zum Hauptinhalt
317456_0_7bb373d3.jpg
© dpa

Fall Oury Jalloh: Alles auf Anfang

Fünf Jahre nach dem Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle muss der Prozess gegen einen beteiligten Beamten neu aufgerollt werden. Warum?

Ein schrecklicher Tod. Rechtsmediziner sprechen von einem „Inhalationshitzeschock“. Oury Jalloh aus Sierra Leone erlitt ihn auf den Tag genau gestern vor fünf Jahren in einer jener Zellen eines Polizeireviers, in denen man nichts zerstören, nichts bewegen, nichts wegnehmen kann. Einsam, gefesselt auf einer mit Kunstleder überzogenen Schaumstoffmatratze. Die Füllung war in Brand geraten, der heiße Qualm fraß sich in die Lungen. Jetzt soll ein neuer Prozess Licht in das Dunkel jenes längst vergangenen Januartages bringen, der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Freispruch für den Polizisten aufgehoben, der damals über Jalloh zu wachen hatte.

Menschenrechtler und linke Gruppen feiern die erfolgreiche Revision als Sieg. Sie sehen in dem Fall Jalloh Polizeiwillkür, einige sogar einen Totschlag im Amt; der schwarzhäutige Jalloh als Rassismusopfer. Die Wahrheit soll nun nach dem Willen des BGH das Landgericht Magdeburg herausfinden. Der BGH erwartet vielleicht keine neuen Tatsachen, wohl aber eine neue Bewertung.

In Dessau wurden seinerzeit zwei Beamte freigesprochen. Polizeimeister Hans-Ulrich M. wurde fahrlässige Tötung vorgeworfen, er sollte ein Feuerzeug übersehen haben, als er den Festgenommenen durchsuchte. Hauptkommissar Andreas S., der Dienstgruppenleiter, musste sich wegen Körperverletzung mit Todesfolge verantworten, weil er den Feueralarm ignoriert haben sollte. Der Prozess, auf wenige Termine angesetzt, zog sich 2008 über Monate hin. Am Ende standen Freisprüche zweiter Klasse und ein aufgewühlter Richter Manfred Steinhoff: Er warf den Polizeizeugen Lügen vor. „Das Ganze hat mit Rechtsstaat nichts zu tun“, schimpfte er. Jetzt, nach dem Verdikt des BGH, könnte der scharfe Satz in gemilderter Form auch für das eigene Urteil gelten: Die Bundesrichter halten ihm vor, er habe das Geschehen ungenügend aufgeklärt. Und vor allem habe er nicht mögliche Schlüsse gezogen, die für eine Schuld des Angeklagten Kommissars S. sprechen könnten.

Eine Kritik, die auch Staatsanwaltschaft und Nebenkläger teilen, Angehörige Jallohs; sie hatten die Revision eingelegt. Selbst wenn sich der Kommissar wieder als unschuldig erweisen sollte, wird der Vorfall erneut diskutiert – und das Verhalten der Polizisten im ersten Prozess dazu. Nötig scheint es. Amnesty International hat an Deutschland stets wenig zu rügen – wenn aber, dann meist Polizeigewalt. Doch weil Polizisten ungern gegen Polizisten ermitteln und noch weniger gern gegen sie aussagen, sind Verurteilungen selten. Im Verfahren um den Tod des Afrikaners weckte vor allem eine Beamtin Zweifel, die ihren Vorgesetzten Andreas S. zunächst belastete, dann aber davon immer weiter abrückte.

Jalloh war mit knapp drei Promille Alkohol auf das Dessauer Revier gekommen, dazu mit Kokain und Cannabis abgefüllt, er soll Frauen belästigt und Widerstand geleistet haben, als die Polizei sich einmischte. So landete er in einer gefliesten Zelle des Reviers, und weil er getobt haben soll, fixierte man ihn. Was dann geschah, ist unklar, die Schilderungen sind widersprüchlich, aber Richter Steinhoff konnte nicht ausschließen, dass es sich so zugetragen hat: Dem Gefesselten gelang es irgendwie, ein Feuerzeug aus der Tasche zu fischen, den flammensicheren Matratzenbezug anzukokeln und die Füllung in Brand zu setzen. Auch die späte Reaktion auf den Feuermelder – die Beamten wollten zunächst nur ein „Plätschern“ aus der Zellensprechanlage vernommen haben – überzeugte das Gericht nicht von der Schuld der Angeklagten.

Der BGH hält diese Deutungen jetzt für „nicht nachvollziehbar“. Wenn Jalloh mit dem Feuerzeug den Matratzenbezug aufgeschmolzen hätte, so hätte er sich doch wohl an der Hand verbrannt und schreien müssen. Auch hätte der Feuermelder womöglich dann schon Laut geben müssen, nicht erst in den tödlichen zwei Minuten, als das Füllmaterial schmorte. Überhaupt erschien den Bundesrichtern fraglich, wie der Gefesselte an sein Feuerzeug hätte gelangen können. Und der Kommissar hätte sich auch nicht pflichtgemäß verhalten, als er den Alarm zunächst ignorierte, dann mit seinem Vorgesetzten telefonierte und schließlich mit der Begründung, er habe die Fußfesselschlüssel vergessen, auf dem Weg in die Gewahrsamszelle noch einmal kehrtmachte.

Zur Startseite