Arbeitsministerin contra Innenminister bei Integration: Andrea Nahles: „Ich will keine Mogelpackung“
Arbeitsministerin Nahles nennt die Vorschläge von Innenminister de Maizière für ein Integrationsgesetz "unfair". Sie wolle ein "echtes Einwanderungsgesetz", sagt Nahles im Interview.
Frau Nahles, Innenminister Thomas de Maizière will Flüchtlingen den dauerhaften Aufenthalt in Deutschland verwehren, wenn sie sich der Integration verweigern. Tragen Sie das mit?
Fordern ohne Fördern ist mit mir nicht zu machen. Ich will ein echtes Integrationsgesetz, das eine realistische Integrationsperspektive aufzeigt – keine Mogelpackung. Die von de Maizière angestoßene Debatte über eine einseitige Verschlechterung des Aufenthaltsrechts für Flüchtlinge bringt ihm vielleicht Punkte beim rechten Flügel der CDU/CSU, aber uns in der Sache nicht voran. Da steckt kein Konzept dahinter, vielmehr rächt sich, dass die Union seit Jahren ein echtes Einwanderungsgesetz für unser Land verweigert.
Was ist falsch daran, das Bleiberecht an die Integrationsbereitschaft zu knüpfen?
Grundsätzlich ist die Idee richtig, die Integrationsbereitschaft zu einem Kriterium für eine dauerhafte Bleibeperspektive in Deutschland zu machen. Ich bin dafür, von Flüchtlingen Integration einzufordern – durchaus auch sanktionsbewährt. Es geht aber nicht nur um Pflichten, sondern auch um Rechte und Chancen.
Was schlagen Sie denn vor?
Wir brauchen endlich ein Einwanderungsgesetz für alle Zuwanderer, das ist der Kerngedanke, an dem die SPD bereits seit 15 Jahren arbeitet. Wir können nicht wieder nur ein kleines Rädchen enger drehen, sondern müssen die Flickschusterei endlich beenden und klare und transparente Kriterien festlegen, wer auf Dauer bleiben darf. Das wäre eine wirklich große, bleibende Errungenschaft dieser Koalition.
Ist es gerecht, dass ein Bürgerkriegsflüchtling leichter einen Daueraufenthalt bekommt als ein Zuwanderer aus Kanada? Müssen nicht für alle gleiche Rechte und Pflichten gelten, wie de Maizière fordert?
Das mag vielleicht gerecht klingen, ist aber in höchstem Maße unfair. Man darf Menschen, die vor Krieg und Folter hierher flüchten und ihr letztes Hemd geben, um ihre Kinder an einen sicheren Ort zu bringen, nicht wie Arbeitsmigranten etwa aus Kanada behandeln, die einfach eine neue Perspektive suchen. Letztere kommen aus einem verwandten Kulturkreis, sprechen Englisch und konnten sich auf den Aufenthalt in Deutschland gründlich vorbereiten. Flüchtlinge sind in einer ganz anderen Situation und brauchen mehr Zeit und mehr Sicherheit. Genau deshalb hat Deutschland den Flüchtlingen 2005 in einem Allparteienkompromiss Erleichterungen beim Bleiberecht zugestanden. Jetzt will de Maizière die Hürden für das Daueraufenthaltsrecht für Flüchtlinge so hoch setzten, dass die meisten daran scheitern werden.
Das müssen Sie erklären.
Die Deutschkenntnisse, die der Innenminister zur Voraussetzung machen will, werden Leute aus Kulturkreisen mit völlig fremder Sprache und anderem Alphabet nur sehr schwer innerhalb von drei Jahren erreichen können. Im Ergebnis hätten wir damit kein Integrationsgesetz, sondern ein Integrationsbehinderungsgesetz. Dazu werde ich nicht Ja sagen.
Also besser kein Gesetz als so eines?
Nein, wir brauchen unbedingt ein Integrationsgesetz. Die Frage, ob und wie wir Flüchtlinge hierzulande integrieren, stellt die Weichen für Deutschlands Zukunft. Es ist in unserem ureigensten Interesse, die Menschen möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Arbeit ist der Schlüssel zur Integration. Ziel muss deshalb sein, insbesondere den Flüchtlingen den Zugang zu Arbeit möglichst leicht zu machen, damit sie schnell auf eigenen Beinen stehen können.
Wie?
Etwa mit Förderprogrammen, bei denen Sprachkurse und praktische Erfahrungen im Betrieb verknüpft werden. Außerdem müssen wir schnell weitere rechtliche Hürden abbauen. Wir brauchen endlich einen gesicherten Aufenthaltsstatus für Auszubildende, damit diese nicht während der Lehre abgeschoben werden können. Ich bin dafür, dass junge Menschen während ihrer Ausbildung und in den ersten zwei Berufsjahren danach hier bleiben dürfen. Das ist auch im Sinne der Unternehmen, die Planungssicherheit brauchen.
Als eine der größten Hürden für Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt gilt die Vorrangprüfung. Sie regelt, dass offene Stellen zuerst an Deutsche oder EU-Bürger vergeben werden. Kann das so bleiben?
Nein, das war mal eine sinnvolle Regelung in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, bei so vielen offenen Stellen wie heute ist sie schlicht ein bürokratischer Aufwand, den wir uns sparen können.
In der Union gibt es dagegen Widerstand, aber auch bei Ihrem Parteichef.
Wir müssen die Vorrangprüfung nicht abschaffen, wir können das Gesetz befristen. Wir haben aktuell die Sondersituation, dass wir innerhalb kurzer Zeit 1,1 Millionen Neuankömmlinge in Deutschland möglichst schnell integrieren müssen. Ich bin bereit, auf Sicht zu fahren und zu schauen, was funktioniert.
Was erwarten Sie denn von den Flüchtlingen, damit Integration gelingt?
Dass sie sich anstrengen und ihren Beitrag leisten, um schnell auf eigenen Beinen zu stehen. Dass sie sich bemühen, zuallererst um Deutschkenntnisse.
Und wenn nicht?
Deutschkurse müssen für alle Flüchtlinge verpflichtend werden. Wer nicht daran teilnimmt, muss Nachteile in Kauf nehmen. Darüber bin ich mit dem Innenminister einig. Welche Sanktionen möglich sind, wird derzeit in meinem Haus geprüft.
Es gibt aber nicht genügend Sprachkurse.
Das ist richtig, wir müssen die Kapazitäten deutlich ausbauen, da sind wir dran. Fördern und Fordern gilt für beide Seiten – auch wir müssen uns noch mehr anstrengen. Natürlich kann es nur Sanktionen geben, wenn jemand ein Angebot ausgeschlagen hat.
Hat die Koalition anderthalb Jahre vor der Wahl noch die Kraft, ein Integrationsgesetz auf den Weg zu bringen?
Ich habe keine Zweifel, dass wir in der Lage sind, diese große Aufgabe, vor der wir stehen, auch zu bewältigen. Die Zeit drängt, deshalb kann ich vor taktischen Spielchen nur warnen.
Wann kommt das Integrationsgesetz?
Das Gesetz sollte im Sommer unter Dach und Fach sein. Die Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen, sind jung und hoch motiviert. Viele von ihnen werden in den nächsten Monaten im Jobcenter landen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie sich dauerhaft damit abfinden. Wenn wir gleich zu Beginn die richtige Unterstützung bieten, zahlt sich das für alle Seiten hinterher doppelt und dreifach aus.
Das Interview mit Andrea Nahles führten Cordula Eubel und Stephan Haselberger.