Präsident der Rentenversicherung im Interview: „Altersarmut ist zurzeit kein Massenphänomen“
Nur wenige Rentner brauchen aktuell Grundsicherung. Für Langzeitarbeitslose und Niedriglöhner könnte die Lage aber künftig schwierig werden, sagt Axel Reimann. Ein Gespräch mit dem Präsidenten der Deutschen Rentenversicherung.
Viele Menschen haben Angst, im Alter nicht mit ihrem Geld auszukommen. Eine berechtigte Sorge?
Altersarmut ist zurzeit kein Massenphänomen: Rund zwei Prozent der Rentner sind derzeit auf Grundsicherung im Alter angewiesen, wobei der Anteil in den letzten Jahren leicht angestiegen ist. Problematisch ist die aktuelle Situation bei den Erwerbsminderungsrenten: Von denjenigen, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen, erhalten zwölf Prozent zusätzlich Grundsicherung. Dies zeigt, dass hier etwas getan werden musste. Deshalb ist sehr zu begrüßen, dass der Gesetzgeber jetzt im jüngsten Rentenpaket bei den Erwerbsminderungsrenten Verbesserungen vorgenommen hat. Es ist aber absehbar, dass damit nicht die Probleme aller Personengruppen gelöst sein werden.
Wer ist gefährdet?
Vor allem vier Gruppen. Wer wegen einer Erwerbsminderung früh aus dem Berufsleben ausscheiden muss, konnte bis dahin meistens nur relativ geringe Rentenansprüche erwerben. Langzeitarbeitslose sind schlecht vor Altersarmut geschützt, weil für sie nicht in die Rentenkasse eingezahlt wird. Wer dauerhaft im Niedriglohnbereich arbeitet, erwirbt ebenfalls keine hohen Rentenansprüche. Gefährdet sind aber auch Selbstständige, die nicht gesetzlich abgesichert sind und auch selbst nicht ausreichend fürs Alter vorsorgen.
Die Koalition führt 2015 einen Mindestlohn ein. Reichen 8,50 Euro, um Altersarmut zu verhindern?
Der gesetzliche Mindestlohn ist zumindest ein Einstieg, um Armut im Alter vorzubeugen. Wenn jemand allerdings auf Dauer nur den Mindestlohn verdient, wird er als Rentner kaum mehr bekommen als Grundsicherung.
Eine steuerfinanzierte Mindestrente könnte Geringverdienern eine Rente oberhalb der Grundsicherung garantieren.
Eine Mindestrente passt nicht in unser Rentensystem, in dem die Ansprüche sich nach der Höhe der Beiträge richten. Mit der Grundsicherung haben wir außerdem eine Mindestsicherung mit Bedürftigkeitsprüfung. Innerhalb dieses Systems kann man noch nachjustieren, etwa durch Freibeträge für Rentner in der Grundsicherung.
Mit den Reformen der letzten Jahre wurde das Rentenniveau auf Dauer deutlich abgesenkt. Die Lücke soll durch betriebliche und private Altersvorsorge geschlossen werden. Wird das bei dem aktuellen Zinsniveau zum Problem?
Prinzipiell halte ich einen Altersvorsorgemix für sinnvoll. Dass die Zinsen so niedrig sind, ist insbesondere für den Bereich der kapitalgedeckten Alterssicherung eine Herausforderung. Letztlich sind aber alle Systeme darauf angewiesen, dass die Rahmenbedingungen stabil sind. Dazu gehört bei den kapitalgedeckten Systemen eine adäquate Verzinsung. Aber man muss auch sehen, dass wir uns in einer historischen Sondersituation nach der Finanzkrise befinden.
Das Rentenpaket kostet bis 2030 rund 120 Milliarden Euro. Für die gezielte Bekämpfung der Altersarmut ist kein Geld eingeplant. Sind die Prioritäten falsch gesetzt?
Die beschlossenen Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sind sinnvoll. Ansonsten ist das Rentenpaket nicht darauf angelegt, Altersarmut zu vermeiden. Von den Mütterrenten profitieren jetzt zunächst rund 9,5 Millionen Frauen und Männer, ein großer Personenkreis. Wenn man bedenkt, dass unter den Altersrentnern Armut im Moment nicht weitverbreitet ist, ist das nicht besonders zielgenau. Außerdem wird die Mütterrente auf eine gleichzeitig gezahlte Grundsicherung angerechnet.
