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Auch in der WInterkälte warten Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze nahe Wegscheid (Bayern) auf ihre Einreise nach Deutschland.
© dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Anspruch und Wirklichkeit der Flüchtlingspolitik

Die Regierungsparteien debattieren über immer neue Lösungsansätze zum Umgang mit Flüchtlingen. Gebracht haben sie bisher wenig. Ein Überblick.

Kontingente heißt das aktuelle Zauberwort zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) brachte solche EU-weiten Aufnahmeregelungen für Bürgerkriegsflüchtlinge ins Gespräch, die SPD hat die Idee nun aufgegriffen. Gestritten wird allerdings, ob und wie Deutschland durch ein solches Konzept eine Obergrenze für Flüchtlinge festlegen sollte, was dem bisherigen Grundrecht auf Asyl widersprechen würde. Die Sache hat auch noch einen anderen Haken: Die Begeisterung in Deutschland stößt in der EU bisher auf wenig Resonanz. Die deutsche Debatte ist daher zunächst theoretischer Natur. Unmittelbare Auswirkungen auf die Flüchtlingssituation hat sie nicht. Das ist kein Einzelfall.

Debatte und Wirkung

Auch die Diskussion um Transitzonen war eher symbolischer Natur. Hier ging es im Kern darum, Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive schneller zurückschicken zu können. Vor allem Bürger aus Balkanstaaten sollten möglichst in Grenznähe untergebracht und ihre Anträge im Schnellverfahren bearbeitet werden. Allerdings ist die Zahl der Flüchtlinge vom Balkan seit Monaten stark rückläufig. Dennoch war die Etablierung von Aufnahmeeinrichtungen für Schnellverfahren, auch „Transitzonen light“ genannt, der wichtigste Beschluss des Koalitionstreffens von Anfang November. Als Standorte wurden Bamberg und Manching festgelegt – da Bayern dort ohnehin bereits Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive konzentriert, um ihre Verfahren schneller abwickeln zu können, dürfte sich unter dem Strich durch die neuen Zentren kaum etwas ändern. Wenig Auswirkungen haben auch die gefassten Beschlüsse zur Einschränkung des Familiennachzugs – der derzeit 1366 Personen betrifft – und die angestrebte „Intensivierung der Rückführungen“ nach Afghanistan. Am Hindukusch sollen „innerstaatliche Fluchtalternativen“ geschaffen werden. Was das genau sein soll, ist aber völlig unklar. Militärisch bewachte Schutzzonen oder Flüchtlingslager hält nicht nur der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich (SPD), für „nicht vorstellbar“. Auch im Verteidigungsministerium sind sie „kein Thema“, wie ein Sprecher dem Tagesspiegel sagte.

Asylverfahren beschleunigen

5,2 Monate dauert die Bearbeitung eines Asylantrages derzeit durchschnittlich. 2014 waren es nach Angaben des zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) noch 7,1 Monate. Doch die Zahlen geben nur die halbe Wahrheit wieder. Denn Flüchtlinge müssen im Moment meist mehrere Monate warten, bis sie überhaupt einen Antrag stellen können. Wer jetzt einen Antrag stellen möchte, bekommt dafür nicht selten einen Termin im April 2016 zugewiesen. Von einer Beschleunigung der Verfahren kann daher kaum die Rede sein – obwohl die Innenminister aus Bund und Ländern regelmäßig an den Stellschrauben des Systems drehen. Anfang des Jahres wurde in dem Kreis beispielsweise beschlossen, Anträge von Kosovaren mit Vorrang zu bearbeiten, um sie dann rasch abschieben zu können. Denn die Anerkennungsquoten gingen gegen Null. Auch die vor einem Jahr getroffene Entscheidung, Syrern ohne aufwendige Einzelfallprüfung auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention pauschal drei Jahre Schutz zu gewähren, diente dazu, die Bearbeitungszeiten zu verkürzen. Innenminister de Maizière will nun auch bei Syrern wieder genauer hinsehen. Sein Ministerium begründet das unter anderem mit dem Hinweis, dass viele Flüchtlinge, die sich als Syrer ausgeben, gar keine sind. Belastbare Zahlen zu „falschen Syrern“ gibt es aber nicht.

