Umstrittene Ermittlungen: Apple darf nicht über das Gewaltmonopol des Staates siegen
Die Sperre auf Terroristenhandys muss für den Staat überwindbar bleiben - sonst ist sein Gewaltmonopol gefährdet. Ein Kommentar.
Der Streit zwischen Apple und der US-Justiz, ob das iPhone eines toten Terroristen entsperrt werden soll, gewinnt an Schärfe – und Reichweite. Google und Microsoft springen dem Elektronikkonzern bei, der UN-Menschenrechtskommissar warnt, wenn Apple einen Generalschlüssel programmiere, werde die Büchse der Pandora geöffnet, ein „Geschenk für autoritäre Regime sowie für kriminelle Hacker“. Das FBI kontert, der tote Attentäter könnte als Angestellter der Stadtverwaltung einen Virus in die IT-Systeme von San Bernardino geschleust haben.
Vielleicht ist das ein Vorwand. Aber wer für den Datenschutz argumentiert, sollte sich klarmachen, dass es hier nicht nur um die Aufklärung begangener Straftaten, sondern um Gefahrenabwehr gehen kann. Der Extremfall ist das viel bemühte „Ticking-Bomb-Szenario“: Angenommen, im iPhone-Speicher befänden sich Hinweise auf einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag – zu welcher Hilfe sollten diejenigen verpflichtet werden, die die Daten lesbar machen könnten? Die Antwort gibt sich von selbst: zu jeder. Der Einwand mit der tickenden Bombe ist unwiderlegbar und wurde schon in der Diskussion zur Rechtfertigung der sogenannten „Rettungsfolter“ vorgebracht.
Das Problem ist nur: Das Recht, jedenfalls das deutsche, hält dafür keine Lösung parat. In den USA berufen sich die Ermittler jetzt auf eine jahrhundertealte Generalermächtigung, den „All Writs Act“. Er befugt Gerichte dazu, Anordnungen zu treffen, um ihre Arbeit zu unterstützen. Doch auch hier dürfte es Grenzen geben, etwa wenn die geforderte Maßnahme unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist.
Die Auseinandersetzung ist auch ein Kampf der Monopolisten. Hier Apple mit seinem gigantischen Marktanteil im Kommunikationsgeschäft, dort der Staat mit seinem Gewaltmonopol. Was, wenn der Staat das Seine nicht mehr durchsetzen kann, weil Apple seine Stellung behaupten will? Der Grundwiderspruch wird sich kaum aufheben lassen. Aber der Anspruch, Straftaten aufzuklären oder abzuwehren, muss nicht automatisch hinter den Datenschutz oder den Interessen von Internetkonzernen zurücktreten. Das Bundesverfassungsgericht hat sogar schon intime Tagebuchaufzeichnungen als Beweismittel in Strafprozessen gelten lassen. Tiefer lässt sich in den „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ nicht eindringen. Die Speicher der meisten iPhones auf dem Globus dürften weit weniger Persönliches enthalten. Dennoch vertrauen viele Menschen offenbar Apple mehr als dem Staat. Ohne jede Bindung wacht der Konzern über seine Software und entscheidet selbst, wie er auf Daten zugreift. Sagen muss er es niemandem. Geschäftsgeheimnis. Wenn das unser neuer Schutzpatron ist – sind wir noch zu retten?