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Nie wieder! steht auf einem Schild, das offenbar ein Teilnehmer der Demonstration vor dem Brandenburger Tor nicht mehr mitgenommen hat.
© dpa

Demo gegen Judenhass am Brandenburger Tor: Anti-Antisemiten unter sich

Reden wie von gestern: Zur gesellschaftlichen Realität hatte Deutschlands politisches Establishment offenbar nichts zu sagen. Dabei sollte der Staat gerade deutlich erklären, was er zu tun gedenkt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Moritz Schuller

Wir wollen, dass sich Juden in Deutschland sicher fühlen“, sagte Angela Merkel am Sonntag vor dem Brandenburger Tor. Die Kanzlerin betont eine Selbstverständlichkeit, die dadurch keine mehr ist. Das ist das Dilemma, das aus vielen Sätzen klang, die bei der Demonstration gegen Antisemitismus fielen. Das Einschließen braucht das Ausgeschlossene. „Wir sind eben doch nicht allein“, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden Dieter Graumann. Wir, das sind die Juden, die anderen, die zum Brandenburger Tor gekommen waren, war das gesamte politische Establishment. Ganz ähnlich Merkel: „Sie sollen spüren, dass dieses Land unser gemeinsames Zuhause ist.“ Sie, das sind die Juden.
Eine gut gemeinte Veranstaltung wie die am Sonntag braucht diesen Gegensatz und will ihn gleichzeitig überwinden. Und wenn auf den Plakaten „Wir sind Deutschland“ steht, so, als ob es diesen Gegensatz nicht gäbe, dann war entweder die Demonstration überflüssig oder der Satz stimmt nicht. Angesichts der Tatsache, dass das gesamte politische Establishment des Landes an der Veranstaltung teilgenommen hat, klingt Graumanns Befürchtung, „dass wir alleine hier stehen werden“, mindestens ein wenig albern. Mehr Deutschland kann kaum anwesend sein, und das wird er auch gewusst haben. Umgekehrt versichert die Kanzlerin, dass „jüdisches Leben … Teil unserer Identität und Kultur“ ist und tut so, als ob das gerade von einer großen Mehrheit im Land zur Debatte gestellt würde. Auch das ist albern.

Niemand soll sich nur sicher fühlen

Doch der Gegensatz ist heute ein anderer, und weil dieser am Sonntag nicht zum Thema gemacht wurde, klangen die Bekenntnisse so gestrig. Anlass, die Veranstaltung zu organisieren, waren schließlich nicht zuletzt die antisemitischen Parolen, die auch in Berlin auf den Demonstrationen während des Gazakriegs zu hören waren. Darauf bezog sich auch Merkels Satz: „Wer legitime Kritik am politischen Handeln Israels nutzt, um Hass auf andere Menschen zu verbreiten, missbraucht unser Recht auf Meinungsfreiheit.“
Doch wenn Menschen beschimpft und bedroht werden, dann muss das Kabinett nicht gemeinsam mit dem Bundespräsidenten einen Ausflug zum Brandenburger Tor machen, sondern entscheiden, wie der Staat damit umgehen soll. Er soll nicht Gesicht zeigen, er hat nämlich gar keines. Er soll vielmehr seine Macht anwenden und erklären, warum er das tut. Merkels Ziel sollte es nicht sein, dass sich irgendjemand in Deutschland sicher fühlt, sondern, dass er sicher ist.

„Lassen wir es nicht zu, dass das Gift des Hasses unsere Gesellschaft durchzieht“, sagte Klaus Wowereit in seiner Rede. Aber was heißt das in diesen Zeiten? Soll die Polizei jeden verhaften, der auf der Gazakriegsdemonstration „Jude, Jude, feiges Schwein“ ruft? Soll sie die Demonstration auflösen? Sind solche Parolen durch die Meinungsfreiheit gedeckt, oder wird hier die Meinungsfreiheit „missbraucht“ (was auch immer das sein soll)? Ist das strafbar, weil es Volksverhetzung ist? Was hält Wowereit, was hält Merkel für richtig? Wenn wir dafür sind, Flüchtlinge aufzunehmen, die im Nahen Osten im Milieu von Judenhass und Antiisraelismus sozialisiert wurden, wie stellen wir dann sicher, dass sie sich hier anders verhalten? Und wenn wir sagen, dass der Islam zu Deutschland gehört (und Christian Wulff saß am Sonntag direkt neben der Kanzlerin), wie gehen wir dann mit einem spezifisch islamischen Antisemitismus um, der damit auch zu Deutschland gehört? Dazu war nichts zu hören, dabei ist das nicht nur eine neue, sondern auch eine komplizierte Herausforderung für eine Gesellschaft, die bei Antisemitismus bisher zuerst an die NPD und an Springerstiefel in der Brandenburger Provinz gedacht hat. Den gibt es auch noch, aber der Antisemitismus arabischstämmiger Jugendlicher hat einen anderen Kontext.

Und so ist eine Demonstration, bei der alle, die in diesem Land etwas zu sagen haben, anwesend sind, aber zu dem Phänomen eines eingewanderten Antisemitismus, der inzwischen in ganz Europa verbreitet ist, nichts Konkretes sagen, wohlfeil. Eine Veranstaltung, die an der politischen Realität vorbeigeht, ist nur ein leeres Symbol.
Die Lässigkeit, mit der Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Familienministerin Manuela Schwesig und der Fernsehmoderator Cherno Jobatey am Rande der Veranstaltung gemeinsam ein Selfie von sich gemacht haben, war dafür ein treffendes Bild. Dabei sein war alles.

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