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Leerstelle. Die USA suchen 2016 einen neuen Präsidenten. Der Vorwahlkampf hat schon jetzt die politische Kultur des Landes verändert.
© Reuters

Wahljahr 2016: Amerika sucht einen Nachfolger für Barack Obama

Elf Monate vor der Wahl sind die USA politisch tief gespalten. Wie verläuft der Kampf um das Präsidentenamt?

Meist dominiert in den USA der Optimismus. Die Stimmung zu Beginn des Wahljahrs 2016 ist jedoch düster. Konservative Kolumnisten warnen vor einer Spaltung der Republikanischen Partei. Progressive sorgen sich um Hillary Clintons Angriffsflächen. Und alle gemeinsam bewegt die Frage, ob ein parteipolitischer Außenseiter, Donald Trump, mit populistischen Parolen Präsidentschaftskandidat werden kann – und was das für die politische Kultur bedeutet. Selten schien ein Wahljahr so unkalkulierbar wie 2016.

Wie wird man in den USA Kandidat?

Ein Präsidentschaftsbewerber muss mindestens 35 Jahre alt sein, die letzten 14 Jahre seinen Wohnsitz in den USA gehabt haben und ein „natural born citizen“ sein. Traditionell hieß das: Er muss in den USA geboren sein. Im Fall John McCains, der auf einem US-Militärstützpunkt in Panama zur Welt kam, beschloss der Kongress 2008, auch er erfülle die Bedingung. Ted Cruz, ein führender Republikaner, ist in Kanada geboren. Seine Anhänger argumentieren, auch er sei ein „natural born citizen“, da seine Mutter bei seiner Geburt Amerikanerin war.
Die Parteien küren ihre Spitzenkandidaten in der ersten Hälfte eines Wahljahrs. Alle 50 Bundesstaaten halten so genannte Vorwahlen ab; deren Ergebnisse werden in einem komplizierten System in Delegierte für die Convention, den Wahlparteitag im Sommer, umgerechnet; dort wird der Sieger offiziell nominiert.
Die Vorwahlen laufen als Caucus oder Primary ab. Beim Caucus, zum Beispiel in Iowa, dem ersten Vorwahlstaat am 1. Februar, lädt die Partei Bürger, die sich als ihre Anhänger eintragen, zu lokalen Wählerversammlungen, und die stimmen dort über ihren Favoriten ab. New Hampshire, der zweite Vorwahlstaat am 9. Februar, praktiziert die Primary. Sie wird von staatlichen Wahlkomitees organisiert; teilnehmen dürfen nicht nur erklärte Anhänger der jeweiligen Partei, sondern auch „Independents“, die sich zu keinem Lager bekennen.

Welchen Einfluss hat das Vorwahlsystem auf die Kandidatenkür?

Die Vorwahlen sind ein mehrfacher Balanceakt: zwischen Ideologie und Pragmatismus und zwischen diversen Wählergruppen. Bewerber richten ihre Botschaften in dieser Phase vor allem an die eigene Parteibasis, da sie sich gegen parteiinterne Konkurrenten durchsetzen müssen. Republikanische Kandidaten reden folglich „rechter“ und demokratische „linker“ als sonst. Sie müssen jedoch darauf achten, dass sie dabei nicht zu radikal werden. Denn das würde erfahrungsgemäß die Chancen in der Hauptwahl verringern, die vor allem durch Wähler der Mitte entschieden wird. Für die Vorwahlen müssen die Kandidaten eine eigene Wahlkampforganisation aufbauen. Das ist aufwändig und kostspielig – die USA sind der Fläche nach 27 Mal so groß wie Deutschland – und geht kaum ohne die Unterstützung regional einflussreicher Parteifreunde. Strategische Ziele sind eine frühe Berichterstattung in den nationalen Medien und Siege bei den frühen Vorwahlen; das steigert die Aufmerksamkeit der Medien und erhöht die Aussicht auf Wahlkampfspenden, um die Organisation zu finanzieren. Eine weitere Hürde: Die Wähler in den einzelnen Staaten haben unterschiedliche Interessen, die politischen Botschaften werden aber landesweit verbreitet. Wer in Iowa, einem Farmstaat im Mittleren Westen mit hohem Anteil praktizierender Christen, den Farmern oder der religiösen Rechten nach dem Mund redet, wird es eine Woche später im Ostküstenstaat New Hampshire schwer haben. Dort nehmen die „Independents“ an der Vorwahl teil, und generell achtet die Mehrheit dort auf einen pragmatischen, unideologischen Politikstil und wirtschaftliche Vernunft. Wieder anders sind die Anforderungen im dritten Vorwahlstaat South Carolina mit seinem speziellen Südstaatendenken. Nevada, der vierte Vorwahlstaat weit im Westen, geht liberaler mit Fragen wie der Homoehe und Abtreibung um, die anderswo hitzige Debatten auslösen.

