Mindestlohn von 8,50 Euro: Alles wird teurer - oder bringt er mehr Arbeitplätze?
Der Bundestag diskutiert diese Woche den Mindestlohn. Wir greifen die zehn wichtigsten Thesen von Gegnern wie Befürwortern des neuen Gesetzes auf und untersuchen, was dafür spricht - und was dagegen.
DIE THESEN DER KRITIKER
Der Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze und gefährdet die Existenz von Klein- und Mittelbetrieben
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt, dass zwischen 500 000 und eine Million Stellen gefährdet sein könnten, wenn der Mindestlohn kommt. Arbeitsmarktforscher Joachim Möller vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg hält dies jedoch für übertrieben. Die bisherigen Erfahrungen mit Branchenmindestlöhnen in Deutschland belegen die pessimistische These zumindest nicht. So kamen mehrere Institute 2011 zum Ergebnis, dass diese kaum negative Effekte auf den Arbeitsmarkt hatten.
Trotzdem lässt sich nicht wegdiskutieren, dass die Lohnkosten für die Arbeitgeber steigen, die bisher weniger als 8,50 Euro pro Stunde gezahlt haben. Firmen in Ostdeutschland betrifft das stärker als im Westen und kleine und mittlere Betriebe stärker als große Konzerne. So ist denkbar, dass sich künftig nicht mehr jeder Arbeitsplatz rechnen wird. Für die Branchen, die bei der Einführung des Mindestlohns besondere Probleme haben, ist eine Übergangsfrist vorgesehen. Wenn ein Tarifvertrag einen langsameren Anstieg der Löhne vorsieht, müssen diese Branchen nicht ab Januar 2015 den Stundenlohn von 8,50 Euro zahlen. Spätestens 2017 soll er aber flächendeckend gelten.
Der Mindestlohn verteuert den Friseurbesuch und das Taxifahren
Zu einem Anstieg der Preise kann es in Branchen kommen, in denen besonders geringe Löhne gezahlt wurden und in denen die Lohnkosten eine große Rolle spielen. Beides ist im Friseurhandwerk der Fall. Der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks erwartet, dass die Preise durch den Mindestlohn spürbar steigen werden. 50 Prozent der Kosten seien Personalkosten, rechnet Verbandspräsident Harald Esser vor. Auch große Friseurketten haben angekündigt, Preissteigerungen prüfen zu wollen. Der Mindestlohn bei den Friseuren wurde allerdings nicht von der Politik vorgegeben, sondern ist von den Tarifpartnern verhandelt worden. Die hatten sich im vergangenen Jahr auf einen Tarifvertrag geeinigt, der eine schrittweise Anhebung der untersten Löhne vorsieht, ab August 2015 sind in Ost und West 8,50 Euro fällig.
Durch die steigenden Kosten für die angestellten Fahrer müssten auch Taxifahrten um 20 bis 25 Prozent teurer werden, schätzt der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband. Die Gebühren legen allerdings die Kommunen fest.
Wegen des Mindestlohns können Landwirtschaftsbetriebe ihre Saisonarbeitskräfte nicht mehr bezahlen
Erntehelfer erhalten im Moment sieben Euro pro Stunde, sie würden vom Mindestlohn deutlich profitieren. Die Landwirte argumentieren, dass sie die Mehrkosten nicht problemlos an die Verbraucher weiterreichen können. Deutscher Spargel sei dann nicht mehr konkurrenzfähig, auch beim Wein seien die Kunden preissensibel. Bei der Union stoßen die Bauern auf offene Ohren, in den parlamentarischen Beratungen wollen CDU und CSU Nachbesserungen erreichen. Eine Möglichkeit wäre, der Branche eine längere Übergangsfrist zu gewähren, Ende 2017 soll dort ohnehin ein Mindestlohn von 8,50 Euro gelten.
Mit Mindestlohn werden ganze Regionen nicht mehr mit Zeitungen beliefert
Zu den Branchen, die besonders lautstark warnen, gehören die Zeitungsverleger. Sie sagen, der Vertrieb werde vor allem in ländlichen Gebieten zu teuer für die Verlage. Davon seien etwa 13 Prozent der Auflage betroffen. Die Mehrkosten bei der Zustellung könnten für einzelne Zeitungen das Aus bedeuten, warnen sie – und sehen darin einen unzulässigen Eingriff in die Pressefreiheit. Die Gewerkschaft Verdi widerspricht dieser Argumentation. Die Zustellkosten machten mit gut elf Prozent den geringsten Teil der Gesamtkosten bei der Zeitungsproduktion aus. In einigen Regionen (zum Beispiel in Bayern und Braunschweig) klagten Zustellfirmen außerdem schon darüber, dass sie bei den geringen Löhnen keine Beschäftigten finden würden.
Die Unternehmen werden weniger Praktikanten beschäftigen
Für Praktika von mehr als sechs Wochen Dauer soll Mindestlohn gezahlt werden, es sei denn, es handelt sich um Pflichtpraktika im Rahmen von Studium oder Ausbildung. Viele Firmen würden ihr Angebot an Praktikumsplätzen reduzieren, fürchten Unions-Politiker. Die SPD wiederum sagt, es müsse Schluss sein mit der Ausbeutung von Langzeitpraktikanten.
