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Gemischte Aussichten: Bundeskanzlerin Angela Merkel schwört bei der „Zukunftskonferenz“ ihrer CDU in Wuppertal die Basis auf ihre Flüchtlingspolitik ein.
© Marius Becker/dpa

Die Kanzlerin in Wuppertal: Angela Merkel erklärt der CDU-Basis ihre Flüchtlingspolitik

Angela Merkel trifft in Wuppertal auf die CDU-Basis. Die ist sorgenvoll, ungläubig, zweifelnd – aber nicht unfreundlich.

Angela Merkel trägt knallrot, also: Kampfmontur. Bis vor wenigen Wochen wäre die erste „Zukunftskonferenz“ ihrer CDU ein routiniertes Heimspiel gewesen. Aber Routine ist im Moment gar nichts.

Und ein Saal voller CDU-Mitglieder ist kein Fernsehstudio, in dem eine Moderatorin verständnisvolle Fragen stellt. In der historischen Stadthalle in Wuppertal wird das Programm „Kanzlerin trifft Basis“ am Donnerstagabend live gegeben, mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Es wird denn auch schnell ungemütlich. Merkel hält aber erst mal eine eher kurze Rede – nicht über die drei Kommissionen zur „CDU 2017“ natürlich, sondern über die Flüchtlingskrise. Inhaltlich kennen die rund 750 Parteianhänger schon, was ihre Chefin zu sagen hat; schließlich haben sie alle am Abend vorher ferngesehen. Bei „Anne Will“ zu erleben war da, einerseits, eine eiserne Kanzlerin, die sich keinem Druck beugen will - nicht den Rufen aus der Partei, nicht dem Druck bröckelnder Umfragen, nicht dem Dauerfeuer aus Bayern. „Wir schaffen das!“

Das von Horst Seehofer geforderte Signal? „Bestimmt nicht.“

Ob sie doch einmal ein anderes Signal aussenden wolle, hatte Anne Will am Mittwochabend nachgefragt, so wie es Horst Seehofer immer ultimativer fordert, ein Stoppsignal? „Nein“, sagt Merkel. „Bestimmt nicht.“ Weil es sinnlos sei, ein rasches Ende des Menschenstroms zu versprechen, den aufzuhalten kein Zaun lang genug wäre. „Es gibt den Aufnahmestopp nicht“, hat Merkel kategorisch gesagt. Der Satz ist, nebenbei gesagt, so etwas wie eine Wette gegen Seehofer. Wenn der es schaffen würde, Bayern im Alleingang abzuschotten, hätte Merkel ein echtes Problem.

Aber daneben konnten Bürger und Parteimitglieder in der Fernsehstunde noch eine andere besichtigen – eine höchst emotionale Angela Merkel. Der berühmt gewordene Satz, der mit „dann ist das nicht mein Land“ endete – nein, sagt Merkel auf eine Frage der Moderatorin; nicht vorher ausgedacht. Aber „ich hab's sozusagen aus meinem Herzen gesagt.“

Das freundliche Gesicht gegen ein abschreckendes tauschen, dieses Rezept, das ihr Seehofer aufdrängt und das die Innenpolitik der CDU und CSU ja auch seit Jahrzehnten prägt, das verwirft sie.

"Das C ist nicht nur für Sonntagsreden"

Aber diesmal nicht mit sachlichen Gründen, sondern mit moralisch-emotionalen: „Ich will mich nicht beteiligen an einem Wettbewerb, wer ist am unfreundlichsten zu den Flüchtlingen.“ Das finde sie nicht richtig. Dies sei, ergänzt Merkel jetzt in Wuppertal, die CDU auch ihrem C geschuldet. „Das ist nicht nur für Sonntagsreden“, mahnt die Parteichefin. „Die vor Krieg und Terror fliehen, sollen bei uns willkommen sein.“

Es gibt für diesen Satz durchaus freundlichen Beifall. Wuppertal ist traditionell eine sehr fromme Gegend. Aber Wuppertal ist auch integrationspolitisch eine interessante Stadt. Wer am Nachmittag durch die Innenstadt spaziert, hört zur Hälfte Deutsch und Fremdländisch. Neulich ist die örtliche Salafistentruppe als „Scharia-Polizei“ verkleidet durch die Straßen patrouilliert.

Und jetzt zehntausende, hunderttausende Flüchtlinge! „Asylanten“ nennt sie der erste Fragesteller, ein Jurist, der „Rechtsbrüche“ beklagt: Das seien doch alles illegale Grenzverletzer aus sicheren Drittstaaten! „Wie können wir unsere Kultur erhalten bei einem Islam, der immer stärker wird und der unseren Werten fundamental entgegengesetzt ist?“ fragt eine CDU-Ratsfrau aus Dortmund.

Ein anderer Kommunalpolitiker erzählt aus dem Bürgermeisterwahlkampf von Leuten, „die sich verlassen fühlen von der Politik“. Mütter zum Beispiel, die sich um ihre Töchter sorgen, weil plötzlich 300 junge Männer in der Schulturnhalle kampieren. Doch es gibt auch auf der anderen Seite die junge Frau, die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak betreut („Ich soll Frau Merkel auch schön grüßen von ihnen.“) und langsam verrückt wird über eine Bürokratie, die bei Problemen und Fragen nie zuständig ist, dafür aber ihre Schützlinge mittlerweile sechs Mal registriert hat.

Merkel antwortet, wie sie das immer tut: im Detail. Der Jurist lernt also, dass es vielmehr ein Rechtsbruch wäre, Flüchtlinge einfach zurück über die Grenze zu schicken. Die Frau, die die Werte in Gefahr sieht, bekommt die Versicherung mit auf den Weg, dass sich alle Ankömmlinge an die Regeln hierzulande halten müssen, was sie ihnen im Zweifel persönlich sagen werde.

Und was schließlich die Ängste der Bürger angeht: „Das ist jetzt ’ne Aufgabe für uns alle!“ Schließlich, sie könne nicht mit allen reden. „Meine Aufgabe ist, glaube ich, eine andere: dass ich die Probleme löse!“

Nur, schafft sie das? Irgendwann steht ein junger Mann auf – er sei ja sehr skeptisch hergekommen, aber: „Ich hab' nach Ihren Worten, Frau Bundeskanzlerin, den Eindruck, dass wir das wirklich schaffen können.“ Durch den Saal geht ein leise amüsiertes Murmeln. Unfreundlich klingt es aber nicht. Skeptisch sind sie, sorgenvoll, ungläubig, zweifelnd. Merkel bittet nicht umsonst um einen „Geist der Zuversicht“. Ein Aufstand der Basis sieht anders aus.

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