Politik: Auf der Bremse
Bei ihrem Besuch in der Türkei in der kommenden Woche will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Gastgeber davon überzeugen, dass es keinen Zweck für sie hat, weiter die EU-Vollmitgliedschaft anzustreben. In Interviews mit türkischen Zeitungen warb sie am Mittwoch für das Modell einer „privilegierten Partnerschaft“: Diese umfasse bis auf wenige Ausnahmen alle Themen, über die Türken und EU-Vertreter im Rahmen der Beitrittsgespräche ohnehin reden.
Bei ihrem Besuch in der Türkei in der kommenden Woche will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Gastgeber davon überzeugen, dass es keinen Zweck für sie hat, weiter die EU-Vollmitgliedschaft anzustreben. In Interviews mit türkischen Zeitungen warb sie am Mittwoch für das Modell einer „privilegierten Partnerschaft“: Diese umfasse bis auf wenige Ausnahmen alle Themen, über die Türken und EU-Vertreter im Rahmen der Beitrittsgespräche ohnehin reden. Wenn Türken und Europäer 27 oder 28 der insgesamt 35 Kapitel der EU-Beitrittsgespräche abschlössen, dann hätten sie schon eine „privilegierte Partnerschaft“, sagte Merkel.
Ankara wird sich von diesem Angebot wenig beeindrucken lassen. Für seine Regierung gebe es zur Vollmitgliedschaft „keine Alternative“, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan der „Zeit“. Für die Türkei wäre es ein großer Fehler, auf Merkels Vorschlag einzugehen, fügte er hinzu. Der türkische Premier will trotz unklarer EU-Aussichten für sein Land unbedingt verhindern, dass der Verhandlungsprozess mit der EU ganz zum Stillstand kommt. Genau das könnte aus Sicht Ankaras jedoch bald geschehen.
Merkel bleibt dabei, dass die Bundesregierung die 2005 begonnenen Beitrittsgespräche der Türkei mit der EU trotz ihrer eigenen Skepsis nicht torpediert. Diese Haltung ringt der türkischen Seite Respekt ab. Immerhin achte Merkel den Grundsatz der Vertragstreue, heißt es in Ankara. Das unterscheide sie zum Beispiel von dem bedingungslosen Türkeigegner Nicolas Sarkozy in Paris. Die Türkei erwarte, dass Merkel in Ankara bei dieser Position bleibe.
Bei ihrem ersten Türkeibesuch seit vier Jahren will Merkel mit Erdogan auch über die in Istanbul geplante türkisch-deutsche Universität sprechen. Erdogan brachte in der „Zeit“ zudem die Gründung türkischer Gymnasien in Deutschland ins Gespräch. Merkel reist nach ihren Gesprächen in Ankara nach Istanbul weiter. Dort will sie sich die Hagia Sophia und die Blaue Moschee ansehen, mit Kirchenvertretern sprechen und mit deutschen und türkischen Unternehmern über die Wirtschaftsbeziehungen reden.
Der türkische Premier wird bei Merkel den türkischen Wunsch nach einer Lockerung oder einer Aufhebung des Visumszwangs für Türken bei Reisen in die EU ansprechen. Die Kanzlerin erinnerte in ihren Interviews daran, dass Ankara derzeit die Voraussetzungen dafür noch nicht erfülle. Dabei geht es um die Verpflichtung der Türkei, Flüchtlinge aufzunehmen, die über ihr Territorium nach Europa gereist sind und von dort wieder abgeschoben werden sollen. Auch müsse die Türkei ihre Grenzsicherung verstärken.
Die Türkei sei sich ihrer Verpflichtungen bewusst und gewillt, diese zu erfüllen, heißt es dazu auf türkischer Seite. Die EU habe finanzielle Unterstützung beim Thema Flüchtlinge versprochen. Noch in diesem Jahr will Ankara alle Bedingungen der EU erfüllen – dagegen betonte Merkel, ein visumsfreier Reiseverkehr liege noch in weiter Ferne.
Wenig Aussichten auf eine Überwindung gegensätzlicher Positionen bestehen auch beim Thema Zypern. Die Bundeskanzlerin will die Türken erneut dazu auffordern, ihre Häfen für Schiffe aus der zur EU gehörenden Republik Zypern zu öffnen. Das lehnt Ankara so lange ab, wie der türkische Teil der Insel einem internationalen Embargo unterliegt.
Die Erdogan-Regierung befürchtet, dass der ungelöste Zypernkonflikt in absehbarer Zeit die türkische Europaperspektive völlig aus der Bahn werfen könnte. Denn die griechischen Zyprer könnten ihr Veto als EU-Mitglieder dafür einsetzen, die Beitrittsgespräche mit der Türkei vollends zu stoppen. Schon jetzt sind mehrere Verhandlungskapitel wegen des Zypernstreits gesperrt. Es könne sein, dass gegen Ende des Jahres keine Kapitel mehr übrig seien, die für Verhandlungen zwischen EU und Türkei geöffnet werden könnten, sagt ein türkischer Diplomat. Das Ergebnis wäre der Kollaps der Verhandlungen: „Wir sehen den Zug auf uns zu rasen.“
Thomas Seibert
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