Politik: Alarmstufe Rot
Die SPD ist in heller Aufregung: Die Grünen geben Wahlempfehlungen für CDU-Kandidaten ab. Die Stichwahlen in NRW am Sonntag könnten die Sozialdemokraten in Turbulenzen stürzen.
Berlin - Intern wird in der SPD-Spitze mit großer Sorge auf das Flimmern in der früheren Herzkammer geblickt. Von zwei Zügen, die aufeinander zufahren, ist die Rede. Der größte SPD-Landesverband sieht hoch nervös der Kommunal-Stichwahl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag entgegen. Ausgerechnet die Hochburg Dortmund, die über 70 Jahre sozialdemokratisch regiert wurde, könnte verloren gehen. Zwar lag OB-Kandidat Thomas Westphal im ersten Wahlgang mit 35,9 Prozent vorn – weit vor CDU-Konkurrent Andreas Hollstein (25,9 Prozent).
Doch die Grünen, deren Kandidatin auf den dritten Platz kam, haben diese Woche eine Entscheidung getroffen, die das Rennen völlig offen macht. Eine Mitgliederversammlung empfahl nach Verhandlungen mit beiden Kandidaten, am Sonntag für den CDU-Bewerber zu stimmen. „In allen zentralen Konfliktpunkten gab es seitens der SPD kein Entgegenkommen“, sagt der Vorsitzende der NRW-Grünen, Felix Banaszak. „Es gibt aber kein SPD-Abo auf den Chefsessel im Rathaus, und Demokratie braucht den Wechsel. Dortmund braucht den Wechsel.“ In der SPD war die Enttäuschung groß – auch weil die Partei etwa in Bonn bei der Stichwahl die Kandidatin der Grünen unterstützt.
Im Durchschnitt nur noch 24,3 Prozent stimmten im ersten Wahlgang Mitte September für die Partei, die NRW jahrzehntelang regierte. Seither rumort es im Landesverband. Manche Genossen glauben, schon am Montag könne es zwischen dem Landesvorsitzenden Sebastian Hartmann und seinem Gegenspieler, Fraktionschef Thomas Kutschaty, zu einer Art Showdown kommen. Dann tagt der Landesvorstand. Der Ausgang dürfte darüber entscheiden, ob die SPD bei der Landtagswahl im Mai und der Bundestagswahl im September 2021 überhaupt eine Chance hat. Brisant ist: Die Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verfolgen unterschiedliche Ziele, stehen spiegelbildlich für die Zerrissenheit der Bundespartei wie der Landes-SPD.
SPD-Landeschef Hartmann streicht wie Walter-Borjans die oft von den Personen vor Ort abhängenden Erfolge heraus, die es bei der ersten Runde der Kommunalwahl durchaus gab, unter anderem in Bochum (Thomas Eiskirch), Herne (Frank Dudda) und Bottrop (Bernd Tischler) gewannen SPD-Politiker die Oberbürgermeisterwahlen gleich in der ersten Runde. Hartmann verfolgt einen pragmatischen Politikansatz: die SPD als Kümmerer-Partei. Das linke Lager im Verbund mit den Jusos verhakt sich dagegen oft in Identitätspolitik oder in Themen, die an der Lebenswirklichkeit vor Ort vorbeigehen. Walter-Borjans stimmte nach der ersten Runde bis in die Wortwahl hinein mit Hartmann überein, seine Ko-Vorsitzende Esken aber verweigerte diesem ihre Unterstützung. Esken setzt nach Informationen des Tagesspiegels auf die Gegner Hartmanns in der NRW-SPD, welche die Partei noch weiter nach links schieben wollen und mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz fremdeln.
Die Pragmatiker im Landesverband halten Kutschmatys Büroleiter Peter Marchlewski für die treibende Kraft hinter den Versuchen zur Akzentverschiebung. Marchlewski bestreitet das. Der Kursschwenk wird von den NRW-Jusos und ihrer bisherigen Chefin Jessica Rosenthal gestützt. Rosenthal will im November Kevin Kühnert an der Spitze der Bundes-Jusos ablösen. Kommunalpolitiker und Pragmatiker in der NRW-SPD fürchten, eine weitere Ideologisierung führe ins Abseits. In Bonn, wo Rosenthal seit März Vorsitzende ist, kam die SPD auf 16 Prozent. In Essen, wo Kutschaty die örtliche SPD führt, stürzte sie um fast zehn Punkte auf 24 Prozent ab.
Fast nirgends fahren Sozialdemokraten mit einem strammen Linkskurs Erfolge ein. Der Essener SPD-Vizechef Karlheinz Endruschat trat im Streit mit Kutschaty Anfang des Jahres aus, er ist der klassische Kümmerer vor Ort, er kritisierte unter anderem fehlende ehrliche Debatten in der SPD – zum Beispiel zu den Gefahren durch libanesische Clans und Fehler in der Migrationspolitik. An dieser Basis wird der Einsatz für die Aufnahme von Geflüchteten nicht nur bejubelt, viele frühere SPD-Wähler sind zur AfD übergelaufen. Immer öfter fehlen Personen, die nicht aus Akademikermilieus kommen. Und junge Leute wählen vor allem grün.
Hartmann steht für eine eigenständige Sozialdemokratie, die den Grünen nicht hinterherläuft, und eine harte Haltung beim Thema innere Sicherheit. Als eher spröder Typ entfaltet der Bundestagsabgeordnete wenig emotionale Bindewirkung. Der Konflikt zwischen ihm und Kutschaty hat das Zeug, die demonstrative öffentliche Harmonie der Bundesvorsitzenden auf eine Probe zu stellen – denn notfalls muss die Parteispitze das Problem lösen.
Axel Schäfer (68) ist ein Sozialdemokrat von Schrot und Korn, seit 18 Jahren im Bundestag, soeben hat der Bochumer erneut seine Kandidatur erklärt. „Der Landesverband NRW hat ganz klar ein Problem“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Alles habe damit angefangen, dass Hannelore Kraft hingeschmissen hat. Es folgten viele Querelen. Es gebe viele gute Köpfe, aber kaum jemand wolle noch Verantwortung übernehmen, bilanziert Schäfer. Hier zeigt sich auch der Wandel – die Grünen können sich kaum retten vor Leuten, die sich engagieren. Dass die nun in Dortmund gemeinsame Sache mit der CDU machen, bringt Schäfer in Rage. „Das ist purer Opportunismus, das ist prinzipienlos, wie die sich den Schwarzen an den Hals werfen.“
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