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Grünen-Politiker Volker Beck:: „Alle gesellschaftlichen Gruppen müssen Flagge gegen Antisemitismus zeigen“

Der aktuelle Nahost-Konflikt hat eine neue Welle des Antisemitismus hervorgebracht. Der Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, der Grünen-Politiker Volker Beck, hält dennoch nichts von schärferen Gesetzen, sagt er im Tagesspiegel-Interview.

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Es gibt hierzulande wachsende Proteste gegen Israels Politik mit zum Teil haarsträubenden Parolen. Wie antisemitisch ist Deutschland?

Wenn im Nahen Osten die militärischen Konflikte zunehmen, gibt es immer wieder antisemitische Wellen in Deutschland. Neu ist die Schamlosigkeit einiger Äußerungen: Da wird eben nicht nur legitime Kritik an israelischen Militäraktionen geübt, sondern die Vernichtung Israels wird gefordert, Juden werden beleidigt und sogar der Holocaust geleugnet. Und neu ist, dass sich Islamisten, Rechtsextremisten, Linke und Menschen aus der Mitte der Gesellschaft gemeinsam auf die Straße begeben.

Warum ist das so?

Dass Menschen mit familiären Bezügen in den Nahen Osten wütend sind, das ist zu verstehen. Dass einige Politiker der Linken die Problematik mancher Äußerungen nicht erkennen oder schönreden, dafür fehlt mir jedes Verständnis. Man kann Kritik an militärischen Aktionen Israels und ihrer Verhältnismäßigkeit üben. Das allerdings mit antisemitischen Untertönen zu verbinden, ist unentschuldbar.

Äußert sich hier eine Generation, die 60 Jahre von der NS-Zeit entfernt ist?

Man sollte das Problem nicht überhöhen: Hier entlädt sich kein Phänomen einer ganzen Generation. Alle gesellschaftlichen Gruppen müssen jetzt Flagge zeigen und Antisemitismus klar zurückweisen. Ich meine damit Parteien, aber auch alle zivilgesellschaftlichen Gruppen. Die beiden großen Kirchen und die vier islamischen Verbände sollten gemeinsam ein Signal setzen und deutlich machen, dass Juden in Deutschland nicht für die Politik Israels verantwortlich sind und wir uns schützend vor sie stellen.

Wie weit darf freie Meinungsäußerung gehen?

Ich halte nichts von schärferen Gesetzen oder einer Einschränkung der Demonstrationsfreiheit. Unsere Rechtslage ist ausreichend, um antisemitischen Auswüchsen entgegenzutreten. Volksverhetzung ist strafbar! Wir dürfen aber die Verantwortung für gesellschaftliche Gegenwehr gegen Antisemitismus nicht allein an Staatsanwälte delegieren.

Darf man in Deutschland die Militärpolitik Israels kritisieren, ohne in den Verdacht rechtsextremer Gesinnung zu geraten?

Natürlich darf man die Militärpolitik auch kritisieren. Was falsch ist, ist falsch, unabhängig davon, wer es tut. Wenn Israel Stellungen im Gaza beschießt und man dabei den Eindruck hat, dass unverhältnismäßig viele Zivilisten getötet werden, dann muss man das kritisieren und hinterfragen können. Aber man muss es dann auch vor dem Hintergrund tun, dass die Hamas alle Anstrengungen der israelischen Armee, Zivilisten zu schonen, systematisch hintertreibt.

Hat es in der Vergangenheit eine zu unkritische Sicht auf die Verantwortung der Palästinenser gegeben?

Es gibt Leute, die über Fehler der israelischen Regierung hinwegsehen wollen. Das ist so wenig hilfreich, wie über die Fehler der palästinensischen Führung hinwegzusehen. Armut und Leid der palästinensischen Zivilisten wird einem übermächtigen Israel gegenüberstellt. Verantwortlich ist eine so einseitige Sicht nicht.

Wie wehrt man sich gegen die Instrumentalisierung durch beide Seiten?

Indem man selber differenziert. Wir sehen die hohen zivilen Opferzahlen auf palästinensischer Seite. Aber zu einer differenzierten Bewertung gehört, darauf hinzuweisen, dass die israelische Armee sich um die Verschonung von Zivilisten bemüht und sogar Einsätze abbricht, wenn die Gefahr für Unbeteiligte zu groß sein könnte. Aber auch die extremistischen Stimmen in der israelischen Regierung, die gegen einen Waffenstillstand gestimmt haben, und die Fortsetzung des Siedlungsbaus muss man kritisieren.

Das ist die eine Seite, die israelische. Und die palästinensische?

Man muss sich ohne Wenn und Aber von der Hamas distanzieren. Die Hamas will diesen militärischen Konflikt, um ihre eigene Position in Gaza zu stabilisieren. Man kann nicht ein Ende der Bombardierung von Gaza fordern, ohne zugleich ein Ende des Raketenbeschusses von Israel zu verlangen. Nicht akzeptabel ist eine Haltung in der Art: Die Israelis sollen sich wegen dieser blöden Raketen nicht so haben, weil die israelische Abwehr sowieso alles abfängt. Wenn die Hamas mit ihrer Strategie der Instrumentalisierung der Asymmetrie des Konfliktes propagandistisch Erfolg hat, dann verschwindet ihre Bereitschaft zu einem Waffenstillstand vollends. Leidtragende sind die Menschen in Gaza, deshalb brauchen wir möglichst rasch einen Waffenstillstand. Hier muss die internationale Diplomatie auch auf die Türkei und Katar einwirken, ihren Einfluss auf die Hamas einzusetzen, um einen Waffenstillstand zu erwirken. Und danach müssen die Friedensverhandlungen wiederaufgenommen werden.

Volker Beck (53) ist Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe. Der Grünen-Politiker sitzt seit 1994 im Bundestag.

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