zum Hauptinhalt
Khadija Ismayilova, aserbaidschanische Journalistin.
© Radio Free Europe/Radio Liberty

Festnahme von Khadija Ismayilova: Aserbaidschans mutigste Journalistin im Gefängnis

Seit Jahren deckt die Journalistin Khadija Ismayilova in Aserbaidschan die Geschäfte der Präsidentenfamilie auf. Nun sitzt sie selbst im Gefängnis. Das autoritär regierte Land erlebt derzeit eine Welle der Repression.

Freunde und Kollegen hatten sie gewarnt. Geh nicht nach Baku zurück, sie werden auch dich ins Gefängnis stecken. Aber Khadija Ismayilova, Aserbaidschans bekannteste investigative Journalistin, schlug alle Angebote, in Europa zu bleiben, aus. Sie glaubte seit langem, dass ihr wegen ihrer Korruptionsrecherchen eine Festnahme drohte, und kehrte dennoch wie geplant von einer Europa-Reise nach Aserbaidschan zurück. Ihre Heimat wollte sie sich nicht wegnehmen lassen – vor allem aber wollte sie ihre Arbeit fortsetzen. Am vergangenen Freitag wurde die Journalistin in Baku festgenommen und zu zwei Monaten Untersuchungshaft verurteilt.

Ismayilova wagt sich an Recherchen, die für andere Journalisten in dem autoritär regierten Aserbaidschan als Tabuthema gelten: Sie hat in den vergangenen Jahren aufgedeckt, wie sich die Familie von Präsident Ilham Alijew bereichert hat – den Töchtern des Staatschefs gehören offenbar große Telekommunikationsfirmen, und selbst vom Bau der Halle für den Eurovision Song Contest 2012 hat die Präsidentenfamilie profitiert.

Bei ihrem letzten Deutschland-Besuch im Juni berichtete die 38-jährige Journalistin über die vielen politischen Gefangenen in ihrem Land. Der aserbaidschanische Menschenrechtler Rasul Jafarov, der an diesem Sommertag in Berlin ebenfalls mit am Tisch saß, erstellte später gemeinsam mit anderen Aktivisten eine Liste aller politischen Gefangenen und kam auf mehr als 90 Namen. Mittlerweile ist die Liste noch länger geworden, auch Jafarovs Name steht darauf, denn auch er sitzt heute im Gefängnis. Das Regime um Präsident Alijew hat in diesem Jahr die Repression so sehr verstärkt, dass derzeit nahezu alle bekannten Regierungsgegner hinter Gittern sitzen: Menschenrechtler und Journalisten, Politiker und Blogger, Wahlbeobachter und Jugendaktivisten. Andere sind ins Ausland gegangen oder untergetaucht, um einer Festnahme zu entgehen.

Erinnerungen an die Stalin-Zeit werden wach

Khadija Ismayilova sammelte in den vergangenen Monaten Geld für die politischen Gefangenen und ihre Familien. In Berlin berichtete sie von der Mutter eines inhaftierten Aktivisten der Jugendorganisation Nida, die dringend Geld brauchte. Ihr Sohn litt an Asthma, in seiner Zelle war es im Sommer unerträglich heiß und stickig. Die Mutter wollte das Geld einem Wachmann geben, damit er für ihren Sohn wenigstens das Zellenfenster öffnete. Ismayilova sagte damals, die Zustände in ihrem Land erinnerten sie an die Stalin-Zeit: Einer der Gefangenen musste sich in einem Brief von seiner Organisation distanzieren, ein anderer legte Blumen am Grab des Vaters von Präsident Alijew nieder, um freizukommen.

