Russischer Hilfskonvoi für die Ukraine: Auf dem Weg ins Irgendwo
Ein russischer Konvoi soll den Menschen im Osten der Ukraine Hilfe bringen. Doch zunächst bringt er nur Ärger. Die Regierung in Kiew will die Lkw nur unter ganz bestimmten Bedingungen passieren lassen. Was ist von der Aktion zu halten?
Während sich die Lage der Menschen in den umkämpften Gebieten der Ostukraine täglich verschlechtert, entwickelt sich der Streit um einen von Russland als Hilfslieferung bezeichneten Lkw-Konvoi von rund drei Kilometer Länge zum Trauerspiel. Während die einen vermuten, Russland wolle mit einem trojanisches Pferd militärisch in die Ukraine vordringen, mahnen die anderen grünes Licht für humanitäre Hilfe an. Sowohl die internationale Gemeinschaft als auch Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz sind von Putins neustem Coup überrumpelt worden und ringen um eine angemessene Lösung.
Was enthalten die Lastkraftwagen offiziell?
In der Nacht zu Dienstag formierte sich die Kolonne in Alabino, südlich von Moskau. Fahrer und Begleitpersonal gaben bereitwillig Auskunft, einige ließen Kamerateams sogar einen Blick auf die Ladung werfen, die aus Spenden der Bürger Moskaus und dem Umland finanziert wurde. Fast drei Kilometer lang ist die Kolonne, die sich am Mittwoch durch die vor Hitze flirrenden Regionen Zentralrusslands voran nach Süden quälte.
Einer Erklärung des russischen Außenministeriums zufolge handelt es sich um insgesamt 262 Fahrzeuge. Sie transportieren demnach insgesamt 1810 Tonnen Hilfsgüter, darunter 69 Stromgeneratoren, 400 Tonnen Getreide, 340 Tonnen Fleisch, 30 Tonnen Salz, 100 Tonnen Zucker, 60 Tonnen Milch, 0,8 Tonnen Tee, 679 Tonnen in Flaschen abgefülltes Wasser, 62,4 Tonnen Babynahrung, 54 Tonnen medizinische Hilfsmittel und 12 300 Schlafsäcke.
Alle Lastkraftwagen tragen einen weißen Anstrich, viele das Logo des roten Kreuzes, dafür aber keine Nummernschilder – weil sie an der Grenze, wo der Konvoi am Mittwochabend eintreffen sollte, ukrainische Kennzeichen bekommen sollen. Das, so die offizielle Begründung, sei Teil der Vereinbarung zwischen der russischen Regierung und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).
Wie verhält sich die ukrainische Führung zu dem Hilfstransport?
Die Ukraine will den Hilfskonvoi nur unter bestimmten Bedingungen annehmen. Voraussetzung sei, dass der Konvoi für Lugansk die Grenze an einem Übergang nahe der Stadt überquere, von ukrainischen Grenzwächtern kontrolliert und die Hilfe in Lugansk vom Roten Kreuz verteilt werde, sagte ein Sprecher des Präsidialamts am Mittwoch. Bislang hatte keine Klarheit bestanden, ob und wo der Konvoi über die Grenze gelassen werden würde.
Zuvor hatte Innenminister Arsen Awakow und Regierungschef Arsenij Jazenjuk am Mittwoch erklärt, die Ukraine werde dem Konvoi die Fahrt auf ukrainisches Territorium verbieten. Kiew bestand zunächst darauf, dass die Fracht an der Grenze auf ukrainische Fahrzeuge umgeladen wird. Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes sollten die Entladung der Güter im Transitbereich überwachen.
Welche konkreten Befürchtungen hat die ukrainische Seite?
Die Kiewer Regierung geht davon aus, dass der Konvoi von Soldaten begleitet wird. Bei den Lkw-Fahrern und dem Begleitpersonal handelt es sich ganz offensichtlich um russische Spezialisten verschiedener Ministerien, des Geheimdiensts sowie der Armee. Jede Gewaltanwendung gegen die Lastkraftwagen oder deren Begleiter würde Russland als Angriff ansehen. Damit könnte eine Reaktionskette in Gange kommen, die zu Kampfhandlungen zwischen der ukrainischen Armee und den russischen Streitkräften führen könnte. Auch kritische Beobachter in Moskau hielten aus diesem Grund eine Umladung auf ukrainische Lastwagen an der Grenze zunächst für die bessere Lösung.
Der ukrainische Geheimdienst SBU hatte schon in der vergangenen Woche behauptet, die Separatisten hätten MH 17 aus Versehen abgeschossen. Eigentliches Ziel seine eine Maschine des russischen Staatsunternehmens Aeroflot gewesen: Damit Putin endlich den Einmarschbefehl gibt.
Welche Anhaltspunkte gibt es, dass der Konvoi für militärische Zwecke genutzt wird?
In russischen sozialen Medien kursiert ein Video, auf dem zu sehen ist, wie die ursprünglich dunkelgrünen Laster mit weißem Lack neu gespritzt werden. Es handelt sich dabei um Militärfahrzeuge, die auch von Soldaten bewacht werden. Sie sollen die Laster auch beladen haben. So jedenfalls schildert es der Mann, der das Video gepostet hat: Angeblich ein Soldat, der mit dabei war. Das Video wurde bei vkontakte – dem russischen Facebook – kontrovers diskutiert. Demzufolge handelt es sich bei den Soldaten um Angehörige der Taman-Garde-Schützen-Division, einer Elite-Einheit, die traditionell als besonders loyal gilt und auch auf Seiten von Präsident Boris Jelzin stand, als dieser 1993 das Parlament mit Panzern und schwerer Artillerie auflöste.
Wladimir Putins Pressechef nannte die Spekulationen im Netz und die Vermutungen des Westens „absurd“. Hunderte Kilometer der russisch-ukrainischen Grenze seien nicht nur unbewacht, sondern auch unbefestigt. Moskau habe dennoch in Kiew und beim IKRK um Erlaubnis nachgesucht, für den Hilfskonvoi die offiziellen Grenzübergänge zwischen Russland und dem ukrainischen Gebiet Charkow nutzen zu dürfen.
Wie ist die humanitäre Situation in den umkämpften Orten der Ostukraine?
Schlecht. Auch in den mittlerweile befreiten Städten leiden die Menschen an den Folgen der massiven Zerstörungen, die durch die Kämpfe zwischen ukrainischer Armee und pro-russischen Separatisten entstanden sind. In Donezk leben viele Menschen in Kellern oder Schutzbunkern. Die Lage in Lugansk ist vollkommen außer Kontrolle. Seit dem 3. August gibt es weder Wasser noch Strom und Gas. Mittlerweile soll es schwere Fälle von Lebensmittelvergiftungen geben, weil die Menschen verdorbene Nahrung zu sich genommen haben.