Flüchtlingsfrage: Angela Merkel und die CDU: Krise ohne Ende
Noch vertraut die CDU ihrer Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage. Aber die Gemütslage der Partei ist fragiler, als Zahlen und Umfragen zeigen. Ein Kommentar.
Im CDU-Präsidium hat sich neulich eine Szene abgespielt, die mit leichten Abweichungen derzeit überall stattfindet, wo zwei und mehr aus der CDU beisammensitzen. Erst hat einer – hier der Generalsekretär – berichtet, dass die Partei mit klarer Mehrheit hinter der Kanzlerin und ihrer Flüchtlingspolitik stehe. Dem hat ein anderer – hier der Finanzminister – entgegengehalten, die Stimmung an der Basis sei denkbar schlecht.
Die Szene beschreibt präzise, was in der größten Regierungspartei gerade los ist. Denn beide haben recht, Peter Tauber und Wolfgang Schäuble. Die Flüchtlingskrise spaltet die CDU. Nicht selten spaltet sie das einzelne Mitglied mittendurch.
Da ist einerseits Taubers Kanzlerinnenpartei. Angela Merkel erlebt bei ihren „Zukunftskonferenzen“ mit der Basis lauten Widerspruch von Einzelnen, zugleich sehr viel Applaus in der Summe. In Umfragen sinken ihre astronomischen Beliebtheitswerte auf immer noch sehr gute und das Barometer für CDU und CSU auf Werte, die schmerzen, aber noch nicht bedrohlich sind. Ihre Anhänger weisen den Gedanken weit von sich, dass Merkel sie 2017 nicht in die Wahl führen könnte. In der Mitgliederkartei halten sich Aus- und Eintritte die Waage – die Flüchtlingsfrage polarisiert und politisiert in beide Richtungen.
Da ist andererseits Schäubles Stimmungspartei. Die CDU hat sich lange dagegen gewehrt, auch nur das Wort „Einwanderungsland“ auszusprechen. Ins Parteiprogramm hat es der Begriff geschafft. Aus der CDU ist trotzdem nicht über Nacht eine weltoffene Truppe geworden, die jeden Fremden spontan als Glücksfall für die Wirtschaft begrüßt. Sie ist, nicht zu vergessen, stark auf dem Land verankert, wo die Angst vor Unbekanntem größer ist als in den Städten und obendrein die Flüchtlingskrise konkreter und näher, nämlich gleich in der Straße nebenan.
Doch Merkels Problem in der eigenen Partei sind weniger die alten Reflexe als die neuen Zweifel. Die CDU hat mit ihrer Vorsitzenden und Kanzlerin schon eine Menge Erschütterungen, innere Kämpfe und Krisen erlebt. Über die Jahre ist daraus das Zutrauen entstanden, dass die Chefin das Ding schon immer irgendwie hinkriegt. Die Partei vertraut ihr.
Dass Zäune keine Lösung seien, wollen etliche schon nicht mehr hören
Paradoxerweise nagen genau deshalb die Zweifel umso mehr: Schafft sie es wieder? Sorgen machen sich selbst viele, die Merkels Willkommen für die Kriegsopfer toll fanden und sich engagieren. In der Finanz- oder der Euro-Krise war immer ein Ende absehbar – in der Flüchtlingsfrage bisher nicht.
Dass nach wie vor täglich eine Kleinstadt über die Grenze kommt, macht viele schier verrückt. Dass Merkel von einem Horst Seehofer tagtäglich angeblafft wird, der mutwillig den Eindruck schürt, das Problem zu lösen sei eine bloße Willensfrage, lässt manche irrewerden. Dass Zäune keine Lösung seien, wollen etliche schon nicht mehr hören. Das mag irrational und hilflos sein, wird dadurch aber erst recht gefährlich. Hilflose reagieren unberechenbar.
Noch reicht der Vorrat an Vertrauen. Noch wirkt auch das wohlige Gefühl aus der Vor-Flüchtlingsphase nach, dass die CDU mit dieser Kanzlerin an der Spitze unbesiegbar ist. Sie würden alle nur zu gerne glauben, dass Merkel es wieder schafft. Aber die Gemütslage der Partei ist fragiler, als Zahlen und Umfragen zeigen.