zum Hauptinhalt
Finanzminister Wolfgang Schäuble (links) und sein griechischer Amtskollege Yanis Varoufakis.
© AFP

Griechenland-Krise: Auf Crashkurs

Auch wenn Athen und die Euro-Partner nach einer Lösung suchen, wächst das Risiko eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone. Wie geht es jetzt weiter?

Die Nervosität in Europa nimmt wieder zu, nachdem die Euro-Gruppe auch am Montag mit dem Versuch gescheitert ist, gemeinsam mit der Links-Rechts-Regierung in Athen eine Lösung für Griechenland zu finden. Die Kompromisssuche ging am Dienstag weiter. Gleichzeitig rückte das Szenario eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone zunehmend ins Blickfeld. Neben dem so genannten „Grexit“ wird inzwischen auch über einen „Grexident“ spekuliert – einen Unfall, der eher unfreiwillig von Hardlinern auf beiden Seiten ausgelöst wird und die Rückkehr zur Drachme zur Folge hätte.

Woran hakt es bei den Verhandlungen zwischen Athen und den Geldgebern?

Am Montagabend hatte der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis die Forderung der Euro-Partner zurückgewiesen, das bestehende Hilfsprogramm um sechs Monate zu verlängern. Obwohl Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem in Aussicht stellte, dass Griechenlands Partner bei einigen Details des Programms Athen entgegenkommen würden, verfolgt die griechische Regierung bislang eine andere Marschrichtung. Sie argumentiert, dass sie von den Wählern damit beauftragt worden sei, das Hilfsprogramm zu beenden. Deshalb erklärte Varoufakis, er strebe eine „Verlängerung der Kreditvereinbarung“ an. Was sich zunächst nur wie ein Streit um Worte anhört, hat mit unterschiedlichen Auffassungen zu tun. Finanzminister Wolfgang Schäuble erklärte am Dienstag, Athen müsse sich dazu verpflichten, „das Programm zu erfüllen“. Varoufakis möchte aber offenbar eine Brückenfinanzierung ohne Reformauflagen. Atmosphärisch gibt es nach der Darstellung Schäubles im Verhältnis mit seinem neuen Kollegen aus Griechenland indes nichts zu beklagen. Es gebe keine Probleme im persönlichen Umgang mit Varoufakis, sagte der deutsche Ressortchef. Nebenbei erwähnte er, dass sich Varoufakis in einem persönlichen Gespräch von einer Karikatur in der Parteizeitung des regierenden Linksbündnisses distanziert habe, die Schäuble in die Nähe von NS-Verbrechen an den Juden gerückt hatte. Dennoch ging der Hickhack am Dienstag weiter. Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras appellierte an Schäuble: „Es wäre besser, er würde Völker bemitleiden, die mit hängendem Kopf gehen.“ Zuvor hatte der deutsche Finanzminister erklärt, die Griechen täten ihm leid, weil sie eine Regierung gewählt hätten, die sich im Augenblick ziemlich unverantwortlich verhalte.

Wie lange will Schäuble noch verhandeln?

Trotz des vorläufigen Scheiterns der Gespräche deutet immer noch viel darauf hin, dass die Finanzminister – möglicherweise bei einem Treffen am kommenden Freitag – doch noch eine Lösung finden. Schließlich würden Griechenland anderenfalls Milliardenbeträgen entgehen: die letzte Rate aus dem Rettungsschirm EFSF in Höhe von 1,8 Milliarden Euro, weitere 1,9 Milliarden aus dem SMP-Aufkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) und ein EFSF-Puffer über 10,9 Milliarden. Weil Athen sich diese Hilfen möglicherweise doch noch sichern will, stellt sich Schäuble offenbar auch schon auf eine Einigung in letzter Minute vor dem Auslaufen des Hilfsprogramms am 28. Februar ein. Im äußersten Fall, sagte Schäuble, könne der Bundestag seine Zustimmung zu einer Verlängerung des Hilfsprogramms auch noch am 27. Februar geben. Danach soll nach den Worten des Finanzministers aber Schluss sein: „Am 28., 24 Uhr, is over.“

Gibt es Alternativen zum bestehenden Hilfsprogramm?

Verwirrung gab es um Varoufakis’ Darstellung, er hätte am Montag ohne Probleme einem Angebot des französischen EU-Währungskommissars Pierre Moscovici zustimmen können, das aber anschließend vom Niederländer Dijsselbloem wieder vom Tisch genommen worden sei. In Moscovicis Entwurf für die Abschlusserklärung des Euro-Gruppentreffens war von einem „Zwischenprogramm“ die Rede, das die Griechen bis zu einem neuen Abkommen mit den Geldgebern finanziell über Wasser halten könnte. Faktisch liefe eine derartiges Zwischenprogramm auf eine Verlängerung des bestehenden Hilfsprogramms hinaus – allerdings unter weniger hart formulierten Bedingungen.

Welche Szenarien gibt es für die nächsten Wochen?

Jenseits einer Verhandlungslösung in den nächsten Tagen, die nach wie vor sehr wahrscheinlich ist, sind noch mehrere andere Szenarien denkbar. In einer Analyse des „Jacques Delors Institut – Berlin“ werden drei Möglichkeiten untersucht: Tsipras könnte zum einen eine Parallelwährung einführen, um seine Wahlversprechen zu erfüllen. Zum anderen könnte die Euro-Gruppe und die EZB Tsipras zur Einführung der Drachme zwingen, indem sie die Geldzufuhr stoppen. Und drittens steht auch die Möglichkeit des „Grexident“ („Grexit by accident“) im Raum. Eine neue Parallelwährung müsste nach diesem Szenario dann eingeführt werden, falls ein Hasardeur-Spiel auf beiden Seiten einen „Bank-Run“ in Griechenland auslösen sollte.

