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Ein Aufsteller in Leipzig wirbt für die Corona-Impfung.
© Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa

Diffuse Gemengelage vor Abstimmung im Bundestag: Auch der Kompromiss zur Corona-Impfpflicht droht zu scheitern

Im Kampf gegen die Pandemie streitet der Bundestag seit Monaten über die drastische Maßnahme. Nun kommt es zum Finale. Vier Gruppen stehen sich gegenüber.

Nach monatelangem Ringen fällt der Bundestag an diesem Donnerstag (9.00 Uhr) die Entscheidung über die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht in Deutschland.

Für die Debatte sind rund 70 Minuten vorgesehen, anschließend wird namentlich - also weitgehend ohne die sonst üblichen Fraktionsvorgaben - über die einzelnen Vorlagen abgestimmt. Vor der Abstimmung zeichnen sich keine klaren Mehrheitsverhältnisse ab.

Als einziger ausgearbeiteter Gesetzentwurf liegt ein Kompromissvorschlag für eine Impfpflicht zunächst für Menschen ab 60 Jahre vor. Darauf hatten sich zwei Gruppen von Abgeordneten aus SPD, FDP und Grünen verständigt. Zwei Anträge wenden sich gegen eine Impfpflicht, die Union fordert in einem Antrag zuerst den Aufbau eines Impfregisters.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich zunächst für eine Impfpflicht für alle Erwachsenen stark gemacht. Eine so große Lösung ist aber nicht mehr realistisch.

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Um doch noch ein mehrheitsfähiges Modell zu erreichen, weichten die Befürworter einer Impfpflicht ab 18 ihren Vorschlag auf und einigten sich mit einer Abgeordnetengruppe, die für eine mögliche Impfpflicht ab 50 eintrat, auf eine gemeinsame Initiative.

Zentrale Punkte des Entwurfs:

- Pflichten: Für alle ab 60 Jahre soll eine Pflicht kommen, bis zum 15. Oktober über einen Impf- oder Genesenen-Nachweis zu verfügen. Für alle von 18 bis 59 Jahre, die nicht geimpft sind, kommt zunächst eine Beratungspflicht - sie müssen bis dahin „eine individuelle ärztliche Beratung“ nachweisen. Über die Pflichten, Beratungs- und Impfangebote sollen die Krankenkassen bis 15. Mai die Bürger informieren.

- Ausnahmen: Von den Pflichten ausgenommen sind Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, und Frauen im ersten Schwangerschaftsdrittel.

- Kontrollen: Die Nachweise muss man Behörden ab 15. Oktober zusammen mit einem Lichtbildausweis vorlegen können. Zum Durchsetzen sollen im Notfall nur Zwangsgelder zulässig sein, keine Ersatzhaft. Unabhängig von Kontrollen müssen Nachweise bis 15. Oktober der Krankenkasse vorgelegt werden, die Kassen sollen dies zum 1. September anfordern.

- Zusätzliche Stufen: Der Bundestag soll im Licht des aktuellen Infektionsgeschehens beschließen können, dass die Nachweispflicht noch ausgesetzt wird. Ab dem 1. September kann das Parlament zudem beschließen, dass die Impfpflicht auch für 18- bis 59-Jährige kommt. Die gesamten Regelungen sollen bis 31. Dezember 2023 gelten.

- Register: Bis Ende 2023 soll ein Register eingerichtet werden, das erhaltene Impfungen gegen bestimmte übertragbare Krankheiten oder eine vorliegende Immunität erfasst.

Außer dem Gesetzentwurf liegen dem Bundestag drei Anträge vor:

- Die Union fordert ein Impfregister und spricht sich für einen „gestuften Impfmechanismus“ aus, den Bundestag und Bundesrat bei verschärfter Pandemielage in Kraft setzen könnten. Er könnte dann auch eine Impfpflicht vorsehen, aber nur für gefährdete Gruppen. Für die konkrete Einführung dieses Pakets wäre ein erneuter Bundestagsbeschluss nötig.

- Eine Abgeordnetengruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki fordert, die Impfbereitschaft ohne allgemeine Impfpflicht zu erhöhen.

- Die AfD fordert, von der Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht Abstand zu nehmen und die schon seit März greifende Impfpflicht für Personal in Einrichtungen wie Kliniken und Pflegeheimen aufzuheben.

FDP-Fraktionschef will gegen Kompromiss stimmen

Vor der Abstimmung über die Vorschläge zur allgemeinen Corona-Impfpflicht hat sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) optimistisch geäußert. Er glaube, dass der Kompromissvorschlag aus den Ampel-Fraktionen eine Mehrheit bekomme, sagte er am Mittwochabend in der ARD. Sollte die von ihm unterstützte Impfpflicht scheitern, denke er aber „natürlich nicht“ über einen Rücktritt nach.

Der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann wiederum, einer der Architekten des Kompromissvorschlags, gab sich weniger zuversichtlich. „Dieser Kompromiss sollte inhaltlich mehrheitsfähig sein, ich kann nur nicht sagen, ob er es auch politisch ist“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Wenn sich keiner der Vorschläge für eine Impfpflicht durchsetzen sollte, wäre das mit Blick auf die pandemische Dynamik „ein schlechtes Signal“, betonte Ullmann.

