Syrische Flüchtlinge in Jordanien: Auf Dauer heimatlos
In Jordanien leben Hunderttausende syrische Flüchtlinge, die Lage ist prekär, die Hoffnung auf Rückkehr gering. Wie bei der Familie von Ahamad Mislem.
Wer zu Ahamad Hasan Mislem will, muss den Wohlstand hinter sich lassen. Der ist von seiner Behausung aus gut sichtbar. Rawda heißt der winzige Ort, auf den Ahamad hinunterblicken kann. Eine durch Wachposten und Zäune geschützte Siedlung mit schmucken Villen, gepflegten Gärten, schattigem Park und einem Spielplatz mit Schaukeln. Hier haben sich reiche Jordanier mit viel Geld ein kleines Rückzugsgebiet geschaffen, 40 Kilometer entfernt von der hektischen Hauptstadt Amman. Das Elend der anderen wirkt in dieser Oase seltsam weit entfernt. Obwohl die Armut gleich nebenan wohnt. Denn nur ein paar hundert Meter entfernt vom Prunk versucht Ahamad, irgendwie über die Runden zu kommen.
Ein Großteil des beschwerlichen Alltags der syrischen Flüchtlingsfamilie findet seit gut einem Jahr in einem baufälligen Haus statt. Eine staubige Geröllpiste führt zu dem grauen Betonklotz mit den unverputzten Außenmauern. Dort, wo eigentlich Fenster und Türen hingehören, flattern bunte Decken im Wind. Zwei Räume stehen Ahamad, seiner Frau Sweihah und den drei Söhnen zur Verfügung. Eine karge Welt von vielleicht 20 Quadratmetern mit ein paar Matratzen auf dem Fußboden, grüner Farbe, die von den Wänden abblättert und zahllosen Fliegen, die durch den Raum surren.
Aus Wochen wurden Monate, dann Jahre
„Es gibt hier zwar Schlangen und Skorpione. Aber wir haben immerhin ein Dach über dem Kopf“, sagt Sweihah, eine resolute Frau in weinrotem Gewand und mit geblümtem Kopftuch. Das stimmt. Aber ihre Stimme klingt nach Resignation. Die 41-jährige Frau und ihr etwas älterer Mann haben durch den Bürgerkrieg in der Heimat alles verloren – ihr Zuhause, ihr bescheidenes Hab und Gut, ihr altes komfortables Leben. Mittlerweile schwindet auch die letzte Hoffnung, dass sich ihr Schicksal bald zum Besseren wendet. In Jordanien wollten sie allenfalls ein paar Monate bleiben und dann zurückkehren. Daraus sind Jahre geworden. Und die Lage wird von Woche zu Woche trister.
Wie den Mislems ergeht es vielen Flüchtlingen in Jordanien. Gut 650.000 Syrer sind als Schutzsuchende registriert. Die Regierung in Amman spricht sogar von mehr als einer Million Menschen. Die meisten kamen zwischen 2013 und 2014. „Zeitweise waren es bis zu 6000 Menschen pro Tag“, sagt Volker Schimmel, der für die UN von Amman aus die Hilfe für Syrer organisiert. Danach ging die Zahl deutlich zurück. Heute schaffen es nur noch wenige Vertriebene über die Grenze. In erster Linie, weil die Behörden Frauen, Kinder und Männer nicht mehr ins Land lassen. Jene, die Unterschlupf gefunden haben, bereiten Jordanien genug Probleme.
Doch für die Mislems gab es keine Alternative. Als die Bomben ihr Zuhause dem Boden gleichmachen, verlässt die Familie 2013 Hals über Kopf Daraa, eine Stadt ganz im Südwesten Syriens und einst Hochburg des Widerstands gegen Machthaber Baschar al Assad. Mit ein paar Tüten in der Hand beginnt eine Odyssee durch das zerfallende Land. Die Familie flieht vor der Gewalt von Ort zu Ort, immer auf der Suche nach Schutz und Sicherheit. Vergeblich. Also beschließt sie, über die nahegelegene Grenze nach Jordanien zu fliehen.