Wie wahrscheinlich ist ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro?

Formal kann Griechenland nicht aus der Währungsunion austreten, ein Austritt eines Landes ist in den Verträgen gar nicht vorgesehen – wohl aber ein Austritt aus der EU. Andererseits können andere Euro-Staaten Griechenland auch nicht einfach aus dem Währungsverbund werfen. Trotzdem wird der Grexit unter Experten und Volkswirten heftig debattiert. Wenn dem Land das Geld ausgeht, ist das faktisch der Grexit. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, bewertet nach dem Scheitern der Gespräche der Euro-Finanzminister vom Montag die Wahrscheinlichkeit für den Grexit mit 50 Prozent, doppelt so hoch wie in der vergangenen Woche. „Am Freitag“, so der Ökonom, „könnte alles vorbei sein“.

Die weitere Entwicklung hängt nicht nur von der Regierung in Athen und Zugeständnissen der Euro-Staaten ab. Auch die Europäische Zentralbank spielt eine wichtige Rolle. Zwar können sich die Geldhäuser aus Griechenland seit Mitte vergangener Woche nicht mehr direkt bei der EZB mit Geld versorgen, weil die Notenbank griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit akzeptiert. Indirekt geht das aber über die griechische Notenbank. Sie gewährt den heimischen Banken über die Emergency Liquidity Assistance (Ela) mit Duldung der EZB Notfallkredite. Der Zins dafür liegt derzeit bei 1,55 Prozent, deutlich mehr als für normales EZB-Geld, für das nur 0,05 Prozent fällig sind. Letzte Woche hat die Europäische Zentralbank den Ela-Rahmen auf 65 Milliarden Euro erhöht. Viel kommt jetzt, sagt Krämer, auf die Sitzung des EZB-Rates an diesem Mittwoch an: Erhöhen die Notenbanker den Ela-Rahmen noch einmal? Stellen sie Bedingungen wie etwa eine Einigung mit dem Euro-Verbund?

Welche Folgen hätte ein Grexit für Griechenland?

Für Griechenland wäre ein Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone, ausgelöst durch eine mögliches Veto gegen die Ela-Notfallhilfen, nach übereinstimmender Meinung von Experten eine Katastrophe. Nur mit einer neuen Drachme könnte das Land liquide bleiben und den Zusammenbruch des Bankensystems in diesem Fall verhindern. Indirekt müsste die neue Währung, vermutet Christoph Weil von der Commerzbank, auch den bankrotten Staat finanzieren, damit Staatsdiener bezahlt und Renten überwiesen werden können. Bankguthaben würden umgestellt, Löhne und Gehälter in Drachme überwiesen, in den Geschäften würde wieder mit Drachme bezahlt.

Allerdings würde die wieder eingeführte Drachme gegenüber der europäischen Gemeinschaftswährung dramatisch an Wert verlieren. Damit würden die Schulden des Staates massiv steigen: Die Volkswirte der Commerzbank vermuten, dass die Verbindlichkeiten Griechenlands auf bis 230 Prozent der Bruttoinlandsproduktes (BIP) anwachsen würden. Aktuell beträgt Griechenlands Schuldenstand rund 175 Prozent des BIP. Auch die Schulden von Banken und Unternehmen im europäischen Ausland würden sich deutlich erhöhen, der Schuldendienst würde teurer. Für manche Unternehmen könnte das zu teuer werden – die Pleite wäre die Folge.

Nur langfristig, vermutet Commerzbanker Weil, könnte die griechische Wirtschaft vom Grexit profitieren, weil die Unternehmen wieder wettbewerbsfähiger würden und im Export mit günstigeren Preisen punkten könnten. Wirtschaftliche Impulse wären auch zu erwarten, weil der Urlaub in Griechenland mit einer neuen Währung billiger würde. Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner Ifo-Instituts, plädiert deshalb schon länger für einen Grexit.

Kurzfristig aber rechnen Volkswirte mit einem Einbruch der Wirtschaft von bis zu zehn Prozent. Hauptgründe: Importe wie Benzin oder Medikamente würden deutlich teurer, weil sie weiter in Euro bezahlt werden müssen. Ausländische Lieferanten könnten auf Vorkasse bestehen. Griechische Unternehmen, die auf Vorprodukte aus dem Ausland angewiesen sind, könnten Investitionen bremsen und Mitarbeiter entlassen.

Was würde ein Austritt Griechenlands aus dem Euro für Deutschland bedeuten?

Ein Grexit würde die Euro-Zone zwar nicht aus den Angeln heben. Ausländische Banken, auch die deutschen, würden diese Entwicklung verkraften. Forderungen ausländischer Institute gegenüber Griechenland lagen Ende 2014 bei rund 50 Milliarden Dollar. 2010 waren es noch mehr als 300 Milliarden.

Zahlen müssten aber die Steuerzahler in den anderen Euro-Staaten. Der Europäische Rettungsfonds, die Euro-Länder und die EZB halten zwei Drittel der griechischen Staatsschulden, insgesamt etwa 215 Milliarden Euro. „Diese Forderungen wären wohl zum größten Teil verloren“, vermutet Christoph Weil von der Commerzbank. Auch die Forderung des Euro-Systems an die griechische Notenbank, die so genannten Target-Salden, könnte man vermutlich abschreiben. Das wären noch einmal 50 Milliarden Euro. Deutschland selbst müsste auf bis zu 60 Milliarden Euro verzichten, rechnen Experten vor.

Zur Startseite