Kandidatin Clinton: sie führt so überlegen, dass sich die Medien nicht interessieren
Kandidatin Clinton: sie führt so überlegen, dass sich die Medien nicht interessieren
© AFP

Wer führt bei den Demokraten?

Hillary Clinton ist die klare Favoritin. Sie hat nur einen Konkurrenten vom linken Parteiflügel, Bernie Sanders. Er liegt in den Umfragen für New Hampshire vor ihr und wirbt nun in Iowa aktiv um ältere Wähler mit der Behauptung, dass er ihre Interessen bei Renten und Krankenversicherung besser vertritt. Doch Clinton hat die bessere Organisation in der Fläche und ein dickeres Finanzpolster.
Drei Dinge müssen ihr Sorgen machen. Der Eindruck, dass ihre Nominierung unausweichlich sei, hat Nachteile. Die Medien berichten fast nur über das republikanische Lager, dort ist das Rennen spannender. Bei den Fernsehdebatten demokratischer Bewerber schauen weniger Bürger zu. Die Mobilisierung spielt bei US-Wahlen eine große Rolle. Wenn Demokraten weniger motiviert sind zu wählen, nützt das den Republikanern. Zweitens hat Clinton hohe Negativwerte. Sie gilt zwar als gute Politikerin, aber auch als verschlossen. Um die 60 Prozent sagen, dass sie ihr nicht vertrauen. Drittens ist ihre Affäre um dienstliche Emails juristisch nicht ausgestanden. Sie hat ihre dienstliche Korrespondenz über einen privaten statt den Regierungsserver abgewickelt und vieles gelöscht – ein gravierender Rechtsbruch. Eine Anklage ist zwar nicht wahrscheinlich, aber möglich. Dann ständen die Demokraten ohne Kandidaten da.

Kandidat Trump: als politischer Quereinsteiger die Regeln des Spiels verändert
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© dpa

Wer führt bei den Republikanern?

Die Republikaner haben das umgekehrte Problem: zu viele Bewerber ohne einen klaren Favoriten. Traditionell nehmen drei Flügel Einfluss auf die Kandidatenkür: der Wirtschaftsflügel, die religiöse Rechte und ein Revoluzzerflügel, der gegen das Parteiestablishment aufbegehrt und ideologische Reinheit fordert. In früheren Wahlen gewann meist ein Kandidat der Religiösen in Iowa und South Carolina, der Revoluzzer oder ein Moderater in New Hampshire – und in den weiteren Vorwahlen setzte sich der Kandidat des Wirtschaftsflügels durch.
Die Hauptfrage 2016: Gelten diese Gesetzmäßigkeiten noch oder setzt der Immobilienlöwe und Medienstar Donald Trump sie außer Kraft? Trump führt in vielen Umfragen. Kann er das in Wahlerfolge umsetzen? Seine Anhänger sind weniger gebildet und verdienen weniger als der Durchschnitt. An Vorwahlen nahmen sie bisher kaum teil. Trump hat keine schlagkräftige, landesweite Organisation aufgebaut und den Parteiapparat gegen sich. Kaum jemand traut es ihm zu, eine Hauptwahl gegen Clinton zu gewinnen.
Als Kandidat der Religiösen, aber auch der ideologischen Rechten, ist in den jüngsten Wochen Ted Cruz, Senator aus Texas, aufgestiegen. Er liegt in Iowa vor Trump und hat in South Carolina gute Chancen. Wird er sich auf Dauer gegen den Wirtschaftsflügel behaupten?
Die besten Chancen als gemäßigter Republikaner hat derzeit Marco Rubio, ein 44-jähriger Senator kubanischer Abstammung aus Florida. Er könnte Trump, der in New Hampshire führt, den Sieg dort noch streitig machen.
Die meisten „Endorsements“, Unterstützungszusagen von Gouverneuren und Kongressmitgliedern, hat Jeb Bush. Er verfügt auch über die vollsten Kassen. Sein Wahlkampf zündete jedoch bisher nicht, in den Umfragen ist er abgeschlagen. Um im Rennen zu bleiben, muss er in den frühen Vorwahlstaaten achtbar abschneiden. Dann kann er sich eventuell am Super Tuesday, 1. März, wenn ein Dutzend Staaten abstimmen, dank Organisationsvorteil an die Spitze setzen.
Republikanische Strategen sorgt dieses Szenario: Dass das Bewerberfeld noch lange gesplittet bleibt und kein Kandidat eine klare Führung erringt. Dann müsste die Convention Mitte Juli über die Nominierung entscheiden. Die Partei ginge womöglich gespalten in die Hauptwahl.