Ullmanns eigener Fraktionsvorsitzender Christian Dürr (FDP) will dem neuen Antrag indessen nicht zustimmen. Er hätte für die ursprünglich von Ullmann vorgeschlagene Beratungspflicht gestimmt, sagte Dürr dem „Handelsblatt“. Da dieser Vorschlag zurückgezogen wurde, könne er „keinem der vorliegenden Anträge zustimmen“. Dabei handele es sich aber nicht um eine Richtungsweisung für seine Partei, betonte er.

„Impfvorsorgemechanismus“ als Alternativvorschlag

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bekräftigte das Nein der Unions-Fraktion. „Die Fragen der Umsetzung, der Kontrolle und der Anwendbarkeit bleiben nach wie vor unbeantwortet“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“ über den Kompromissvorschlag von Mitgliedern der Ampel. Er rief die eigenen Abgeordneten zur Geschlossenheit auf und appellierte an die Ampel, „bei unserem ausgewogenen Vorschlag eines Impfvorsorgegesetzes mitzumachen“.

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Auch CDU-Generalsekretär Mario Czaja betonte die Einheit der Union. „Die Fraktion steht geschlossen hinter unserem Antrag“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.  Dem Kompromissvorschlag aus der Ampel räumt er demnach kaum Chancen ein. „Bislang sehe ich für keinen Antrag im Parlament eine Mehrheit.“ Da die Union stattdessen einen „Impfvorsorgemechanismus“ vorschlage, um im Herbst auf eine mögliche neue Virusvariante vorbereitet zu sein, halte er dies jedoch derzeit für kein Problem.

Entscheiden muss der Bundestag voraussichtlich zuerst noch über die Reihenfolge bei der Abstimmung. SPD und FDP hatten signalisiert, dass zuerst über die Anträge entschieden werden soll und zum Schluss über den Entwurf für die Impfpflicht. Dies könnte die Chancen erhöhen, dass manche Abgeordnete letztlich für ihn stimmen, nachdem eigentlich bevorzugte Initiativen zuvor keine Mehrheit bekommen haben. Da es in der Union - so wie in allen anderen Fraktionen - auch Befürworter und Gegner einer Impfpflicht gibt, wird interessant sein, ob wirklich alle 197 Abgeordneten dafür stimmen.

Union warnt Ampel vor „Winkelzug“

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Tino Sorge, warf den Ampel-Parteien deshalb in der „Rheinischen Post“ vor, „aus taktischen Gründen die Reihenfolge der Abstimmungen auf den Kopf zu stellen. Wir rufen die Ampel dazu auf, an der langjährigen Tradition festzuhalten, dass im Plenum zuerst über die tiefgreifendste Vorlage abgestimmt wird. Alles andere wäre ein Skandal.“

Die Unionsführung fürchtet, dass eigene Abgeordnete der Impfpflicht ab 60 zur Mehrheit verhelfen könnten, wenn ihr eigener Antrag erst gescheitert ist. Daher wollen sie eine Abstimmung über ihren Antrag vor dem der Impfpflichtbefürworter unbedingt verhindern. „Ein solcher Winkelzug würde langanhaltend Schaden anrichten“, mahnte Sorge.

Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen kritisierte wiederum das Beharren der Union auf der Fraktionsdisziplin. „Statt Parteitaktik ist Prävention der beste Weg aus der Pandemie. Parteitaktik ist ein Virus für das Vertrauen in die Politik“, sagte Dahmen der „Rheinischen Post“.

Auch die SPD-Chefin Saskia Esken hat die Haltung führender Unions-Politiker vor der Abstimmung scharf kritisiert. „Die Fundamentalopposition, die der Partei- und Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Friedrich Merz, und sein Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei im Zusammenhang mit der Impfpflicht betreiben, ist plumpe Parteipolitik“, sagte Esken dem Redaktionsnetzwerk Deutschland  am Mittwoch. Sie reagierte damit auf einen Brief, in dem Frei die Mitglieder der eigenen Fraktion aufgefordert hatte, alle Anträge zur Einführung einer Impfpflicht im Bundestag abzulehnen und nur dem Antrag der Union zuzustimmen, auch wenn dieser keine Mehrheit finde.

Impfkampagne nahezu zum Erliegen gekommen

Nötig für ein Gesetz wäre die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Der Bundestag hat 736 Mitglieder - würden alle an der Abstimmung teilnehmen und entweder mit Ja oder Nein stimmen, läge die Mehrheit also bei 369 Stimmen.

Seit Beginn der Pandemie war eine allgemeine Impfpflicht lange über Parteigrenzen hinweg ausgeschlossen worden. Angesichts schleppender Impfungen sprachen sich Ende vergangenen Jahres Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidenten dann doch dafür aus. Wenn der Bundestag die Impfpflicht beschließt, müsste der Bundesrat zustimmen.

In Deutschland haben mittlerweile mindestens 63,2 Millionen Menschen oder 76 Prozent aller Einwohner den Grundschutz mit der nötigen zweiten Spritze, wie aus Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervorgeht. Die Quote bei den Einmalgeimpften liegt bei 76,6 Prozent. Die Impf-Kampagne ist aber nahezu zum Erliegen gekommen.

Das RKI weist seit längerem darauf hin, dass die ausgewiesenen Zahlen als Mindestimpfquoten zu verstehen sind. Das RKI geht davon aus, dass die tatsächliche Impfquote bis zu fünf Prozentpunkte höher liegt als auf dem Dashboard angegeben. (dpa, AFP)

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