Italien: Nach Verurteilung von Berlusconi: Angst vor einem Platzen der Großen Koalition
Am Mittwoch bestätigte das Mailänder Appellationsgericht die Verurteilung von Silvio Berlusconi zu vier Jahren Haft. Nun herrscht Angst vor einem Platzen der Großen Koalition. Doch das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Vier Jahre Haft, ein fünfjähriges Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden, 10 Millionen Euro Geldstrafe. Angesichts der zahlreichen Prozesse gegen Silvio Berlusconi mag es verwunderlich klingen, aber das, was das Mailänder Appellationsgericht da am Mittwochabend ausgesprochen hat, ist die erste Verurteilung des früheren italienischen Ministerpräsidenten in zweiter Instanz. Alle anderen Verfahren sind meist aus Mangel an Beweisen oder mit Freisprüchen oder aufgrund von Verjährung über die erste Gerichtsinstanz nicht hinausgekommen.
Mit dem neuen Urteil ahnden die Mailänder Richter eine mutmaßliche Steuerhinterziehung des Medienunternehmers Berlusconi in Höhe von 7,3 Millionen Euro. Sein Fernsehimperium soll Rechte an amerikanischen Spielfilmen zu überhöhten Preisen angekauft haben, um auf diese Weise Geld am italienischen Fiskus vorbei und ins Ausland schmuggeln zu können. In dieser Sache war Berlusconi bereits im Oktober vergangenen Jahres zu derselben Strafe verurteilt worden und hatte aus Wut darüber kurz danach die Regierung von Mario Monti gestürzt. Berlusconi wies die Abgeordneten seines "Volks der Freiheit" an, Monti das Vertrauen zu entziehen; damit verfügte der "technokratische" Regierungschef im Parlament über keine Mehrheit mehr, seine Arbeit war lahmgelegt, es kam zu vorgezogenen Neuwahlen.
Gegen entsprechende neue Ängste in Rom beeilten sich Parteigänger Berlusconis diesmal zu versichern, ein Risiko für die Große Koalition und die Regierung unter Enrico Letta bestehe nicht; es gebe "keine Verbindung zwischen dem Urteil und der politischen Stabilität", erklärte beispielsweise Berlusconis Strafverteidiger Niccolò Ghedini, der auch nach den jüngsten Parlamentswahlen wieder als Abgeordneter im Senat sitzt. Leitartikler weisen aber darauf hin, die Gefahr für die Große Koalition könnte genauso gut von der anderen Seite ausgehen: von jenen Sozialdemokraten, die das Bündnis mit dem "Erzfeind Berlusconi" ohnehin ablehnen und sich jetzt zum Aufstand ermuntert sehen könnten.
Berlusconis Strafverteidiger Ghedini war am Anfang der Woche mit dem Versuch gescheitert, aus Angst vor einer Verurteilung seines Mandanten den Prozess von Mailand ins "neutrale" Brescia verlegen zu lassen. Berlusconi und seine Anwälte werfen den Mailänder Richtern "politische Verfolgung", "versuchten Staatsstreich" und "notorische Voreingenommenheit" vor. Ghedinis Antrag auf Prozessverlegung war einer seiner zahlreichen Versuche, den Prozess hinauszuzögern, um ihn dann im Sommer 2014 an der Verjährungsklippe scheitern zu lassen. Der Oberste Gerichtshof allerdings wies den Antrag am Montag dieser Woche zurück.
Berlusconis Verurteilung zu vier Jahren, von denen drei durch einen allgemeinen, gegen die heillose Überfüllung der italienischen Gefängnisse gerichteten Erlass von 2006 automatisch gekappt werden, ist noch nicht rechtskräftig; Berlusconi gilt damit weiterhin als unschuldig. Ob der Kassationsgerichtshof noch vor der Verjährung zu einem endgültigen Urteil kommt, steht dahin.
Selbst im Erfolgsfall ist nicht sicher, ob das Parlament das fünfjährige Ämterverbot auch umsetzt und Berlusconi des Senats verweist. Einen Automatismus haben die Abgeordneten durchaus in eigener Sache und nach klassisch italienischer Verfahrensweise nicht ins Gesetz geschrieben, und in einem harten Ringen hat Berlusconi an diesem Mittwoch auch noch durchgesetzt, dass einer seiner treuesten Vertreter, der frühere Justizminister Nitto Palma, auch Chef des Justiz-Ausschusses im Senat wird.
Die Sozialdemokraten als Koalitionspartner hatten Palma wegen seiner politischen, "spalterischen" Position abgelehnt, konnten sich am Ende aber nicht durchsetzen.
Wie lange Berlusconis Versicherung hält, die Koalition nicht platzen zu lassen, weiß niemand: Am kommenden Montag steht im Mailänder "Bunga-Bunga-Prozess" das Plädoyer der Staatsanwaltschaft an, die von ihren Vorwürfen des Amtsmissbrauchs und der Prostitution mit Minderjährigen bisher nicht um ein Jota abgegangen ist; das Urteil wird wenige Tage danach erwartet.