Flüchtlinge in Europa: Amnesty: EU finanziert Haftlager für Migranten in der Türkei
Amnesty International erhebt schwere Vorwürfe gegen die Türkei. Das Land soll Syrer mit rabiaten Mitteln an der Flucht nach Europa hindern.
Inhaftierungszentren, Kontaksperren, Ketten, Abschiebungen – die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft der Türkei vor, syrische Flüchtlinge mit äußerst rabiaten Mitteln an der Flucht nach Europa zu hindern. In EU-finanzierten Lagern in Anatolien werden demnach seit September mehrere hundert Flüchtlinge gegen ihren Willen festgehalten. Mehr als hundert sollen gegen ihren Willen nach Irak und Syrien abgeschoben worden sein. Die Vorwürfe wurden einen Tag vor dem neuen türkisch-europäischen Gipfeltreffen zur Flüchtlingfrage an diesem Donnerstag bekannt – und von Ankara sofort zurückgewiesen.
Ein türkischer Regierungsvertreter betonte, es bleibe bei der „Politik der offenen Tür“, die jedem Syrer ein Bleiberecht in der Türkei zusichert und die zur Aufnahme von rund 2,2 Millionen Flüchtlingen geführt hat. „Die Türkei schreibt syrischen Flüchtingen nicht vor, wo sie zu leben haben“, sagte der Regierungsvertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Ankara will im Norden Syriens militärisch gesicherte Schutzzonen schaffen und rückkehrwillige Flüchtlinge dort ansiedeln. Gezwungen werde aber niemand.
Laut Amnesty sieht die Wahrheit anders aus. Unter dem Titel „Europas Torwächter“ beschreibt die Menschenrechtsgruppe unter Berufung auf Gespräche mit Flüchtlingen, wie seit September viele Flüchtlinge in westtürkischen Regionen nahe Griechenland eingesammelt und in Internierungslager im südtürkischen Osmaniye und im ostanatolischen Erzurum verfrachtet wurden. Dort werde den Flüchtlingen der Kontakt mit Familienangehörigen und Anwälten untersagt; in Einzelfällen seien Menschen auch angekettet worden.
Lagereinrichtung in Erzurum
Zumindest die Lagereinrichtung in Erzurum wurde laut Amnesty von der EU bezahlt. „Es ist schockierend, dass ein illegales Inhaftierungs- und Abschiebeprogramm mit EU-Geldern finanziert wird,“ kritisierte die Organisation. Die EU sei im Begriff, sich Mitschuld an schweren Menschenrechtsverletzungen aufzuladen.
Die Zustimmung zu einer Abschiebung in ihre Heimatländer sei für viele Menschen die einzige Möglichkeit, die Lager wieder zu verlassen. In Erzurum sei ein dreijähriges Kind gezwungen worden, per Fingerabdruck seiner Abschiebung nach Syrien zuzustimmen. Amnesty zufolge wurden in den vergangenen Monaten mehr als hundert Menschen nach Irak und Syrien deportiert; die tatsächliche Zahl liege möglicherweise sehr viel höher, weil wahrscheinlich auch afghanische Flüchtlinge abgeschoben wurden.
Nach Darstellung der türkischen Regierung stimmt an dem Amnesty fast nichts. Es gebe zwar ein Lager in Osmaniye, dessen Insassen keine volle Bewegungsfreiheit hätten, doch handele es sich um eine Einrichtung für syrische Flüchtlinge „mit nachgewiesenen Verbindungen zu kriminellen Banden“. Kein Syrer werde gegen seinen Willen in sein Land zurückgeschickt. Freiwillige Rückkehrer werden demnach vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR befragt, bevor sie nach Syrien reisen.
Der Streit um den Amnesty-Bericht zeigt, wie schwierig es für die Türkei werden dürfte, den Wünschen der Europäer entsprechend den Flüchtlingsstrom nach Westen einzudämmen. In Brüssel wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere EU-Spitzenpolitiker an diesem Donnerstag mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu konkrete Schritte zur Lösung der Flüchtlingsfrage besprechen.