"Besser als in Syrien"
Dort finden sie zunächst Unterschlupf in dem riesigen Flüchtlingscamp Zaatari. Die Mislems halten nur ein paar Wochen durch. Mutter Sweihah verträgt das staubige Klima nicht, sie hat Asthma. Deshalb ziehen sie weiter, ins weit im Osten gelegene Mafraq. Und bleiben wieder nur kurze Zeit. Die Mieten sind unerschwinglich. Schließlich landen die Eltern und ihre Kinder in dem Haus, das wie ein verwilderter Rohbau wirkt. „Unsere Situation ist schlecht, aber sie ist immer noch besser als in Syrien, wo wir tagtäglich um unser Leben und das unserer Söhne fürchten mussten“, sagt Sweihah.
Fast sieben Millionen Einwohner hat Jordanien. Viele von ihnen sind Palästinenser, die schon lange im Land leben, aber oft als Unruhestifter gelten. Jetzt kommen hunderttausende Syrer als „demografisches Problem“ mit erheblichen politischen und sozialen Folgen hinzu. Denn 90 Prozent der Geflohenen gelten laut den Vereinten Nationen als arm. Sie müssen im haschemitischen Königreich versorgt werden. Allein die Gesundheitsversorgung verschlingt Millionen. Jordanien muss eine große Last schultern.
Auch, weil die Bedürftigen auf den ohnehin umkämpften Wohnungs- und Arbeitsmarkt drängen. Die Löhne sinken, weil die Syrer bereit sind, Jobs zu Dumpinglöhnen anzunehmen. In der Regel illegal. Eine Arbeitserlaubnis haben die wenigsten. Die Mietpreise wiederum schnellen empor, weil die Flüchtlinge dringend eine Bleibe brauchen. Anders als häufig vermutet leben lediglich 15 Prozent der Flüchtlinge in zumeist recht gut organisierten Camps. Die überwiegende Mehrheit ist in Gemeinden, Städten und auf dem Land untergekommen. Sie hausen in Zelten auf Äckern und Feldern, in Garagen, feuchten Kellern oder in heruntergekommenen Wohnungen – zur Miete. Alle Syrer klagen über enorme Kosten für eine Bleibe. Das Geld können viele nur aufbringen, wenn sie sogar beim Nötigsten sparen. Ahamad und seiner Familie geht es genauso.
Hilfe im Alltag
„Alle Ersparnisse sind aufgebracht“, sagt der 43-jährige schlanke Mann mit der grünen Hose und dem schwarzen Shirt. Seinen Blick hat er dabei wie so oft auf den Boden gerichtet. Etwas gedankenverloren wirkt er. So als hänge er seinen Erinnerungen an alte Zeiten nach, als das Leben halbwegs annehmbar war. Ahamad war in Syrien Lkw-Fahrer. Und er hielt einige Schafe, die zusätzlich ein wenig Geld einbrachten. Wie viele andere Syrer in Jordanien kommt die Familie heute ohne fremde Unterstützung nicht aus. So steuert das Welternährungsprogramm der UN ein wenig Geld für Lebensmittel bei. Mehr als 550 000 Flüchtlinge in Jordanien bekommen diese Art Hilfe. Ahamads Familie erhält umgerechnet gut 60 Euro pro Monat. Das ist immerhin etwas. Aber es reicht bei Weitem nicht. „Allein die Miete beträgt 75 Dinar (fast 100 Euro) monatlich“, erzählt Sweihah. „Und Strom kostet extra.“ Da nutzt es wenig, dass Ahamad ab und zu in der Umgebung Ställe ausmisten kann. Für einen Zehn-Stunden-Tag gibt es bestenfalls sieben, acht Euro.
An allem muss die Familie daher sparen. Nur auf eines will sie keinesfalls verzichten: den Schulbesuch der Kinder. „Lieber schränken wir uns beim Essen ein“, sagt Mutter Sweihah. Hauptsache, die 30 Dinar für den Schulbus kommen zusammen. Wenigstens die Söhne sollen die Chance auf ein besseres Leben haben. So beschränkt sich der Einkauf auf Pasta und Reis. Für andere Dinge fehlt das Geld. „Die Kinder brauchen dringend neue Kleidung“, sagt Sweihah. Keine Chance. Und noch einen Wunsch hat die Mutter für ihre Söhne. „Ein paar Bananen wären wunderbar.“ Die gab es seit Monaten nicht mehr.
Die Recherchereise wurde von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. organisiert und vom Bundesministerium für Entwicklung finanziert.