Großbritannien: Anklagen im Spesenskandal
Fast die Hälfte der britischen Parlamentsabgeordneten muss Spesen zurückerstatten, die sie zu viel kassiert haben. Bis zum 22. Februar sind 1,3 Millionen Pfund (knapp 1,5 Millionen Euro) fällig.
Vier Abgeordnete wurden am Freitag sogar wegen Verstößen gegen das Diebstahlsgesetz von 1968 angeklagt: falsche Buchführung. Wegen gefälschter Rechnungen und Zuschüssen für nicht existierende Hypotheken drohen ihnen Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren – abgesehen von der Schande und dem Ende ihrer politischen Karrieren.
So scheiterten die letzten Hoffnungen, der Spesenskandal, der die „Mutter der Parlamente“ im vergangenen Sommer erschütterte, möge sich rechtzeitig vor der kommenden Unterhauswahl verziehen. „Lange nachdem der Stall ausgemistet ist, wird der Gestank noch in den Räumen hängen“, schrieb die Tageszeitung „Independent“. Politiker berichten, viele Wähler würden ihnen beim Hausbesuch die Türen vor der Nase zuknallen.
Der Abschlussbericht, in dem Sir Thomas Legg die Rechnung des Skandals präsentierte, sollte eigentlich den Schlussstrich ziehen. „Das alte Spesensystem war voller Fehler. Die Regeln waren vage“, urteilte er. Parlamentarier hätten Spesennachweise selbst ausgestellt, die Spesenstelle habe durch übertriebene „Ehrerbietigkeit“ Vorschub geleistet.
Doch Legg kam auch selbst mit seinem Bericht in die Kritik. „Faul, inkompetent, unlogisch“, schimpfte die unbescholtene Tory-Abgeordnete Ann Widdecombe. Wie Legg die Regeln im nachhinein uminterpretiere, verstoße gegen „natürliche Gerechtigkeit“. Denn im ungelösten Widerspruch zwischen dem Geist und dem Buchstaben der Regeln entschied sich Sir Thomas für den Geist – und forderte Geld zurück, das nach den Regeln korrekt ausgezahlt worden war. Ein zweiter Sir, Paul Kennedy, kam den Uneinsichtigen zu Hilfe. Bei ihm konnte Berufung einlegen, wer sich ungerecht behandelt fühlte. 75 Abgeordnete protestierten, und Sir Paul gab mehr als der Hälfte recht.
Ein dritter Sir, Christopher Kelly, der das neue Regelbuch schreibt, zog über alle her. Seit drei Jahrzehnten habe das Parlament die Sache schleifen lassen – aus Eigennutz. „Sie alle sind schuldig, weil sie ein System unterstützt haben, von dem sie wussten, dass es fehlerhaft war.“ Das ging zurück bis zu den Zeiten von Premierministerin Margaret Thatcher. Damals wagten Politiker nicht, die Abgeordnetengehälter zu erhöhen, und richteten das Spesensystem als Gehaltssubvention ein.
Nun zücken die einen murrend die Scheckbücher. Andere, wie der längst abgewählte Labour-Politiker John Lyons, schalten auf stur. Er will die Rückforderungsrechnung von 18 780 Pfund nie erhalten haben. Wieder andere sehen auf die kommende Wahl: Labour-Minister Phil Hope nahm eine Hypothek auf und zahlte 42 674 Pfund zurück, obwohl er laut Leggs Abschlussbericht nur 4365 Pfund bezahlen musste.„Das System war falsch. Ich zahle, weil es richtig ist.“
Das nächste Parlament soll das tugendhafteste der Geschichte werden. Abgeordnete müssen dann in vom Staat angemieteten Zweizimmerwohnungen – oder auf eigene Kosten zu Hause schlafen. Ehefrauen dürfen nicht mehr als Sekretärinnen angestellt werden, der Kantinenzuschuss wird abgeschafft. Entenhäuser und Fahnenmasten müssen aus eigener Tasche bezahlt werden.