Bin-Laden-Videos: Am Ende ein alter Mann
Die Veröffentlichung der Bin-Laden-Videos soll zeigen, dass der Terrorfürst bis zuletzt aktiv war. Vor allem aber entdämonisieren sie ihn.
Am Ende war er nur ein alter Mann, der sich immer wieder Bilder aus den Zeiten ansehen wollte, als er noch mächtig war und die Supermacht vor ihm zitterte.
Die US-Regierung hat am Sonnabend fünf Videos freigegeben, die sie beim Zugriff auf Al-Qaida-Chef Osama bin Laden in Pakistan vor einer Woche erbeutet habe. Der Ton fehlt. Zur Begründung heißt es, man wolle nicht Al-Qaida-Propaganda verbreiten. Freilich transportieren auch die Bildszenen viele Botschaften. Das Erstaunlichste daran sind die Widersprüche, die darin aufscheinen: Was für ein Bild von bin Laden ergibt sich aus diesen fünf Videos – und was bezweckt Amerika mit der Veröffentlichung?
Am überraschendsten ist der Clip, dem Medien den Spitznamen „Homevideo“ gegeben haben. Es zeigt einen bin Laden, den die Welt so nicht kannte: einen gebeugten Mann, der in einem kargen Raum offenbar auf dem Boden sitzt. Er trägt eine schwarze Wollmütze, eine Decke liegt um seine Schultern; der Bart ist ergraut und wirkt ungepflegt. Ein Penner, würde man wohl in Berlin sagen. In der Hand hält er eine Fernbedienung und zappt allem Anschein nach durch Nachrichten, die internationale TV-Kanäle von seinen Auftritten und Reden als Terrorchef gezeigt haben.
Es ist ein scharfer Kontrast: In den Nachrichten aus früheren Zeiten, die er betrachtet, ist er noch der wichtige und stolze Anführer eines Terrornetzwerks. Doch der bin Laden, dem wir dabei zusehen, wirkt wie eine Karikatur des Terrorführers: Alt und schwach sitzt er da, wippt bisweilen vor und zurück und nickt sich zu, wie man das von senilen Greisen kennt. Die hässliche Ausstattung des Raumes trägt zu dem heruntergekommenen Eindruck bei: Der Fernseher ist ein Uralt-Modell, Strom- und Verbindungskabel hängen lose von der Decke.
In den USA hat das Pentagon die Veröffentlichung mit einem ausführlichen Briefing für Journalisten begleitet. Die Auswertungsexperten sagen, das Video sei allem Anschein nach in dem Haus in Abbottabad aufgenommen worden – und zwar nach dem Amtsantritt Obamas im Januar 2009, weil der in einer der Nachrichten bereits US-Präsident sei.
Das „Homevideo“ steht auch im Gegensatz zu anderen Szenen der fünf Videos. In einer übt bin Laden für eine Rede, die er möglicherweise nach einem gelungenen Anschlag halten wollte. In einer anderen, die nach Expertenanalyse zwischen dem 9. Oktober und 5. November 2010 aufgenommen wurde, hält er eine Strafpredigt gegen die USA. Für diese Auftritte sind Haare und Bart gestutzt und dunkel gefärbt worden. Er möchte darin jünger und tatkräftiger aussehen, als er ist. Man wusste, dass bin Laden kontrollieren wollte, welche Bilder die Welt von ihm zu sehen bekommt. Warum hat er dann zugelassen, dass das „Homevideo“ gedreht wurde?
Die psychologische Wirkung ist vernichtend für bin Ladens Interessen. Man fühlt sich erinnert an die Bilder, die man von Saddam Hussein Ende 2003 sah, nachdem US-Soldaten ihn in einem Erdloch im Irak gefunden hatten: auch er ein gebeugter Mann mit wirren Haaren. Er ist kein gefürchteter Diktator mehr. Solche Bilder – damals von Saddam, jetzt von bin Laden – nehmen ihnen die Aura der Macht. Sie sind plötzlich schwach. Solche verwahrlosten alten Männer muss niemand mehr fürchten.
Die US-Regierung begründet die Veröffentlichung so: Die Videos beweisen, dass US-Soldaten tatsächlich in bin Ladens Haus waren und ihn getötet haben, und dass er sich bis zum Ende an Terrorplanungen beteiligte. Doch das Hauptziel ist die Delegitimierung vor seinen Anhängern in der islamischen Welt: Er war nicht der Mann, für den er sich ausgab.