Präsident Obama: erst ein langer Urlaub, dann will er am Kongress vorbei regieren
Präsident Obama: erst ein langer Urlaub, dann will er am Kongress vorbei regieren
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Und was macht Präsident Obama?

Volle 14 Tage Erholung hat Barack Obama sich und seiner Familie auf Hawaii gegönnt, wo er 1961 geboren wurde und aufwuchs. Der politische Kalender ist nicht mehr so voll wie zu Beginn der Präsidentschaft. 2009 hatte sein Weihnachtsurlaub verspätet begonnen, weil der Senat am 24. Dezember die Gesundheitsreform beschloss: ein politisches Weihnachtsgeschenk von historischer Bedeutung. Wenige Tage später war er früher als geplant zurück in Washington; der gescheiterte Anschlag des „Unterhosenbombers“ auf ein Flugzeug von Amsterdam nach Detroit hatte Schwachstellen in der Terrorabwehr aufgedeckt.
2016 ist Obama die sprichwörtliche „Lame Duck“ im Weißen Haus. Ihm fehlt die politische Mehrheit im Kongress. Die Republikaner haben in Repräsentantenhaus und Senat die Mehrheit. Die Demokraten fürchten ihn nicht mehr, er darf ja nicht mehr antreten. Sie kümmern sich vor allem um ihre Wahlchancen im November, wenn neben dem Präsidenten auch alle 435 Abgeordneten und ein Drittel der Senatoren gewählt werden.
Da sind keine bedeutenden Gesetzesänderungen, zum Beispiel beim Waffenrecht, mehr zu erwarten und erst recht nicht die seit Jahren verschobene Reform des Einwanderungsrechts. Obama kann nur da etwas bewegen, wo er mit Dekreten ohne Beteiligung des Parlaments eingreifen darf. Deren Reichweite begrenzt freilich die Verfassung – und der nächste Präsident kann sie gleich nach der Vereidigung ebenfalls per Dekret beenden. Obama hat bereits Dekrete genutzt: in der Klimapolitik, nachdem der Kongress die Beschränkung von Treibhausgasen blockiert hatte; zur Anhebung des Mindestlohns im Bereich staatlicher Aufträge; in der Einwanderungspolitik zur Begrenzung der Abschiebung illegaler Migranten.
In seiner letzten Rede zur Lage der Nation am 12. Januar wird Obama seine Prioritäten nennen. Einschränkungen des Waffenrechts zählen dazu. Er wird seine Öffnungspolitik gegenüber dem Iran und Kuba dort, wo der Kongress blockiert, mit Vetorecht und Dekreten vorantreiben. Und er wird alles tun, damit die Demokraten weiter den Präsidenten stellen – auch um sein Erbe zu schützen. Der Einfluss im letzten Amtsjahr hängt stark von der öffentlichen Zustimmung ab. Obama steht mit 44 Prozent zu dessen Beginn besser da als George W. Bush (34), aber schlechter als Bill Clinton (60).

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