Rechnen Sie damit, dass in dieser Wahlperiode ausreichend Geld zur Verfügung gestellt wird, um etwas gegen die Ausbreitung von Altersarmut zu tun?
Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie hier weitere Maßnahmen auf den Weg bringen will. Die finanziellen Spielräume in der Rentenversicherung, diese Maßnahmen zu finanzieren, sind allerdings eingeschränkt. Das Rentenpaket ist zu großen Teilen aus Beitragsmitteln finanziert und letztlich auch durch weitere Niveausenkungen bei der Rente. Wenn die Koalition etwas gegen Altersarmut tun will, muss sie auf Steuermittel zurückgreifen. Das wäre auch bei der Finanzierung der Mütterrente richtig gewesen. Die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Rente ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Nach der Einführung der abschlagsfreien Rente mit 63 verspricht die Politik nun, dass die Übergänge in den Ruhestand flexibler werden sollen. Ist das notwendig?
Prinzipiell bietet das heutige System schon Flexibilität. Versicherte können mit Abschlägen vorzeitig in Rente gehen und in bestimmten Grenzen hinzuverdienen. Wenn Sie das Regelalter erreicht haben, können sie unbegrenzt hinzuverdienen. Sie können aber auch über die Regelaltersgrenze hinaus zunächst auf die Rente verzichten und weiterarbeiten. Sie erhöhen dann durch die weiteren Beiträge die spätere Rente und erhalten dauerhafte Zuschläge von sechs Prozent pro Jahr.
Trotzdem gibt es nur 3000 Menschen, die ihren Arbeitsvertrag über die Altersgrenze verlängert haben. Woran liegt das?
Zum einen gab es bisher in vielen Unternehmen Vorruhestandsregelungen, die es offenbar für viele attraktiver gemacht haben, vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Außerdem enden viele Arbeitsverträge mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze. Wer längeres Arbeiten ermöglichen will, muss auch das Arbeitsrecht und Tarifverträge überprüfen.
Auf der anderen Seite nutzt kaum jemand die Möglichkeit, vor dem 65. Lebensjahr eine Teilrente zu beziehen und das mit einem Nebenjob zu kombinieren. Warum?
Die Regelungen sind recht kompliziert und die Zuverdienstgrenzen starr. Wer diese überschreitet, dem droht im Einzelfall eine deutliche Kürzung des Rentenbetrages. Ich halte es daher für sinnvoll, die Zuverdienstregeln zu lockern. In der letzten Legislatur gab es dazu einen Vorschlag unter dem Namen Kombirente, der aber nicht umgesetzt wurde.
Kommen wir zum Rentenpakt. Die Deutsche Rentenversicherung braucht mehrere Monate, um die höheren Mütterrenten auszuzahlen, die gerade seit dem 1. Juli gelten. Haben Sie schon wütende Briefe bekommen?
Ich kann da nur um Verständnis werben. Für diejenigen, die schon in Rente sind, müssen wir die Zuschläge neu berechnen, das geht nicht per Knopfdruck. Nur damit die Dimension klar wird: Die Rentenversicherung stellt jedes Jahr rund 1,6 Millionen neue Rentenbescheide aus. Jetzt müssen wir bei der Mütterrente 9,5 Millionen Zuschläge berechnen. Wir arbeiten das so zügig wie möglich ab. Bis Jahresende soll jede Mütterrente ausgezahlt sein, natürlich rückwirkend ab 1. Juli.
Und wie groß ist das Interesse an der abschlagsfreien Rente mit 63?
Anfang Juli hatten wir rund 50.000 Anträge. Wenn jemand 45 Jahre durchgehend gearbeitet hat, ist es für uns relativ einfach, die Rente zu bewilligen. Aufwändig wird es, wenn wir Zeiten der Arbeitslosigkeit mit anrechnen müssen. Nach dem Gesetz werden Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs bei den 45 Jahren berücksichtigt, nicht dagegen Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II oder Arbeitslosenhilfe. Da verfügen wir nicht in allen Fällen über die entsprechenden Unterlagen, um zwischen den Zeiten unterscheiden zu können. Bei der Prüfung werden wir aber so unbürokratisch wie möglich vorgehen.
Die Fragen stellte Cordula Eubel.
Axel Reimann (63) ist seit April 2014 Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund. Der promovierte Mathematiker ist aber bereits seit 1983 bei den Rentenbehörden tätig.