Wahlen in Russland: Angriff auf kritische Medien
Um die Pressefreiheit in Russland ist es schlecht bestellt. Am Wahltag waren Webseiten kritischer Zeitungen und Radiosender nicht mehr erreichbar.
Die erste Hochrechnung nach der Parlamentswahl in Russland hat die Ergebnisse der Nachwahlbefragung bestätigt: Die Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Wladimir Putin, „Einiges Russland“ ist abgestürzt. Nur noch 45,8 Prozent hätte „Einiges Russland“ demnach zu erwarten, in der Nachwahlbefragung war die Partei bei gut 48 Prozent verortet worden. Das ergäbe maximal 240 Mandate, so hat es das staatsnahe Allrussische Zentrum für Meinungsforschung WZIOM errechnet.
Zwar lagen die Wahlergebnisse zu Redaktionsschluss noch nicht vor. Doch schon bei früheren Wahlen wich das vorläufige Endergebnis nur um gut drei Prozent von den Nachwahlbefragungen ab. Auch die Ergebnisse der Teilauszählung von Stimmen in Ostsibirien, die der Moskauer Zeit um mehrere Stunden voraus sind, bestätigen den rasanten Abwärtstrend. Zu ähnlichen Ergebnissen kam sogar die Zentrale Wahlkommission, als gegen 22 Uhr Moskauer Zeit fünfzehn Prozent aller Stimmen ausgezählt waren.
Zugelegt haben vor allem die Kommunisten, die vielerorts ihr Ergebnis sogar verdoppeln konnten und auf 19 bis 21 Prozent kamen. Über Zuwachs können sich auch die ultranationalen Liberaldemokraten und das linksnationale „Gerechte Russland“ freuen, die den Nachwahlbefragungen zufolge auf 14 beziehungsweise 13 Prozent kamen. Die anderen drei Parteien – darunter die beiden Liberalen – scheiterten erneut an der Sieben-Prozent-Hürde.
Experten – staatsnahe wie kritische – erklären die Verluste mit der geringen Wahlbeteiligung. Sie lag bei nur knapp über 50 Prozent. 2007 waren es fast 60 Prozent. Doch die Nacht sei noch lang, warnte Ex-Schachweltmeister Gari Kasparow, der als Führer der liberalen Opposition grandios gescheitert ist und sich zu vorgerückter Stunde zusammen mit Profis bei Radio „Echo Moskwy“ als Kommentator versuchte.
Vor Wahlmanipulationen hatten nichtstaatliche Organisationen schon unmittelbar vor der Abstimmung gewarnt. Einige büßen dafür bereits wie die Wahlbeobachter von „Golos“ (Stimme), die sich vor allem aus Mitteln westlicher Partner finanziert. Putin hatte Hilfsorganisationen schon vor Jahren angeblafft, sie würden „wie Schakale um westliche Botschaften streunen“ und schnorren. Gleich nach seinem neuen Rüffel Mitte vergangener Woche riefen drei Abgeordnete seiner Partei nach dem Staatsanwalt: Spenden aus dem Ausland seien als Einmischung in innere Angelegenheiten Russlands strafrechtlich relevant. Noch wird ermittelt, in mehreren Regionen wurde „Golos“-Mitarbeitern dennoch der Zutritt zu den Wahllokalen verwehrt. In Samara an der Wolga ließen die Einheitsrussen, die die Wahlkommissionen aller Ebenen dominieren, sogar offiziell bestallte Wahlbeobachter der Opposition erst in die Wahllokale, als diese öffneten. Ob die Putin-Partei zuvor massenhaft Stimmzettel in die Urnen geworfen hat, lasse sich nicht feststellen, diese seien nicht aus Glas, klagte Golos-Chefin Lilija Schebanowa beim US-Auslandssender Radio Liberty. Zwei Korrespondenten des Senders hatte die Zentrale Wahlkommission kurz zuvor die Akkreditierung entzogen, und damit das Recht auf Live-Berichterstattung.
Über andere kritische Medien machten sich Hackerkolonnen her. Offline waren Blogger des Live-Journals, die oppositionelle Wochenzeitung The new Times“ und sogar die Wirtschaftszeitung „Kommersant“, die eher vorsichtig Kritik übt. Auch im Pressezentrum von „Golos“ funktionierte der Internet-Zugang nicht mehr. Und kaum, dass um acht die Wahllokale öffneten, legten Hacker die Website von Radio „Echo Moskwy“ lahm. Auch hören konnte den Sender nur, wer über einen klassischen Empfänger verfügt: Moskau und das Umland. Chefredakteur Alexei Wenediktow vermutet, damit sollten Meldungen über Verstöße gegen das Wahlrecht verhindert werden. Der Hackerangriff würde jedoch Zweifeln an der Legitimität des Wahlergebnisses neue Nahrung geben. In der Tat. Zufall oder nicht: Kurz nach 21 Uhr als in der westlichsten Region – Kaliningrad – die Wahllokale schlossen – war die Website wieder online.