Unstrittig ist, dass das Bamf mehr Personal benötigt. 300 neue Stellen wurden ihm im vergangenen Jahr zugewiesen, 2015 Stellen und Mittel für weitere 1350 Mitarbeiter zugesagt. 350 Einstellungen stehen derzeit noch aus.Doch letztlich konnten alle Beschleunigungsbemühungen mit den steigenden Flüchtlingszahlen bisher nicht Schritt halten. Den 181.000 Neuankömmlingen standen im Oktober nur 31.580 Asylentscheidungen gegenüber. Insgesamt stapeln sich beim Bamf mehr als 328.000 unbearbeitete Anträge.

Reform des Dublin-Verfahrens

„Das Dublin-Abkommen hat solche Schwächen, dass wir es es auf jeden Fall verändern müssen.“ Dies sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Anfang November. Wie die von Merkel geforderte Reform des EU-Asylrechts aussehen soll, ist noch unklar; bis zum März will die EU-Kommission nun einen Vorschlag für eine neue Verordnung machen, die Staaten wie Italien und Griechenland entlasten soll. Nach der geltenden Dublin-Verordnung müssen Flüchtlinge ihr Asylverfahren in dem Mitgliedstaat der EU durchlaufen, in dem sie ankommen.

Dass dies Verfahren dem Praxistest nicht standhält, ist seit Jahren klar. Als die Migranten direkt nach Beginn des Arabischen Frühlings vorrangig über das westliche Mittelmeer nach Europa kamen, war Italien angesichts der hohen Zahlen überfordert. Doch weigerten sich die EU-Partner weiter im Norden seinerzeit, Italien ganz offiziell Flüchtlinge abzunehmen. Während die Schutzsuchenden an der Grenze zu Frankreich zurückgeschickt wurden, erklärte der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), dass Italien „sein Flüchtlingsproblem selbst regeln“ müsse.

Endgültig zur Makulatur wurde das System in diesem Jahr, als die Flüchtlinge zunehmend den Weg über die Ägäis wählten. Nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex kamen zwischen Januar und Ende Oktober mehr als 540.000 Flüchtlinge auf den griechischen Inseln an – hauptsächlich Syrer. Statt sich in Griechenland registrieren zu lassen, wie es das Dublin-Verfahren ursprünglich einmal vorgesehen hatte, machten sich viele von ihnen auf der Balkanroute auf den Weg nach Deutschland.

Hotspots und europäische Umverteilung

Die Kanzlerin baut darauf, dass in Italien und Griechenland wieder ein geordnetes Registrierungsverfahren in Gang kommt und anschließend die Flüchtlinge – oder zumindest ein Teil von ihnen – auf die übrigen EU-Staaten umverteilt werden. Elf solche Registrierungsstellen (Hotspots) sollen nach den Planungen der EU bis Jahresende in Italien und Griechenland ihre Arbeit aufnehmen. Nach Angaben der EU-Kommission dürften die sechs Hotspots in Italien bis Ende November betriebsbereit sein. Die Registrier- und Aufnahmestellen in Griechenland werden wohl erst am Jahresende voll einsatzfähig sein. Derzeit kann nur eine begrenzte Anzahl von Flüchtlingen an den jeweiligen Hotspots untergebracht werden. Im italienischen Lampedusa ist beispielsweise Platz für 500 Flüchtlinge, während auf der griechischen Insel Lesbos derzeit 1480 Flüchtlinge untergebracht werden können.

Das entscheidende Problem besteht allerdings darin, dass die EU-Staaten nicht genügend Fachleute entsenden, die die Registrierung an den Hotspots vornehmen können. Schleppend kommt auch die Umverteilung in Gang. Die EU-Staaten haben sich darauf geeinigt, dass in den kommenden zwei Jahren 160.000 Flüchtlinge umverteilt werden sollen. Faktisch haben allerdings erst 147 Migranten, die zuvor in Griechenland und Italien gestrandet waren, per Umverteilung eine neue Heimat in Schweden, Spanien, Luxemburg, Frankreich und Finnland gefunden.

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