US-Präsident beim G20-Gipfel: Anführer wider Willen
Donald Trump wird beim G20-Gipfel beweisen müssen, dass die USA noch an konstruktiver Führung interessiert sind. Schon werden Allianzen ohne die USA verhandelt. Ein Kommentar.
Passender könnte es fast nicht sein. Ausgerechnet Polen, das Land, das wegen seiner EU-Feindlichkeit und Anti-Immigrationspolitik in Europa in der Dauerkritik steht, ist Donald Trumps erste Station auf seiner Reise zum anstehenden G20-Gipfel in Hamburg. Im Mai hieß es noch aus Diplomatenkreisen, dass Polen vorerst nicht im Reiseplan des Präsidenten vorgesehen sei. Das war allerdings vor Trumps erstem Europa-Besuch, der für ihn zum diplomatischen Fiasko wurde, als er den Nato-Partnern ein klares Bekenntnis zu Artikel 5, dem Bündnisfall, schuldig blieb. Es scheint, als wolle der Mann im Weißen Haus sich kurz auf freundliches Terrain begeben, bevor er das heiße Pflaster der Weltpolitik betritt. Noch schnell eine Portion Jubel vor dem Spießrutenlauf.
In Polen freut man sich. Der einflussreiche Ex-Ministerpräsident Kaczynski meinte gar, dass die anderen Länder Europas sein Land um die Ehre beneiden würden. Das ist äußerst fraglich. Angela Merkel dürfte noch ganz unter dem Eindruck stehen, den Trump beim Nato- und G-7-Treffen hinterlassen hat – auch wenn sich der US-Präsident nach Angaben des Weißen Hauses bei einem Telefongespräch mit der Kanzlerin am Montag um versöhnliche Töne bemüht hat: er wolle Merkel dabei helfen, den Gipfel zu einem vollen Erfolg zu machen. Dabei gibt es bei beiden sicherlich grundlegend andere Vorstellungen davon, wie ein solcher aussieht. Für Trump gilt es, einen Balanceakt zu meistern. Laut seinem Sicherheitsberater Herbert McMaster will er „amerikanische Interessen verteidigen und die amerikanische Führungsrolle ausfüllen“. „America first“ bleibt die Devise, aber er wird beweisen müssen, dass die USA noch an einer konstruktiven Führungsposition interessiert sind – wenn auch nicht ganz aus freien Stücken.
Trump will den Gipfel als zweite Chance nutzen
Spätestens seit Trumps Entscheidung, das Pariser Klimaabkommen zu kündigen, ist sein Land der Aussätzige der Weltpolitik. Trump will den Gipfel als zweite Chance nutzen, um seine Partner wieder stärker an sich zu binden, um nicht allein auf weiter Flur zu enden, denn Allianzen ohne die USA sind schon in der Mache. Am Donnerstag wird es wahrscheinlich zu einer Grundsatzeinigung auf ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan kommen, während der chinesische Präsident Xi Jinping sich in Russland und Deutschland als verlässlicher Partner präsentierte. Das Signal an die USA ist klar: Es geht notfalls auch ohne euch.
Umgekehrt muss Trump bewusst werden, dass es ohne die anderen nicht geht. Bisher beschäftigt sich der launische Präsident lieber mit Twitter-Streitereien als mit einer kohärenten Außenpolitik. Ohne China oder Südkorea bleiben ihm allerdings wenige Hebel, um den Nuklearkonflikt mit Nordkorea zu beenden, der in Amerika immer weiter in den Fokus rückt und den Präsidenten unter Druck setzt. Beim Gipfel wird Trump außerdem zum ersten Mal auf Putin treffen. Es wird keine Begegnung auf Augenhöhe. Für Putin geht es höchstens darum, den Trump’schen Handschlag zu überstehen. Trump hingegen wird versuchen müssen, den Elefanten im Raum, die Vorwürfe russischer Einmischung in den US-Wahlkampf, zu adressieren, ohne seine Widersacher zu Hause zu bestätigen.
Die Schonfrist ist vorbei. Trump wird wider Willen bei den G20 ein glaubhaftes Führungsversprechen abgeben müssen. Wenn er daran scheitert, könnte aus seiner zweiten Chance die letzte werden.
Max Tholl