Angela Merkel in der Krise: Angst essen Mehrheit auf
In der Flüchtlingskrise weiß keiner mehr, was Angela Merkel will, welchen Plan die Kanzlerin verfolgt, ob sie überhaupt einen hat. Ein Kommentar.
Wieder versucht Angela Merkel, sich zu verstecken. Dabei war sie doch gerade ins Offene gegangen. Schien, nach zehn Jahren im Amt, zu sich als Kanzlerin gefunden zu haben. Und war das nicht eine Befreiung, eine für sie, für ihre Politik?
Ach ja. Ein kurzer, verrückter Moment der Anarchie. Aber wie das so ist mit Momenten, sie vergehen. Einfach so, wenn man sie lässt. Merkel muss vor sich selber erschrocken sein, vor ihrem plötzlichen, untypischen Wagemut. Der über sie gekommen war. Da hatte sie etwas riskiert – und dann gesehen, was sie das kosten könnte. Alles.
Angela Merkel führt von hinten, wie ein guter Schäfer
Alles so unberechenbar. Dann doch lieber visionsfreie Projektsteuerung, und das Projekt heißt: Machterhalt. Bekanntes Terrain. Auf dem kennt die Kanzlerin sich aus. Ein neues Deutschland? Gott bewahre! Ein Land, das sie nicht nach, aber mit ihrer Vorstellung von der Gesellschaft von morgen prägen will? Fehlanzeige. Schade.
Sie führt von hinten, wie ein guter Schäfer: Dieser Satz, der von Christian Wulff stammt, mag einmal auf Merkel und auf die Zeiten gepasst haben. Jetzt, nachdem sich die Zeiten und mit ihr die Gesellschaft verändern, ist er überholt, endgültig. Merkel kann sich nicht auf Dauer verstecken hinter Thomas de Maizière oder Peter Altmaier oder Horst Seehofer oder Sigmar Gabriel. Die Geister, die sie rief… die beherrschen sie jetzt auch. Hyperaktive Zuzugsbeschränkungen für Menschen auf der Flucht, moralisch fragwürdig dazu, zeigen die Zerrissenheit, in die die Kanzlerin ihre Koalition hat laufen lassen. Kein Wunder, dass die taumelt.
Hat die Bundeskanzlerin Angst, es nicht zu schaffen?
Es muss etwas geschehen, das weiß jeder. Aber es weiß keiner mehr, was Merkel wirklich will, welchen Plan sie verfolgt, ob sie überhaupt einen hat. Ihre Getreuen, die de Maizières und andere, tasten und testen und machen sich stellvertretend für sie unbeliebt, weil Merkel – ja, was hat? Angst? Könnte doch sein, oder? Angst vor ihren eigenen Worten. Vor dem, was noch alles kommen kann. Vorm Verlieren. Davor, dass ihr die Kraft fehlt. Nicht so stark zu sein, dass man ihr weiter glaubt und folgt. Angst, es nicht zu schaffen.
Wenn das so ist, dann soll einer wie Altmaier wirklich nur Ruhe reinbringen und de Maizière die Sache zusammenbürokratisieren, damit sie ruhig weitermachen kann. So wie vorher halt. Nur geht das jetzt nicht mehr. Hier hat sich merklich viel verändert. Das Land, das Merkel als Kanzlerin will, wartet darauf, was sie als Kanzlerin will. Zumindest diese Erwartung lässt sich nicht mehr zurückschrauben.
Das Kanzleramt ist kein gutes Versteck
Merkels Angst nämlich gibt es auch im Land. Die deutsche Angst. Und wie lässt sich die am besten beherrschen? Indem Merkel spricht und handelt, wie sie es kann. Also keine pathetische Rede – aber doch eine Maßnahmenrede. Ein Leitfaden zur konkreten Integration der vielen, vielen Menschen, die schon da sind, und derjenigen, die noch kommen werden. Das Wort Agenda wäre falsch, aber so etwas Ähnliches braucht es. Wie viel Geld soll es für was genau bis wann geben? Von Länderhilfe bis Lehrerhilfe, denn der Markt mit seinen Mechanismen reicht als Antrieb nicht aus. Beteiligung, Mitwirkung, Republikanismus – wie will die Kanzlerin das erreichen?
Wenn Angela Merkel das sagen kann, verliert sich ihre Angst und die ihrer Deutschen gleich mit. Das Kanzleramt ist kein gutes Versteck.