DIE THESEN DER BEFÜRWORTER
Der Mindestlohn bringt soziale Sicherheit und hilft aus der Armutsfalle und Hartz IV
Rund 6,6 Millionen Menschen arbeiten derzeit in Deutschland für einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro. Das entspricht gut 19 Prozent aller Beschäftigten, wie das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) in Essen ermittelte. Besonders hoch ist der Anteil in Ostdeutschland. Etwa 1,7 Millionen Menschen erhalten weniger als fünf Euro pro Stunde. Viele Niedriglöhner werden also davon profitieren, wenn der gesetzliche Mindestlohn ab 2015 flächendeckend eingeführt wird.
Das heißt allerdings nicht, dass die Zahl der Menschen deutlich zurückgeht, die neben ihrer Arbeit auf Hartz IV angewiesen sind, weil ihr Lohn nicht zum Leben reicht. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht davon aus, dass von den 1,3 Millionen Aufstockern nur fünf Prozent, also etwa 60 000 Personen, nicht mehr auf Hartz IV angewiesen sein werden. Wer nur einen Teilzeitjob hat oder eine Familie ernähren muss, für den reicht die Lohnerhöhung nicht, um von Hartz IV unabhängig zu werden. Für die Betroffenen ändert sich damit materiell nichts: Ihr Lohnplus wird nämlich auf Hartz IV angerechnet. Zu den Gewinnern gehört der Staat, der weniger Geld für Transfers ausgeben muss.
Der Mindestlohn verringert das zum Teil extreme Lohngefälle in Deutschland
Die Schere zwischen Arm und Reich ist in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter auseinandergegangen. Das liegt nicht nur am Lohngefälle, sondern auch an der extrem ungleichen Verteilung von Vermögen. Daran wird sich auch durch einen gesetzlichen Mindestlohn nichts ändern. Aber zumindest wird bei den Löhnen eine Grenze nach unten eingezogen. Das gelingt aber nur dann, wenn der Mindestlohn flächendeckend kommt und keine Schlupflöcher lässt.
Die SPD hat deshalb in den Verhandlungen mit der Union darauf bestanden, dass es grundsätzlich keine Ausnahmen für bestimmte Branchen oder Berufsgruppen geben soll. Eine Linie, die offenbar auch vor einigen Wochen bei einem Treffen der drei Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD, Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel, bestätigt wurde. Würde man beispielsweise Minijobbern keinen Mindestlohn zahlen, so bestünde für die Unternehmen ein massiver Anreiz, noch stärker als bisher reguläre Beschäftigung in Minijobs umzuwandeln. Ausnahmen soll es laut dem Gesetzentwurf nur für Jugendliche unter 18 Jahren sowie für Langzeitarbeitslose im ersten halben Jahr ihrer Beschäftigung geben.
Der Mindestlohn schafft Arbeitsplätze, weil er die Kaufkraft erhöht
In der Theorie klingt es einleuchtend: Wenn Arbeitnehmer mehr verdienen, können sie mehr Geld ausgeben. Ökonomen gehen davon aus, dass dies besonders dann der Fall ist, wenn die Beschäftigten ein geringes Einkommen hatten. Sie erwarten, dass diese dann ihren Lohnzuwachs nicht auf dem Sparbuch lassen, sondern in den Konsum stecken. Das würde dazu führen, dass die Binnenkonjunktur angekurbelt würde. So weit die Theorie. Ob schon der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde spürbare Effekte auf die Kaufkraft haben wird, daran gibt es jedoch Zweifel. Im Arbeitsministerium rechnet man zumindest nicht damit, dass die Einführung des Mindestlohns dazu führen wird, dass unter dem Strich mehr Arbeitsplätze entstehen werden.
Deutschland beendet mit Einführung des Mindestlohns seine Ausnahmestellung in Europa
In 21 der 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) gibt es bereits Mindestlöhne, von Frankreich bis Großbritannien. Das Niveau unterscheidet sich dabei deutlich: von elf Euro in Luxemburg bis zu einem Euro in Bulgarien. Berücksichtigt man allerdings die verschiedenen Lebenshaltungskosten in Europa, fallen die Unterschiede nicht mehr so groß aus. Deutschland gehörte damit bislang zu den Ausnahmen, hatte zugleich einen der größten Niedriglohnsektoren.
Der Mindestlohn führt zu fairem Wettbewerb zwischen den Unternehmen, weil er Dumpinglöhne verhindert
Ein Mindestlohn stößt auch in der Wirtschaft nicht nur auf Ablehnung: In manchen Branchen klagen Unternehmer darüber, dass Konkurrenten sich im Wettbewerb dadurch Vorteile verschaffen, dass sie Dumpinglöhne zahlen und eben nicht die besseren Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Ein gesetzlicher Mindestlohn sorgt außerdem dafür, dass auch ausländische Firmen hierzulande nicht mehr die Preise unterbieten können, indem sie Billiglöhner beschäftigen.