Griechenland: Athen braucht mehr Zeit für Reformen
Für Athen wird die Zeit immer knapper. Doch die Reformen und Privatisierungen laufen schleppend an. Ohne die acht Milliarden Euro aus dem EU-Rettungspaket droht Griechenland Mitte Oktober erneut die Pleite.
Die griechischen EU-Beamten sind aus dem Sommerurlaub in der Heimat zurück und berichten im Vergleich zum Vorjahr von großen Veränderungen. Überall gebe es nun Kassenzettel, die die stark gestiegene Mehrwertsteuer ausweisen – am Obststand, im Restaurant, an der Tankstelle. Das ist ein Anfang, wenn es darum geht, dass die geschätzten 30 Milliarden Euro, die dem Fiskus jährlich entgehen, auch tatsächlich in die Staatskasse fließen. Von nächster Woche an sollen die Namen der größten Steuerhinterzieher im Internet veröffentlicht werden.
Am Beispiel der Steuereintreibung lässt sich das Problem Griechenlands gut beschreiben. Die im Gegenzug für die Milliardenhilfen vereinbarten Reformgesetze sind großteils in Kraft, doch hapert es an der Umsetzung. Viele der rund 20 000 Finanzbeamten, deren Gehalt auch um ein Fünftel gekürzt wurde, sehen nicht ein, warum sie nicht gegen einen kleinen Zuverdienst weiter beide Augen zudrücken sollten. „Teilweise ist die Mentalität das Problem“, sagt ein Brüsseler EU-Beamter aus Griechenland: „Wir haben unser Land über viele Jahre zerstört, jetzt können wir es nicht innerhalb eines Jahres wiederaufbauen.“ Weniger schnell als erhofft beziehungsweise von den EU-Partnern verlangt geht es auch in anderen Bereichen voran. Von den Privatisierungserlösen – fünf Milliarden Euro in diesem Jahr, weitere 28 Milliarden bis 2014 – fehlt jede Spur. Doch hat Finanzminister Evangelos Venizelos nun eine Liste mit den ersten Staatsbetrieben vorgelegt, die auf den Markt kommen – darunter der Flughafen der Hauptstadt und zwei Energieversorger. Es geht also voran, aber eben langsamer als gedacht, und ob es klappt, bis Jahresende Käufer zu finden, ist unklar.
Ähnliches gilt für Investitionen aus dem Ausland. Infrastrukturprojekte sind angedacht, etwa ein Photovoltaikpark im Norden des Landes. Es gibt den auch von Finanzminister Wolfgang Schäuble geäußerten Traum vom energieautarken Sonnenland Hellas, das sogar noch Strom exportieren kann. Gesetze zur schnelleren Genehmigung sind in Kraft, nur angebissen hat noch keiner. Aus diplomatischen Kreisen ist gleichwohl zu hören, dass mit Investoren aus Deutschland und Katar verhandelt wird. „Manche Dinge“, sagt der griechische Diplomat, „brauchen einfach Zeit.“ Die aber wird, was die Auszahlung der nächsten acht Milliarden Euro aus dem Rettungspaket angeht, knapp. Schäuble und Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker aus Luxemburg haben erneut klargemacht, dass es ohne positives Reformzeugnis durch die Troika von EU-Kommission, EZB und Weltwährungsfonds kein weiteres Geld gibt. Dann droht Mitte Oktober – erneut – die Pleite.
Dass die Rückkehr zu Wachstum und damit auch höheren Steuereinnahmen Zeit brauchen wird, scheint zumindest in der EU-Kommission eine akzeptierte Tatsache zu sein – auch weil die Verwaltung mit dem Reformmarathon schlicht überfordert scheint. Erst am Donnerstag meldete das griechische Statistikamt, die wirtschaftliche Talfahrt werde noch schlimmer als befürchtet. Um Wachstum zu generieren und die auf 45 Prozent gekletterte Jugendarbeitslosigkeit abzubauen, kursieren viele Ideen. Von einer Sonderwirtschaftszone ist in Brüssel die Rede, die aber den Binnenmarktregeln widersprechen würde. Der Ökonom Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies regt an, die griechischen Banken großen europäischen Instituten zu verkaufen, um die Kreditklemme zu beseitigen. Der Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, Plutarchos Sakellaris, schlägt einen Garantiefonds vor, der Investoren einen Teil des Risikos abnehmen würde. „Wir können kurzfristig keine Wunder vollbringen“, sagt aber auch Sakellaris, auch seine Institution „braucht Hilfe, um Griechenland zu helfen.“