Russland, Ukraine und Antiamerikanismus: Amerika - Je friedvoller, desto verhasster
Barack Obama regiert in Amerika seit über sechs Jahren. Der Friedensnobelpreisträger scheut jede Konfrontation. Trotzdem spielt der Antiamerikanismus in Wladimir Putins Propaganda eine zentrale Rolle. Ein Kommentar.
Es bedarf keiner besonderen intellektuellen Fähigkeit, um abwertende Pauschalurteile über ein Land, eine Religion, Minderheiten oder Frauen als diskriminierend zu erkennen. Das wird dann Antisemitismus, Rassismus, Islam- oder Frauenfeindlichkeit genannt. Nur der Antiamerikanismus scheint von der Entlarvungskunst verschont zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass dieses Ressentiment zu weit verbreitet ist, um noch aufzufallen. Der Politikwissenschaftler James W. Ceaser definiert es so: „Antiamerikanismus beruht auf der Idee, dass irgendetwas, das mit den Vereinigten Staaten verbunden ist – etwas im Kern der amerikanischen Lebensweise –, zutiefst falsch ist und den Rest der Welt bedroht.“ Dieses Etwas existiert unabhängig von der Frage, wer in Washington D.C. gerade Präsident ist und die Macht hat.
Werden offenkundige Ressentiments aber nicht erkannt, werden sie als solche auch nicht benannt. Andernfalls würde auffallen, wie zentral die Funktion des Antiamerikanismus in der von Wladimir Putin geprägten russischen Propaganda ist. Zitat Putin vom November 2014: „Die USA wollen uns nicht nur erniedrigen, sondern unterwerfen.“ Für diese Strategie würden sie ihre europäischen Verbündeten in die Pflicht nehmen, die dann aber gegen ihre eigenen nationalen Interessen handelten. Zitat Sergej Lawrow, russischer Außenminister, auf der Münchner Sicherheitskonferenz: „Die USA fühlen sich als Sieger der Geschichte. Sie sind seit 25 Jahren der Störfaktor im Verhältnis Europas zu Russland.“ Zitat Michail Gorbatschow vom Oktober 2014: „Es gibt heute eine große Seuche – und das sind die USA und ihr Führungsanspruch.“ Zitat Sergej Glazjew, Putin-Berater, vom August 2014: „Die USA wollen einen neuen Weltkrieg anzetteln, weil es für sie von Vorteil ist. Europa soll von einem Krieg verschlungen werden.“
Die Beständigkeit des Ressentiments wird unterstrichen durch Faktenresistenz
Nun war Russland auch zu Zeiten von George W. Bush nicht gerade amerikafreundlich. Doch im Weißen Haus regiert seit mehr als sechs Jahren Barack Obama, ein Friedensnobelpreisträger. Als eine seiner ersten Amtshandlungen drückte er die „Reset“-Taste im Verhältnis zu Moskau, bot atomare Abrüstung und vertrauensbildende Maßnahmen an. Das Gros der Truppen aus Irak und Afghanistan zog er ab. In Kairo warb er um die Sympathien der Muslime. Als Syriens Diktator Assad trotz einer „roten Linie“ Chemiewaffen einsetzte, blieb Obama aus Rücksicht auf Syriens Schutzmacht Russland untätig. Der Intervention in Libyen schloss er sich widerwillig an, führte „von hinten“. An den Atomverhandlungen mit dem Iran hält er trotz dramatischer Entfremdung von der Regierung in Israel fest.
Ja, es gibt den NSA-Skandal und die Drohneneinsätze. Doch beides hat mit amerikanischer Russlandpolitik nichts zu tun. Ausgerechnet Obama, der jede direkte Konfrontation scheut und einsieht, dass Amerika „die Probleme der Welt nicht alleine lösen kann“, wird in der Ukrainekrise alles Böse unterstellt, ein Dritter Weltkrieg, das Streben nach globaler Dominanz. Es ist wohl so – und mitnichten nur in Putins Russland: Je friedvoller die jeweilige US-Regierung, desto verhasster Amerika. Die Beständigkeit dieses Ressentiments wird unterstrichen durch Faktenresistenz.