachs um 200 Prozent.
Was für besondere Probleme stellen sich den Motorradfahrern?
Für die knapp vier Millionen Motorräder über 125 Kubik Hubraum und zwei Millionen kleineren Roller und Mofas sind Fahrbahnschäden viel problematischer als für Pkws. Unebenheiten durch Bodenwellen, Schlaglöcher oder notdürftige Reparaturen können schwere Unfälle verursachen. Unebenheiten verringern die Haftung zwischen Reifen und Fahrbahn. Das verlängert den Bremsweg und verändert die Kräfte, die auf das Motorrad in der Kurve einwirken. „Ein Komfortmangel für einen Autofahrer kann ein Sicherheitsrisiko für einen Motorradfahrer sein“, sagt deshalb Reiner Brendicke, Hauptgeschäftsführer des Industrie-Verbands Motorrad Deutschland.
Oft werden Fahrbahnen auch großflächig mit preiswertem Bitumen geflickt, dessen Haftreibungswert geringer ist als die Asphaltoberfläche. Laut Institut für Zweiradsicherheit erhöht das die Zahl der Stürze erheblich. Bei Nässe geraten Motorradfahrer auf oft reparierten Straßen schnell ins Rutschen. Ein weiteres Problem sind normale Leitplanken, unter die Motorradfahrer bei einem Sturz schlittern und sich schwer verletzen können. In der Eifel oder auf der Schwarzwald-Hochstraße wurden Leitplanken inzwischen mit einem Unterfahrschutz nachgerüstet. Pro Meter kostet das 30 Euro.
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