Ismayilovas Freunde sind nun in Sorge um sie. Ihre Familie dürfe ihr nicht einmal Essen ins Gefängnis bringen, berichtete der aserbaidschanische Aktivist Emin Milli  – und das, obwohl sie nach einer Operation eine besondere Kost benötigt. Die Journalistin selbst meldete sich am Dienstag aus der Haft zu Wort. Sie bleibe stark, und das sollten andere auch tun, sagte sie in einem Telefongespräch mit dem Sender Radio Free Europe/Radio Liberty, für den sie arbeitet. Die Vorwürfe gegen sie seien erfunden. „Das ist eine dreckige Schmutzkampagne.“ Die Behörden werfen ihr „Anstiftung zum Selbstmord“ vor, demnach soll sie einen Kollegen aus persönlichen Motiven beinahe in den Suizid getrieben haben.

Bundesregierung besorgt über Festnahme der Journalistin

Auch die Bundesregierung äußerte Besorgnis über die Festnahme der Journalistin. Sie habe „unerschrocken über Demokratiedefizite in Aserbaidschan berichtet“, erklärte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD). „Vor diesem Hintergrund erscheinen die nun gegen sie erhobenen Vorwürfe äußerst fragwürdig.“

Ermittlungen gegen Ismayilova gibt es schon länger, mit wechselnden Anschuldigungen. Im Jahr 2012 war die Investigativjournalistin Ziel einer Einschüchterungskampagne: Sie erhielt einen Brief mit intimen Fotos, die in ihrem Schlafzimmer aufgenommen worden waren – gemeinsam mit der Aufforderung, mit ihrer Arbeit aufzuhören, wenn sie nicht „entehrt“ werden wollte. Doch Ismayilova recherchierte weiter über die Geschäfte der Präsidentenfamilie, und die Fotos tauchten in regierungstreuen Medien auf.

Khadija Ismayilova lässt sich nicht einschüchtern

Doch einschüchtern ließ sich Ismayilova weder dadurch noch durch die in den vergangenen Monaten drohende Festnahme. Als sie im Oktober von ihrer Europareise zurückkehrte, wurde sie am Flughafen in Baku stundenlang vom Zoll festgehalten. Da dies aus ihrer Sicht ungesetzlich war, rief sie die Polizei. Die Zollbeamten wollten den Inhalt ihres USB-Sticks sehen – sie weigerte sich, weil es dafür keine rechtliche Grundlage gab. Später berichtete sie, dass der USB-Stick leer war. In einem Land ohne Rechtstaatlichkeit geht es Khadija Ismayilova um das Recht.

Jourmalistin will keine stille Diplomatie zu ihren Gunsten

Falls sie ins Gefängnis kommen würde, solle die internationale Gemeinschaft auf Diplomatie hinter verschlossenen Türen verzichten und stattdessen ihre Kritik laut und deutlich äußern, schrieb Khadija Ismayilova bereits im Februar. Sie wollte auch nicht, dass für ihre Freilassung der aserbaidschanischen Regierung irgendeine Anerkennung oder gar Gegenleistung versprochen wird. Ihr Fall sei nur eine von mehr als 100 politisch motivierten Festnahmen in ihrem Land. „Die Regierung von Aserbaidschan hat es geschafft, die Drehtüren der Gefängnisse zu nutzen, um ein positives Feedback vom Westen zu erhalten: einen Gefangenen freilassen, gelobt werden, zwei festnehmen.“ Wichtig war es ihr auch, dass die wahren Gründe ihrer Inhaftierung deutlich würden: „Antikorruptionsrecherchen sind der Grund für meine Festnahme. Der Regierung ist das, was ich tue, unangenehm.“ Tatsächlich scheint die Furcht der Behörden vor dieser Frau und ihrer Arbeit groß zu sein. Der Rechtsanwalt, der Ismayilova verteidigt, verlor am Mittwoch seine Anwaltslizenz.

Kollegen weltweit wollen ihre Arbeit fortsetzen

In vielen Ländern der Welt solidarisierten sich in den vergangenen Tagen Journalisten mit Khadija Ismayilova. Sie versprachen, die Arbeit der Kollegin fortzusetzen – und die Geschäfte der aserbaidschanischen Präsidentenfamilie weiter zu durchleuchten.

Zur Startseite