Syrien: Assad lässt Armee weitermarschieren
Hunderte tote und tausende verletzte Zivilisten hat die blutige Offensive der syrischen Armee schon gefordert. Das Regime in Damaskus kann noch lange durchhalten.
Syriens Regime kämpft mit seinem Volk. 1400 Tote, Tausende auf der Flucht, mehr als Zehntausend im Gefängnis – Baschar al Assad hat sich in den vergangenen drei Monaten vor aller Welt als Schlächter und Despot desavouiert. Mit blutiger Verbissenheit wogt der Machtkampf hin und her, auch wenn das Geschehen im Inneren des abgeschotteten Landes verschwommen bleibt. Die Hauptstadt Damaskus hält sich abseits, einen Tahrir-Platz wie in Kairo gibt es nicht. Die zweite Metropole Aleppo wirkt unentschlossen. Bisher hat der Aufruhr vor allem kleine und mittlere Städte erfasst, eine kritische Masse hat er nicht erreicht.
Dennoch haben am Wochenende Streitkräfte das Dorf Badama an der türkischen Grenze gestürmt. Infanterie-Einheiten rückten unter Maschinengewehrfeuer und begleitet von Panzern in den kleinen Ort ein, berichteten Oppositions-Webseiten. Es sei willkürlich auf Häuser geschossen worden. Mindestens 20 Bewohner seien verletzt worden. Die Aktion erfolgte im Rahmen einer Strafexpedition der Truppen des Regimes von Präsident Baschar al Assad gegen Regimegegner und Deserteure in der nordwestlichen Provinz Idlib. Zuvor hatten die Streitkräfte die Kleinstadt Dschisr al Schogur überrannt und Durchsuchungen in Maarat al Noaman begonnen. Mehr als 10 500 Bewohner flohen in den vergangenen zehn Tagen über die nahe Grenze in die Türkei, darunter rund 5300 Kinder, berichtet die Nachrichtenagentur Anadolu.
Die türkische Regierung stellte bisher umgerechnet rund 1,6 Millionen Euro bereit, um die vor der Gewalt des syrischen Regimes geflohenen Menschen in vier Zeltstädten zu versorgen. Mit der Einnahme Badamas könnte den Menschen der Fluchtweg in das nördliche Nachbarland abgeschnitten werden, befürchten Menschenrechtsaktivisten.
Politisch scheint der Konflikt unlösbar. Am Anfang der Rebellion bot Präsident Baschar al Assad sogar Reformen an, ohne wirklich auf seine ererbte Allmacht zu verzichten. Kein Wunder, dass die Syrer ihrem Augenarzt-Präsidenten sein „Damaskus-Erlebnis“ nicht abnahmen. Denn die Menschen sind überzeugt, dass das Regime nicht reformierbar ist. Die mit drei präsidialen Dekreten inszenierte Umkehr empfanden sie als taktisches Manöver. Denn kaum hatte Assad das seit Ewigkeiten geltende Ausnahmerecht außer Kraft gesetzt, wurde das Wüten der Staatssicherheit wilder als zuvor. Kaum hatte er das friedliche Demonstrieren offiziell erlaubt, wurde noch brutaler in die Menge geschossen.
Baschar al Assad hat genügend Machtmittel, um es weitere Monate mit den Demonstranten aufzunehmen. In der Herrscherclique sind keine Risse erkennbar. Die Führungen von Sicherheitsapparat und Militär mit mehr als 400 000 Mann unter Waffen sind intakt, da fallen ein paar hundert desertierte Wehrpflichtige und Offiziere nicht ins Gewicht. Der 45-jährige Präsident und seine eingeflogenen iranischen Berater wissen, die grüne Protestbewegung 2009 in Teheran wurde erst nach acht Monaten niedergerungen. Und so setzt auch das Regime in Damaskus auf Folter und exemplarische Abschreckung, auf Ermüdung und Resignation.
Für den Nahen Osten ist Syrien ein neuralgischer Ort. Umringt von fünf Nachbarn übersteigt die strategische Bedeutung des Landes bei Weitem seine wirtschaftliche Kraft und sein demografisches Gewicht. Gemessen daran ist Gaddafis Libyen ein Spezialfall am Rande der Region. Ein Sturz des syrischen Regimes hingegen wird die arabische Welt umkrempeln, das über Jahrzehnte gewebte Netz an Machtbeziehungen mit einem Schlag zerstören. Das Nachsehen haben könnten Iran und Hisbollah, aber ebenso Israel, die Türkei und der Libanon, sollte das Post-Assad-Syrien den gleichen Weg in religiöse Gewalt und Chaos nehmen wie der Post-Saddam-Irak.
Diese Gefahren ahnen vor allem die religiösen Minderheiten, die sich von der alawitischen Herrscherclique bisher geschützt fühlten. Egal ob die syrischen Christen nach Ägypten oder Irak schauen, sie können sich leicht ausmalen, dass ihre Zukunft in einem sunnitisch dominierten Syrien schwieriger werden wird. Ähnliches gilt auch für die Schiiten, deren alawitischer Ableger als Haussekte des Assad-Clans jahrzehntelang überproportional mächtig war. Auch sunnitische Gotteskrieger könnten ihre Stunde gekommen sehen, denen gegenüber Syrien stets eine ambivalente Politik betrieb. Im Inland wurden sie hart überwacht, im Ausland als Unruhestifter gern gesehen. mit dpa
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