Irak: Auf breiter Front
Iraks Premier hat kaum noch Fürsprecher – selbst Schiiten fordern jetzt eine Einheitsregierung.
Nach scharfen Angriffen von Politikern aus der Golfregion und den USA verliert Iraks Premier Nuri al Maliki nun offenbar auch die Unterstützung in den eigenen Reihen. Am Freitag forderte Ayatollah Sistani, der wichtigste schiitische Würdenträger, eine neue Regierung für den Irak, die die Fehler der Vergangenheit vermeiden müsse. Gebraucht werde eine „effiziente“ Regierung, „die auf nationaler Ebene akzeptiert wird, also Sunniten und Kurden einschließe. Auch US-Vizepräsident Joe Biden verlangt von Maliki, alle irakischen Gemeinschaften in die Regierungsarbeit einzubeziehen. Während der Premier im Moment vor allem auf eine militärische Lösung des Konflikts setzt, hat sein säkularer schiitischer Gegenspieler Iyad Allawi eine Initiative lanciert, die sowohl die Terroristen stoppen als auch die Aufspaltung des Landes verhindern soll. Dieser politische Fahrplan hat zwei Elemente: Zum einen soll es eine nationale Versöhnung geben, die sicherstellt, dass niemand vom politischen Prozess ausgeschlossen wird. Mörder und jene, die öffentliche Gelder veruntreut haben, sollen aber zur Verantwortung gezogen werden. Zum anderen ist eine Restrukturierung aller nationalen Institutionen auf der Basis des Bürgerprinzips vorgesehen, ohne konfessionelle und ethnische Quoten. Zuvor hatte bereits US-Außenminister John Kerry erklärt, alle Entscheidungen der USA würden mit Blick auf das irakische Volk gefällt und seien nicht auf Maliki fokussiert. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel wurde noch deutlicher. Er sagte, die Regierung in Bagdad habe ihr Versprechen nicht gehalten, wirklich mit den sunnitischen und kurdischen Führern zu kooperieren. Das war das erste Mal, dass die USA offen auf Distanz zum zunehmend autokratisch herrschenden schiitischen Regierungschef gingen. Der hatte sich in den vergangenen Monaten, bestärkt durch die Aussichten auf ein Atom-Abkommen zwischen den USA und Iran, einen Schlagabtausch mit Saudi-Arabien geliefert. Ende November war sogar ein saudischer Grenzposten mit Granaten beschossen worden – der schlimmste militärische Zwischenfall seit der US-Invasion 2003. Der Chef einer schiitischen Miliz warnte damals ganz offen, das sei erst der Anfang gewesen, sollte Riad das Muskelspiel im Irak mit der Unterstützung sunnitischer Gruppen nicht beenden.Nach den jüngsten Erfolgen der Dschihadisten hatte Maliki nachgelegt und Saudi-Arabien beschuldigt, die Terroristen zu unterstützen. Außenminister Prinz Saud al Faisal sprach am Donnerstag von einer lächerlichen Unterstellung und betonte, Malikis diktatorische Politik hätte zu diesem Aufstand geführt. Die Kämpfer der Extremistengruppe „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ würden aber nicht den Willen des Volkes vertreten, sondern seien destruktive Terroristen. Für den 64-jährigen Maliki wird es nun eng. Bei den Parlamentswahlen Ende April hatte Washington ihn noch gestützt. Seine politischen Gegner hatten damals den USA vorgeworfen, Fälschungen beim Zählvorgang zu dulden, die von der Wahlkommission bestätigt worden waren. Die ehemalige Besatzungsmacht wolle Maliki den Weg für eine dritte Amtszeit ebnen, lautete die Interpretation der Kritiker. Maliki hat die Wahl zwar mit seiner Koalition gewonnen, kann aber nicht alleine eine Regierung bilden.
Inzwischen hat sich die Lage im Land dramatisch zugespitzt. Nach UN-Angaben haben etwa eine halbe Million Frauen, Kinder und Männer aus Furcht vor Übergriffen durch islamistische Kämpfer die zweitgrößte irakische Stadt Mossul verlassen. Zehntausende weitere Menschen seien aus den benachbarten Provinzen Dijala und Salaheddin geflohen.
Irans Regierung hat derweil Amerikas Haltung im Irak-Konflikt kritisiert. US-Präsident Barack Obama fehle der ernsthafte Wille, den Terrorismus im Irak und in der Region zu bekämpfen, sagte Vize-Außenminister Hossein Amir Abdollahian am Freitag. Obama hatte zuvor zwar erklärt, die USA seien bereit, „gezielte und präzise Militäraktionen“ auszuführen. Er ließ aber offen, ob es dazu tatsächlich kommen wird.