Kampf gegen "Klima der Verrohung": Antisemitismusbeauftragter will Lehrer für Judenhass sensibilisieren
Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisiert eine sinkende Hemmschwelle bei Angriffen auf Juden und fordert beherztes Eingreifen.
Der neue Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert ein entschlossenes Eingreifen der Deutschen bei judenfeindlichen Vorfällen. "Unsere Gesellschaft ist jetzt in der Pflicht", sagte er dem Tagesspiegel. Es müsse selbstverständlich sein, dazwischen zu gehen, wenn Juden angegriffen werden. "Wir brauchen eine Kultur der Zivilcourage und müssen die Leute aus ihrer Gleichgültigkeit herausholen", sagte Klein. "Ein Angriff auf Juden und jüdische Kultur ist auch ein Angriff auf unsere Kultur und unsere Identität."
Zugleich beklagte er ein "Klima der Verrohung" in Deutschland. Immer mehr Menschen trauten sich, antisemitische Positionen im Internet und auf der Straße zu äußern. Das sei früher undenkbar gewesen. "Die Hemmschwelle ist gesunken."
Klein kritisierte außerdem Fehler in der Integrationspolitik. "Die Versäumnisse bei der Integration von Muslimen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten rächen sich jetzt", sagte er. "Wir haben uns nicht darum gekümmert, was da für ein Israel-Bild entstanden ist." Außerdem habe es zu wenig Angebote für Muslime gegeben, sich mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Dabei sei dies Teil der Integration. "Die Muslime müssen wissen: Wer sich in diesem Land antisemitisch äußert, stellt sich gegen die Gesellschaft." Der Antisemitismusbeauftragte forderte, die Islamkonferenz rasch einzuberufen und mit den beteiligten muslimischen Verbänden nicht nur über Integration zu reden, sondern auch über Judenhass. Das sei in der Vergangenheit "nicht mit dem nötigen Nachdruck" geschehen.
Der Umgang mit Antisemitismus soll in die Lehrerausbildung aufgenommen werden
Auch sei es alarmierend, dass muslimische Schüler nicht in den Unterricht geschickt würden, wenn in der Schule über den Holocaust gesprochen werden soll. "In diesen Fällen muss den Familien deutlich gemacht werden, dass das nicht akzeptabel ist."
Der neue Regierungsbeauftragte appellierte an Lehrerinnen und Lehrer, sofort einzuschreiten, wenn es in der Schule zu antisemitischen Beleidigungen und Übergriffen kommt. Solche Fälle dürften nicht "vertuscht oder kleingeredet" werden. "Die Schulgemeinschaft muss deutlich machen, dass antisemitische Vorfälle nicht geduldet werden und dass sie dafür alles tun wird." Klein forderte außerdem, den Umgang mit Extremismus, Rassismus und Antisemitismus in die Lehrerausbildung aufzunehmen. Dafür will er sich im Gespräch mit den Bundesländern einsetzen.
Darüber hinaus sprach sich der Beauftragte, dessen Büro im Bundesinnenministerium angesiedelt ist, für eine Überarbeitung der polizeilichen Kriminalstatistik aus. In dieser Statistik wurden rund 95 Prozent der im vergangenen Jahr registrierten antisemitischen Straftaten als "rechts motiviert" eingestuft. "Die gefühlte Bedrohungslage von Juden in Deutschland ist eine andere: Sie nehmen den muslimisch motivierten Antisemitismus sehr viel stärker wahr", sagte Klein. Wenn jemand auf einer arabisch organisierten Demonstration einen Hitlergruß zeige, werde dies in der Kriminalstatistik als rechtsextrem eingestuft, kritisierte er. Die Statistik müsse überarbeitet werden, weil die Kriterien nicht klar seien.
Klein ist seit dem 1. Mai in dem neu geschaffenen Amt des Beauftragten für den Kampf gegen Antisemitismus. Er soll zudem jüdisches Leben in Deutschland fördern. Als Erstes will der Diplomat ein bundesweites System etablieren, das judenfeindliche Vorfälle auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze sowie die Tätergruppen registriert.
Das vollständige Interview mit Felix Klein lesen Sie am Sonntag im gedruckten Tagesspiegel oder ab Samstagabend im E-Paper.