Flüchtlinge: Asylbewerber gehen auch ohne Abschiebung
Dürfen wirklich zu viele Ausländer bleiben, die Deutschland eigentlich verlassen müssten? Womöglich ist nur der Blick auf die Statistik der Abschiebungen schief.
Die Zahl abgelehnter Asylbewerber, die Deutschland auch tatsächlich verlassen, ist deutlich höher als meist diskutiert. Von den 45.444 Menschen, die etwa 2014 endgültig abgelehnt wurden, waren bis Ende des letzten Jahres 20.003 nicht mehr im Land, also 44 Prozent. Von den verbleibenden mehr als 25.000 hatte lediglich ein Zehntel keinerlei Aufenthaltsrecht in Deutschland. Mehr als die Hälfte von ihnen (56 Prozent) wurde geduldet - etwa ein Drittel, weil ihre Dokumente fehlten -, ein weiterer großer Teil, 27 Prozent, hatte einen anderen Aufenthaltstitel als Asyl. Diese Zahlen hat die Linksfraktion im Bundestag unter Verwendung von offiziellen Zahlen zusammengestellt, die sie durch mehrere parlamentarische Anfragen an die Regierung erhielt. Dass die Abschiebezahlen niedrig seien, sei "ein Mythos", hieß es aus der Fraktion.
Viele gehen, sehr viele ohne Zwang
Aus den verfügbaren Statistiken geht auch hervor, dass der Blick auf das Verhältnis zwischen Ausreisepflichtigen und Abgeschobenen ein schiefes Bild vermittelt. Viele, die Deutschland verlassen müssen, tun dies freiwillig, weil sie keine Chance mehr für sich sehen oder weil sie Geld oder andere Hilfen dafür bekommen, unter anderem aus Mitteln der Länder. So schob Sachsen-Anhalt in den letzten beiden Jahren nur leicht überdurchschnittlich ab, dennoch hatten bis Ende Dezember 57,3 Prozent der dort abgelehnten Asylbewerber Deutschland verlassen - die höchste Quote unter den Bundesländern. Auch Thüringen verzeichnet mit 53,5 Prozent einen sehr hohen Wert, abgeschoben wurde im Land aber deutlich seltener als im Bundesdurchschnitt.
Große Unterschiede zwischen den Bundesländern
Dass es zu wenig Mittel gebe, abgelehnte Asylsuchende auch wirklich außer Landes zu bekommen, wird immer wieder diskutiert. Kürzlich beklagte dies auch der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, in einem Interview. Anfang Februar geriet Bremen als das Land, das praktisch überhaupt nicht abschiebe, in die Kritik. Dort seien von 3100 Ausländern, die eigentlich hätten ausreisen müssen, letztes Jahr nur 43 abgeschoben worden, kritisierte die CDU in der Bürgerschaft des rot-grün regierten Landes. Tatsächlich verließen 2014 und 2015 nur 6,3 Prozent derer, die hätten gehen müssen, die Stadt - der niedrigste Wert eines Bundeslandes. Die Abschiebequote dürfte dafür allerdings nicht entscheidend gewesen sein, denn sie war ähnlich niedrig wie in Thüringen oder Berlin, wo dennoch mehr als die Hälfte der 2014 abgelehnten Asylbewerber Deutschland wieder verließen.
Asylpaket II zielt auf mehr Abschiebungen
Insgesamt hat sich die Zahl der Abschiebungen im letzten Jahr gegenüber 2014 auf knapp 21000 fast verdoppelt. Noch schneller stieg allerdings im gleichen Zeitraum die Zahl der Anträge auf Asyl: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verzeichnete 2015 ein Plus von 135 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Am Donnerstag beschloss der Bundestag mit dem Asylpaket II eine Verschärfung der Möglichkeiten, abgelehnte Asylbewerber loszuwerden. Unter anderem werden nur noch schwere Krankheiten als Grund anerkannt; ein ärztliches Attest genügt nicht mehr. Zugleich soll es möglich werden, kriminelle Ausländer leichter außer Landes zu bekommen. Juristen bezweifeln jedoch für einige der neuen Vorschriften, dass sie angewandt werden können.
Das Verschwinden der Eingereisten
Letzte Woche wurden zudem - ebenfalls durch eine Linken-Anfrage - genauere Zahlen über Asylbewerber bekannt, die nach der Registrierung in Deutschland vom Radar der Verwaltung verschwinden: Demnach kamen im vergangenen Jahr rund 13 Prozent der als Asylbewerber registrierten Menschen nicht bei der zuständigen Erstaufnahmeeinrichtung an, etwa 142.000 Menschen. Der Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Frank-Jürgen Weise, hatte schon mehrfach darauf hingewiesen, dass man über den Verbleib Tausender Flüchtlinge nicht Bescheid wisse. Nach Kenntnis des Innenministeriums und Bamf reisen etliche in andere Länder weiter, etwa nach Skandinavien, unter anderem weil sie dort bereits Familie oder Bekannte haben. Es gibt auch die Vermutung, dass sie bei Verwandten in Deutschland unterkommen, um nicht in engen Notunterkünften leben zu müssen oder von ihren Familien getrennt zu werden. Kürzlich hatte die europäische Polizeibehörde Europol Aufsehen mit der Mitteilung erregt, 10.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge seien in Europa unauffindbar und vermutlich Opfer krimineller Banden geworden, die sie versklavten und sexuell missbrauchten. Die Flüchtlingsfachfrau der italienischen Sektion von "Save the children" bestätigte die Zahl von Europol - 5000 junge Flüchtlinge fehlen allein in Italien - widersprach aber der Interpretation: Viele der Jugendlichen machten sich selbst auf den Weg zu Verwandten, Freunden oder ihr eigentliches Zielland, wenn sie erfahren, dass der offizielle Weg Jahre dauern kann. Das setze sie allerdings großen Gefahren aus.