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Agrarminister Christian Schmidt (CSU) sieht in erster Linie die Regierung in der Frage der Waffenlieferungen in der Verantwortung.
© Thilo Rückeis

Massentierhaltung: Agrarminister plant Reformen für mehr Tierwohl

Bundesagrarminister Christian Schmidt will den Tierschutz in der Landwirtschaft verbessern. „Auch in Großställen von heute hat Tierwohl seinen Platz“, sagt der CSU-Politiker im Interview mit dem Tagesspiegel am Sonntag.

Die Regierung beschließt an diesem Sonntag die Lieferung von Waffen an die Kurden im Irak – beim Grundsatzbeschluss vor zwei Wochen war die CSU nicht dabei. Spielt Ihre Partei keine Rolle mehr in Berlin?

Die CSU ist ein vollwertiger Koalitionspartner, der in der mitberatenden Arbeitsgruppe bestens vertreten und auch in diesem Bereich ein gefragter Partner ist.

Die CSU darf also jetzt wieder mitreden, wo es nur noch um die Details geht?

Nein, wir legen die strategischen Linien mit fest. Danach geht es formal um die Anwendung des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Darüber hätte die Verteidigungsministerin zu entscheiden. Der Bundesentwicklungshilfeminister, mein CSU- Kollege Gerd Müller, ist Mitglied des Bundessicherheitsrates und auch in diesen Fragen voll dabei. Aber das Thema ist natürlich nicht nur ein formal-juristisches, sondern auch ein politisches, weshalb der Bundestag am Montag zur Sondersitzung zusammenkommt. Die CSU ist immer dabei, wenn konkrete Entscheidungen fallen. Nicht nur, weil wir etwas sagen wollen, sondern weil wir substanziell etwas zu sagen haben.

Das Parlament ist nicht dabei. Ist das eigentlich in Ordnung?

Natürlich ist das Parlament dabei! Sogar mit einer Entschließungsdebatte. Dennoch ist auch klar, dass die Entscheidung, ob Deutschland Waffen an die Kurden liefert, nicht der Bundestag zu treffen hat. Hier ist die Regierung in der Verantwortung. Aber selbstverständlich muss der Bundestag informiert werden, und er muss Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen. Deshalb wird Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag eine Regierungserklärung abgeben, so wie es Helmut Kohl oder Gerhard Schröder bei früheren, ähnlichen Entscheidungen auch getan haben.

Aber ist das, was wir da erleben, nicht ein Kurswechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik?

Den Paradigmenwechsel, von dem einige sprechen, sehe ich nicht. Es ist vielmehr eine Ausnahmesituation, wie es sie aber in der Vergangenheit schon mehrmals gab. So haben wir 1991 Israel während des Golfkriegs mit Militärmaterial unterstützt, wir haben das 2002 mit der Bereitstellung von Patriot-Luftabwehrraketen wiederholt. Wir haben damals auch ABC-Spürpanzer in Kuwait stationiert. Das hat es also immer schon gegeben.

Aber Patriots an Israel auszuleihen ist etwas anderes, als Waffen an Kämpfer zu liefern, ohne sicher zu sein, ob die nicht den Falschen in die Hände fallen!

Es ist in der Tat etwas Neues, dass wir diesmal in einer relativ unsicheren Perspektive entscheiden müssen und Waffen an militärische Gruppen geben, die nicht traditionelle Verbündete sind. Trotzdem spricht in der Abwägung des Für und Wider sehr vieles dafür, dass man diesen Schritt geht. Selbst der Papst lässt, wenn ich ihn richtig verstehe, in diesem Fall solche Abwägungen offen.

Was Schmidt über die Folgen des russischen Agrarboykotts denkt

Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sieht im Tierwohl eine politische Priorität.
Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sieht im Tierwohl eine politische Priorität.
© Thilo Rückeis

Die CSU trägt das geschlossen mit?

Ja. Für die CSU hat einerseits die humanitäre Komponente unserer Hilfe klar Vorrang. Aber in diesem konkreten Fall sollten wir den Peschmerga auch Waffen zur Verteidigung gegen die unmenschlichen IS-Terroristen an die Hand geben.

Auch auf die Gefahr hin, dass plötzlich deutsche Waffen bei kurdischen PKK- Kämpfern in der Türkei auftauchen?

Sicher, wir müssen die Wege dieser Waffen und ihren Verbleib so gut wie möglich kontrollieren. Wir müssen mit dem Irak reden. Wir tun auch gut daran, uns mit der Türkei vorab zu verständigen. Nicht jeder, der gerade vorbeikommt, bekommt eine Waffe.

Als Agrarminister haben Sie derzeit vor allem mit einer anderen Krisenregion zu tun, der Ukraine und Russland. Deutsche Bauern dürfen ihre Produkte nicht mehr nach Russland liefern. Brauchen sie Ihre Hilfe?

Deutsche Obst- und Gemüsebauern haben bislang nur wenig nach Russland exportiert, deshalb sind die direkten Folgen für unsere Bauern nicht so groß. In anderen Ländern ist das anders, etwa in Holland oder Polen. Die Erzeuger aus diesen Ländern müssen nun nach neuen Absatzmärkten suchen – das könnte auch Deutschland sein.

Werden Lebensmittel bei uns billiger?

