Manfred Schmidt im Interview über Flüchtlinge: "Asylverfahren für Syrer ließen sich um die Hälfte verkürzen"
Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamts für Migration, über steigende Flüchtlingszahlen, Verteilung in der EU und ein besseres Zusammenleben.
Die Innenminister von Bund und Ländern haben gerade eine Beschleunigung der Anerkennungsverfahren für Flüchtlinge aus sehr unsicheren Herkunftsländern beschlossen. Was heißt das für die Praxis des Bundesamts?
Schon jetzt ist im Asylverfahrensgesetz vorgesehen, dass wir auf die Anhörung verzichten können, wenn wir erwarten, dass wir positiv entscheiden können. Die Interviews der Entscheider des Amts lassen sich somit mindestens verkürzen oder sogar ganz einsparen. Bei der Sicherheits- und Identitätsprüfung wird es natürlich bleiben.
Das hieße zum Beispiel für Asylbewerber aus Syrien?
Für sie dauern die Verfahren derzeit im Schnitt 4,7 Monate. Das ließe sich zumindest auf die Hälfte der Zeit reduzieren.
Für welche weiteren Herkunftsländer wäre ein beschleunigtes Verfahren sinnvoll? Zum Beispiel für Menschen aus dem Irak und Eritrea?
Im Irak ist die Lage nicht so eindeutig wie in Syrien. Iraker aus dem Grenzgebiet zu Kuwait sind in einer anderen Situation als ihre Landsleute in der Gegend von Erbil. Das berücksichtigen wir jetzt schon im Verfahren. Ob weitere Länder hinzukommen, müssten die Innenminister prüfen. Die Entscheidung, die Verfahren für bestimmte Herkunftsländer zu beschleunigen, ist aber auf jeden Fall eine Hilfe, für die Flüchtlinge selbst, die rascher einen sicheren Status haben, aber auch für mein Amt und die Länder und Kommunen, die die Unterbringung schneller klären können.
Werden auch Verfahren verkürzt, die schon begonnen haben?
So habe ich die Innenminister von Bund und Ländern verstanden. Allein im Moment sind 16.000 Verfahren syrischer Antragsteller noch nicht entschieden. Eine Stichtagsregelung, die sie ausschließt, ließe sich den Flüchtlingen, die seit langem warten, auch kaum vermitteln.
Die Innenminister haben auch – wie so oft – die konsequentere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber beschlossen. Das klappt aber auch ausweislich der Statistiken Ihres Bundesamts nur sehr selten. Wecken die Innenminister da nicht falsche Erwartungen – Hoffnungen bei denen, die Härte fordern, Ängste bei den andern?
Wir sind uns in Bund und Ländern einig, dass es ein Vollzugsproblem gibt und dass wir es angehen müssen. Schon um die Ressourcen zu haben, die wir für die brauchen, die hier bleiben. Im Augenblick gibt es eine sehr große Unterstützung für Flüchtlinge in der Gesellschaft, aber es gibt auch Zweifel, ob alle, die kommen, auch Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sind. Die Debatte kann rasch umschlagen.
Wenn nur einem Fünftel Ihrer Bitten um Rücknahme von den EU-Partnerländern auch tatsächlich entsprochen wird, dann liegt das Vollzugsproblem aber nicht in der Macht deutscher Politik und Behörden.
Die Quote derer, die nach den Dublin-Regeln in andere EU-Länder zurückkehren sollen, aktuell 21 000 Menschen, ist tatsächlich relativ gering. 17 Prozent davon werden durch Verwaltungsgerichte untersagt, weil die Bedingungen in diesen EU-Ländern für unzumutbar halten. Dann gibt es die, die untertauchen oder aufgelöste Familien, die nicht einfach von einem aktuell unauffindbaren Familienmitglied getrennt zurückgeschickt werden können. Von den aktuell 21000 Personen, für die ein anderes EU-Land zuständig ist, wurden bis dato rund 4000 tatsächlich überstellt.
Also doch falsche Erwartungen.
Nein, wir könnten mehr tun. Aber dies zu organisieren ist etwas anderes, als bei Ihnen in Berlin eine BVG-Karte zu lösen. Wenn die Ausländerbehörden sich jetzt aktuell mit der Unterbringung von Flüchtlingen beschäftigen müssen, fehlen ihnen Zeit und Mittel für Überstellungen. In Fällen außerhalb des Dublin-Verfahrens gibt es allerdings noch Luft nach oben..
Ihr Vorschlag, Asylbewerbern auch alternative, legale Wege nach Deutschland zu öffnen, stieß letztes Jahr auf Widerstand aus der Politik. Möchten Sie sich korrigieren?
