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Politik: Auf dem Vormarsch

Islamistische Milizen gewinnen im syrischen Bürgerkrieg immer mehr an Einfluss Gleichzeitig verlieren gemäßigte Rebellen an Boden. Auch für die Türkei wird das zu einem Problem.

Das Erstarken islamistischer Milizen in Syrien bringt gemäßigte Rebellenkräfte und den Nachbarn Türkei immer mehr in Bedrängnis. Nach militärischen Erfolgen der Dschihadisten in den vergangenen Tagen ließ Ankara einen Grenzübergang zum südlichen Nachbarn schließen. Der Chef der gemäßigten und vom Westen unterstützten Rebellenarmee FSA, Selim Idris, musste nach einigen Niederlagen gegen die „Gotteskrieger“ jetzt Verhandlungen mit den Dschihadisten aufnehmen. Erst kürzlich hatte Idris gesagt, nach einem Sieg gegen das Assad-Regime werde ein weiterer Krieg nötig sein – der gegen die radikalen Islamisten.

Die „Islamische Front“, ein Zusammenschluss von einem halben Dutzend islamistischen Rebellengruppen mit vermutlich 45 000 Mitgliedern, hatte sich in der vergangenen Woche von der Freien Syrischen Armee (FSA) losgesagt. Im Nordwesten Syriens eroberten die Dschihadisten in den vergangenen Tagen mehrere Waffen- und Ausrüstungslager der FSA; die USA und Großbritannien stoppten daraufhin ihre Hilfe für die Rebellen. Die Kämpfer der Islamischen Front überrannten zudem das Hauptquartier von FSAChef Idris und nahmen den syrischen Grenzposten Bab al Hawa an der Grenze zur Türkei ein. Ankara ließ den Übergang sofort schließen.

Zwar gehört die Islamische Front nicht zum Terrornetzwerk Al Qaida, das in Syrien vor allem durch die Nusra-Front und die Gruppe „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS) vertreten ist. Doch das ist nur ein schwacher Trost für die gemäßigten Kräfte unter den Rebellen. Das Lager der Assad-Gegner zerfällt zusehends in Einzelgruppen, die sich gegenseitig genauso erbitterte Kämpfe liefern wie mit den Regierungstruppen. Die Islamische Front ist mittlerweile die zahlenmäßig stärkste Rebellenorganisation.

Der Anspruch der FSA auf militärische Führung der Rebellen, der nie besonders glaubhaft war, wird somit zur Farce. Einige Einheiten der FSA sollen schon im Oktober zu den Dschihadisten übergelaufen sein. Für den Westen bedeutet dies, dass es in Syrien immer weniger Partner gibt, die nach einem Ende des Bürgerkrieges den Aufbau eines demokratischen Staates gewährleisten könnten.

Idris, ein in der DDR ausgebildeter Elektronik-Fachmann, der in der syrischen Armee zum General aufstieg und im vergangenen Jahr von den Regierungstruppen desertierte, hat als Chef der FSA den Niedergang der Opposition nicht aufhalten können. Das „Wall Street Journal“ meldete, der 56-Jährige habe vor der vorrückenden Islamischen Front in die Türkei fliehen müssen. Dies wurde am Donnerstag von der syrischen Exilopposition zwar dementiert. Idris halte sich im syrisch-türkischen Grenzgebiet auf, erklärte eine Sprecherin in Istanbul. Doch auch die Opposition gestand indirekt den Vormarsch der Islamisten ein: General Idris verhandele mit der Islamischen Front, um „Differenzen“ aus der Welt zu schaffen.

Möglicherweise geht es bei den Gesprächen um Waffen und Ausrüstungsgegenstände wie Fahrzeuge und Funkgeräte, die Amerikaner und Saudis der FSA hatten zukommen lassen, die nun aber von der Islamischen Front erobert worden sind. Lange hatte die syrische Exilopposition massive Waffenlieferungen vom Westen gefordert, um Assads Regierungstruppen die Stirn bieten zu können. Der Westen zögerte, weil er befürchtete, die Waffen könnten Islamisten in die Hände fallen – was nun tatsächlich geschehen ist.

General Idris hatte die gemäßigten Assad-Gegner schon Anfang Dezember gewarnt, dass ein Sturz von Präsident Baschar al Assad nur die halbe Arbeit sein werde. Nach einer Entmachtung Assads stehe der Kampf „gegen die Extremisten“ an, erklärte der FSA-Chef. Als einen Gegner nannte Idris die Al-Qaida-Gruppe ISIS. Diese verfüge über 5500 ausländische Kämpfer. Idris betonte, die gemäßigten Rebellen wollten nach einem Sturz Assads zusammen mit Soldaten der regulären syrischen Armee gegen die „Gotteskrieger“ zu Felde ziehen.

Als Nachbarin Syriens ist die Türkei von diesem Konflikt direkt betroffen. Nach Vorwürfen aus dem Westen, Ankara lasse Verstärkung und Waffen für islamistische Gruppen in Syrien durch, hatten die Regierungsbehörden in letzter Zeit verstärkt durchgegriffen und mehrere Waffenlieferungen gestoppt. Dschihadisten in Syrien sollen darauf mit Anschlägen in der Türkei gedroht haben.

Thomas Seibert

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