Koalitionsgespräche zwischen SPD und CDU: Angst vor zu viel Sozialdemokratie
Zu Beginn der Koalitionsgespräche warnt der Wirtschaftsflügel der Union noch mal vor Mindestlohn und anderen Zugeständnissen an die SPD. Doch die Verhandler lässt das Störmanöver kalt.
Der Wirtschaftsflügel der Union befürchtet, in einer großen Koalition mit der SPD unter die Räder zu kommen. Nicht anders ist der Versuch seiner Repräsentanten zu verstehen, trotz bereits begonnener Koalitionsverhandlungen politisch noch mal Krach zu schlagen. „Die wirtschaftsschädlichen Vorhaben der SPD drohen, die guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nachhaltig zu verschlechtern“, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Papier, das von allen einschlägigen Uniongruppierungen unterzeichnet ist: dem Parlamentskreis Mittelstand der Fraktion (PKM), der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU (MIT) sowie dem Wirtschaftsrat der CDU.
Es folgt das Teufelszeug, bei dem man keinesfalls mitzumachen gedenke. Steuererhöhung, politisch festgelegter Mindestlohn, „unverhältnismäßige Änderungen bei der Zeitarbeit“, Eurobonds, eine nicht europaweit geltende Finanztransaktionssteuer. Man sehe keinen Grund, entsprechende SPD-Vorhaben „zu Lasten der Unternehmen und des Wirtschaftsstandorts umzusetzen“. Die Unterzeichner vergaßen nicht, auf den Umstand zu verweisen, dass sie von ihren Mitgliederzahlen her in der Fraktion eine Mehrheit stellten. Und PKM-Chef Christian Freiherr von Stetten (CDU) fügte noch hinzu, dass man auch „keine Angst vor Neuwahlen“ habe. Persönlich habe er den Wahlkampf ohnehin immer als „schönste Jahreszeit“ empfunden.
Wie es um die tatsächliche Stärke des Wirtschaftsflügels steht, zeigt die ausgesprochen gelassene Reaktion auf das Störmanöver. Von der SPD war nur ein wenig Gebrummel zu hören, bei den Strippenziehern der Union wollte sich auch niemand aufregen. Es handle sich um die „bekannten Positionen der dafür bekannten Politiker“, hieß es. Und dass es ihr gutes Recht sei, diese noch mal in Erinnerung zu rufen. Es ist auch nicht verwunderlich angesichts der bisherigen Debatte. Von ihrer Forderung nach Steuererhöhungen für Reiche lässt die SPD momentan zwar nur noch wenig hören. Der gesetzliche Mindestlohn jedoch bleibt ihr beständig in Erinnerung gerufenes Kernthema – und nach der flotten Bereitschaftserklärung von CSU-Chef Horst Seehofer scheint er auch schon halbwegs eingetütet zu sein.
Er wisse ja, sagt von Stetten, dass die SPD kaum mitregieren werde, wenn ihre geforderten 8,50 Euro am Ende nicht irgendwo zu finden seien. Allerdings hofft der Wirtschaftsflügel immer noch darauf, dass sich die Genossen auch mit der Unions-Mogelpackung zufriedengeben könnten, die da lautet: regional, branchenspezifisch und nicht von der Politik vorgegeben. Ein Wettbewerb der Parteien um den jeweils höchsten Mindestlohn wäre „verheerend“, warnt Wirtschaftsrats-Präsident Kurt Lauk. Dies gefährde insbesondere die Beschäftigungssituation in den ostdeutschen Ländern.
Dass man sich beim Mindestlohn bereits auf einen Kompromiss verständigt habe, wurde gestern energisch dementiert. Die „Leipziger Volkszeitung“ wollte erfahren haben, dass man sich dabei am Tarifvertrag für Friseure orientieren wolle. Für die gibt es seit April im Westen mindestens 8,50 Euro und im Osten 7,50 Euro. Bis 2015 soll der Ost-Tarif schrittweise auf das Westniveau angeglichen werden. Überhaupt nichts dran, versicherten Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Was Gewerkschafter und Linke nicht daran hinderte, schon mal Alarm zu schlagen und vor der Zementierung einer „sozialpolitischen Mauer“ zu warnen.
Das Flügelschlagen beim Thema Mindestlohn könnte auch damit zusammenhängen, dass die Wirtschaftsunionisten in der Arbeitsgruppe, die darüber berät, kaum was zu sagen haben. Der frisch gebackene Chef der Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, hat es zwar hinein geschafft. Er muss sich dort aber nicht nur gegen die SPD, sondern auch gegen eine geballte Front von CDU-Sozialpolitikern behaupten. So bleibt es bei Appellen. Es gelte die „Errungenschaften“ der Agenda 2010 zu verteidigen. Die kalte Progression in der Einkommensteuer müsse gemindert werden. Statt einer Mietpreisbremse brauche es höhere Abschreibemöglichkeiten für Wohnungsneubauten. Die Mütterrente dürfe nicht aus der Rentenkasse bezahlt, eine Lebensleistungsrente dürfe es wegen des damit verbundenen „Systembruchs“ gar nicht geben. Und um die Förderung eeneuerbarer Energien herunterfahren zu können, müsse die Energiewende im Wirtschaftsressort angesiedelt werden.
Das alles hätte auch die FDP unterschrieben. Entsprechend warb das Trio um alle ordnungspolitisch Interessierten, „die nun im Parlament nach einer neuen Heimat suchen“. Und die Frage, was den Wirtschaftsflügel der Union denn von der herausgeflogenen Partei unterscheide, beantwortete Lauk nicht inhaltlich, sondern nur machtpolitisch. Der Unterschied bestehe darin dass man sich anders als die FDP „weiter auf dem Spielfeld“ befinde.