Afghanistan: Angst vor der Zeit danach
Die Unterstützung für Afghanistan könnte nach dem Nato-Abzug schwinden, fürchten Hilfsorganisationen und die Bevölkerung.
Schon vor dem Abzug der Nato 2014 häufen sich die schlechten Nachrichten aus Afghanistan. Weit mehr als eine halbe Million Afghanen leben inzwischen als Flüchtlinge im eigenen Land. Die meisten hätten ihre Heimatorte verlassen, um in größeren Städten Zuflucht vor Terror und Gewalt zu suchen, meldeten die Vereinten Nationen. Die Zahl ziviler Opfer bei den Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften ist im ersten Halbjahr 2013 sogar um mehr als 20 Prozent gestiegen. Insgesamt starben seit Januar mehr als 1300 Zivilisten, die meisten durch Angriffe von Aufständischen.
Seit feststeht, dass die Nato abzieht, haben sich die Taliban und andere Extremisten darauf verlegt, ihren künftigen Hauptgegner, die afghanischen Sicherheitskräfte zu bekämpfen. Sie greifen Polizeischulen und andere offizielle Gebäude an und treffen dabei immer wieder auch Zivilisten. Insgesamt, so lässt sich aus dem jüngsten UN-Bericht zur Lage in Afghanistan herauslesen, nehmen sowohl die Aufständischen als auch die Sicherheitskräfte weniger Rücksicht auf Zivilisten als die Nato-Schutztruppe Isaf, obwohl auch sie vor allem bei Drohnenangriffen viele Unschuldige traf.
Neben der Angst vor Gewalt macht sich in Afghanistan auch Furcht breit, dass die ausländischen Entwicklungshelfer mit den Nato-Truppen aus Afghanistan verschwinden könnten. Ganz unbegründet scheint die nicht. Kaum eine Hilfsorganisation will sich derzeit festlegen, wie ihr künftiges Engagement in Afghanistan aussehen wird. Die zivilen Helfer haben ihre Arbeit zwar nie an die Anwesenheit ausländischer Truppen geknüpft und wollen sich nun auch nicht von deren Abzug leiten lassen. „Doch wenn ganze Gebiete wieder unter Kontrolle von Extremisten geraten sollten, könnte es für uns schwierig werden“, sagt Sid Peruwemba vom Vorstand des Dachverbandes der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen, Venro. Die Spendenbereitschaft der Deutschen würde unter solchen Bedingungen wohl ohnehin einbrechen. Viele Venro-Mitgliedsorganistionen hätten außerdem Zweifel, ob öffentliche Fördergelder für ihre Afghanistan-Projekte nach 2014 wie versprochen weiter fließen werden. „Nach dem Abzug der Bundeswehr könnte auch die politische Aufmerksamkeit für Afghanistan schnell nachlassen“, sagt Peruvemba. Ob alte Versprechen dann noch etwas taugten, werde man sehen. „Sagen wir mal so: Das Engagment für Afghanistan wird sicher nicht mehr werden“, so Peruvemba.
Entwicklungsminister Dirk Niebel und Außenminister Guido Westerwelle (beide FDP) hatten zuletzt auf einer internationalen Afghanistan-Konferenz in Tokio zugesagt, dass Deutschland seine „Unterstützung auf dem bisherigen finanziellen Niveau von bis zu 430 Millionen Euro pro Jahr verstetigen“ werde. Dies gelte nach wie vor, heißt es im Entwicklungsministerium (BMZ). Doch wer weiß schon, ob sich eine neue Bundesregierung daran halten wird? Rechtlich verbindlich sind solche Hilfsversprechen nicht.
Trotz vieler Unwägbarkeiten gibt es auch positive Entwicklungen in Afghanistan. Peter Palesch, Landesdirektor der bundeseigenen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), betont, dass die meisten afghanischen Familien großen Wert auf eine gute Schulbildung ihrer Kinder legen. „Das gilt auch für Mädchen.“ Selbst in Gebieten, in denen Extremisten großen Einfluss hätten, sei das Rad kaum mehr zurückzudrehen. „Wo sie dafür gesorgt haben, dass Mädchenschulen geschlossen werden, mussten die meist nach kurzer Zeit auf Druck der Eltern wieder geöffnet werden.“ Die GIZ bildet in Afghanistan unter anderem Grundschullehrer aus und wird dies nach 2014 fortsetzen. Zwei Drittel der mehr als 20 laufenden Vorhaben in Afghanistan seien inzwischen verlängert worden. Palesch kann der schwindenden Aufmerksamkeit für Afghanistan sogar etwas Gutes abgewinnen. „Künftig wird es nicht mehr so sehr um schnell sichtbare Erfolge in der Entwicklungszusammenarbeit gehen, sondern um dauerhafte Fortschritte, also um Nachhaltigkeit.“ r