Der Vorschlag fußte damals ja auf Vorschlag des Integrationsbeirats der damaligen Migrationsbeauftragten der Bundesregierung, Frau Professor Böhmer, auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeber hat entsprechende Vorschläge gemacht. Inzwischen hat sich allerdings viel getan. Die Vorschriften für den Arbeitsmarktzugang von Asylbewerbern ändern sich gerade, , auch die Vorrangprüfung wird erleichtert. Da bewegt sich viel. Wir wissen, dass es im Asylverfahren auch einen Anteil von Menschen gibt, die versuchen, auf diesem Weg, hier Arbeit zu finden. Denen sollte man sagen: Ihr müsst nicht euer Leben im Mittelmeer riskieren. Nutzt eure Mittel lieber auf den bereits möglichen Wegen, als sie für Schlepper auszugeben.
Und was ist mit denen, die schon hier sind?
Das sehe ich mittlerweile tatsächlich anders. Asyl ist ein individueller Anspruch. Ich kann nicht von jemandes möglichem Flüchtlingsstatus absehen, weil er hier einen Arbeitsplatz hat. Was ist, wenn er die Arbeit verliert? Aber auch abgelehnte Bewerber haben ja inzwischen zweite Chancen. Demnächst kommt die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für bisher Geduldete. Qualifizierte abgelehnte Asylbewerber haben Möglichkeiten, auch Kinder, die hier eine Ausbildung gemacht haben.
Sehen Sie weiteren Spielraum für Erleichterungen?
Ich glaube, beim Schaffen von Spielraum sind wir schon ziemlich weit gekommen. Die Residenzpflicht wird demnächst nach drei Monaten Aufenthalt abgeschafft, die Erleichterungen am Arbeitsmarkt habe ich schon erwähnt. Sprachkurse beginnen immer früher, schon während der Verfahren. Da haben wir einen Paradigmenwechsel, über den wir vor vier, fünf Jahren nicht einmal hätten diskutieren können. Das hat die Stimmung positiv verändert, nicht nur die der Flüchtlinge, sondern auch in den Gemeinden. Man sieht jetzt, dass die Leute lernen und arbeiten wollen, dass sie etwas tun – jetzt, da sie es überhaupt dürfen.
Wenn die Lage so gut ist: Was läuft gerade in Bayern schief? Eines der reichsten Bundesländer sieht sich außerstande, seine Flüchtlinge zu versorgen.
Viele Routen nach Norden führen nun einmal über Bayern, dort landen die Leute zuerst. Da hat es Bayern deutlich schwerer als zum Beispiel Niedersachsen. Und Sie müssen auch auf die steigenden Zahlen sehen: Zwischen Januar und September kamen 60 Prozent mehr Flüchtlinge an als im gleichen Zeitraum 2013. Das muss auf die Kapazitäten durchschlagen.
Sie haben kürzlich Kritik am Kirchenasyl formuliert. Was stört Sie am Engagement von Gemeinden?
Es ging mir nicht darum, das Kirchenasyl in Frage zu stellen, das eine lange Tradition hat. Mir ist aber aufgefallen, dass es anders als früher öfter gewährt wird, kurz bevor jemand nach den Dublin-Vorschriften ins EU-Ausland zurück soll. Als Bundesbeamter, der geltendes Recht umsetzen muss, frage ich mich dann schon: Geht es um das Schicksal des Flüchtlings oder ist das Systemkritik an Dublin? Auch wir überstellen keine Schwerstkranken. Wir haben früher eng mit den Kirchen zusammengearbeitet, auch informell. Da scheint mir etwas verloren gegangen zu sein. Aber wir haben uns bereits zu Gesprächen verabredet.
Innenminister de Maizière mahnte Deutschland Ende September, es müsse sich auf dauerhaft hohe Flüchtlingszahlen einstellen. Was heißt das für Sie?
Zunächst einmal: Dass wir die Strukturen, die wir jetzt aufbauen, behalten müssen. Wir sollten aus dem lernen, alle, Bund wie Länder, was wir ab etwa der Jahrtausendwende falsch gemacht haben. Verwaltung baut immer schneller ab als auf. Es genügt, die Abendnachrichten zu sehen, um zu wissen, dass die Welt um uns herum brennt. Libyen ist zusammengebrochen, die Lage in Afghanistan wird nicht besser, und es gibt keinen Anlass zu glauben, dass in Syrien in den nächsten zwölf Monaten Frieden einkehren wird. Asylverfahren, Aufenthaltstitel, die Integration derer, die hier bleiben: Das alles sollten wir als Daueraufgabe ansehen.
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