Wenn 500 000 Tonnen polnischer Äpfel nicht mehr nach Russland geliefert werden, sondern zu uns, kann das Auswirkungen auf den deutschen Markt haben. Ich werde deshalb mit dem Lebensmitteleinzelhandel sprechen. Nicht über Preise, da kann ich mich als Minister nicht einmischen, aber ich kann an die Handelsketten appellieren, verstärkt heimische Produkte in die Regale zu nehmen. Die Kunden wünschen ja gerade auch mehr Regionalisierung. Und es ist klug, wenn der Handel auf seine verlässlichen, langjährigen Qualitätslieferanten aus Deutschland setzt.

Die EU hat Obst- und Gemüsebauern Ausgleichszahlungen zugesagt. Reicht das?

Dies wird sich zeigen. Wir haben einen Krisenmechanismus in der EU, der bestimmte Eingreifschwellen festlegt und jetzt nach der Agrarreform erstmals zur Anwendung kommt. Finanzmittel sind für das laufende Haushaltsjahr noch verfügbar. Aber Interventionen und Ausgleichszahlungen wirken nur sehr kurzfristig. Wichtiger ist die Unterstützung beim Export. Wir wollen weiter neue Märkte erschließen. Ich setze hier auch auf Absatzfördermaßnahmen.

Oder man lässt Obst und Gemüse einfach auf den Feldern verfaulen, wie die EU anregt. Ist das eine Lösung?

Nein, die Vernichtung von Nahrungsmitteln lehne ich entschieden ab! Wir müssen Lebensmittel wertschätzen.

Wie verträgt sich das mit der Massentierhaltung in Großställen?

Massentierhaltung darf kein Kampfbegriff werden. Auch in Großställen von heute hat Tierwohl seinen Platz. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, mehr für das Tierwohl tun zu wollen. Dieses Thema hat für mich Priorität. Ich möchte die gesellschaftliche Akzeptanz für die Tierhaltung steigern. Das heißt, wir müssen mit neuen Ideen und der Bereitschaft, einander zuzuhören, aufeinander zugehen. Dann kann man ökonomische und tierschützerische Belange in Einklang bringen. Deswegen werde ich nicht Knalleffekte, sondern Nachhaltigkeit herstellen.

Was meinen Sie konkret?

Für Praktiken wie das Schnäbelkürzen beim Geflügel oder das Kupieren der Schwänze bei Ferkeln suche ich gemeinsam mit Haltern, Handel, Verbrauchern und Tierschützern zeitnah nach Auswegen. Das maschinelle Töten männlicher Eintagsküken möchte ich schnellstmöglich beenden. Das Verbot der Ferkelkastration ist ja bereits beschlossen. Die erlaubten Zeiten für Tiertransporte innerhalb Europas halte ich für zu großzügig. Wir müssen auch klären, wie wir auf Sicht etwa durch Zucht verhindern können, dass Muttersauen weiterhin mehr Ferkel gebären als dann aufgezogen werden können. Das birgt Gefahren für den Tierschutz. Ein weiteres Thema werden bessere Standards bei der Stallhaltung sein. Hier will ich Best-Practice-Prinzipien einführen, also gute Beispiele zum Maßstab für die Branche machen.

Wie konkret ist das Ganze?

Ich bin in intensiven Gesprächen mit Erzeugern, dem Handel, Tierschutzverbänden und den Öko-Verbänden. Ich bemühe mich um einen breiten Ansatz und werde auch ein Gremium installieren, das diese Initiative begleiten und steuern soll. Ein erstes Konzept werde ich Mitte des Monats vorlegen. Im nächsten Jahr will ich konkrete Fortschritte haben.

Planen Sie schärfere Gesetze oder ein neues Siegel?

Erst kommen die Karotten, nur im Ausnahmefall der Stock. Ich setze zunächst auf freiwillige Verpflichtungen. So fördern wir bereits das Tierwohllabel des Deutschen Tierschutzverbandes. Was die Ställe angeht, prämieren wir Musterställe. Und der Deutsche Bauernverband hat für Bauern, die die Haltung ihrer Tiere verbessern, mit dem Handel höhere Preise vereinbart. Das sind viel versprechende Ansätze. Ergänzend bin ich auch bereit, gesetzgeberisch zu handeln, falls Freiwilligkeit nicht reicht.

Was heißt das für die Verbraucher?

Landwirtschaft darf nicht billig sein, sondern preiswert, im wahren Sinne des Wortes. Gesunde, qualitativ wertvolle Lebensmittel, bei deren Erzeugung auf das Tierwohl geachtet wird, haben ihren Preis.

Neben der Massentierhaltung ist auch der Einsatz von Gentechnik in Deutschland umstritten. In der EU spricht man über Anbauverbote. Soll ganz Deutschland gentechnikfreie Zone bleiben oder sollen das die Bundesländer selbst entscheiden dürfen?

Darüber sprechen wir nächste Woche auf der Agrarministerkonferenz. Ich finde, es hat Vorteile, wenn über Anbauverbote auf regionaler Ebene entschieden wird, aber ich bin hier wirklich ergebnisoffen. Beide Modelle setzen zunächst erfolgreiche Verhandlungen auf europäischer Ebene voraus. Die jetzt klare Linie der Bundesregierung trägt auch meine Handschrift.

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