Hammelsprung: AfD will Bundestag vorführen – und scheitert
Die AfD will sich erneut im Bundestag mit einem „Hammelsprung“ an den anderen Parteien rächen. Doch diesmal geht die Aktion nach hinten los.
Es fühlt sich ein wenig an wie ein Déjà-vu. Der Bundestag debattiert am Freitag gerade über die Gewinnung von Spitzenforschern, da entschließt sich die AfD zu einer Revanche. Die Fraktion will sich dafür rächen, dass einen Tag zuvor Mariana Harder-Kühnel, die AfD Kandidatin für das Amt der Bundestagsvizepräsidentin, abgelehnt wurde - und das schon zum zweiten Mal. Sie greift deshalb zu einem parlamentarischen Kniff. „Bitte, Herr Braun, was gibt's?“, fragt Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau den Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Fraktion, der sich gemeldet hat. „Die AfD-Fraktion zweifelt die Beschlussfähigkeit des Parlaments an“, sagt der und schaut scheinbar zerknirscht. Doch damit provoziert die AfD einen sogenannten Hammelsprung.
Anfang des Jahres hatte es schon einmal eine ähnliche Aktion gegeben. Damals war ihr Kandidat für das Parlamentarische Kontrollgremium nicht gewählt worden. Spät am Abend bezweifelte die AfD, dass genügend Abgeordnete anwesend seien, um den Bundestag beschlussfähig zu machen. Das hieß, alle Abgeordneten mussten für die Abstimmung den Plenarsaal verlassen und durch Türen, über denen „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ steht, wieder hereinkommen. Dabei wurde nicht nur abgestimmt, sondern auch gleichzeitig gezählt wie viele Abgeordnete da sind. Damit der Bundestag beschlussfähig ist, muss mindestens die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein - 355 an der Zahl. Damals waren es zu wenige, obwohl noch einige Abgeordnete herbeigeeilt waren. Die Sitzung musste abgebrochen werden, die AfD feierte das als gelungene Aktion.
AfD nimmt selbst nicht an der Abstimmung teil
Doch diesmal klappt es nicht - und das obwohl die AfD noch zu einem weiteren Trick greift. Während nämlich die anderen Abgeordneten den Saal verlassen, noch schnell Kollegen herbeitelefonieren und dann wieder hereinkommen, bleiben die Reihen der AfD-Fraktion leer. Der Phoenix-Moderator ist hörbar irritiert. „Der tiefere Sinn dieser Maßnahme erschließt sich mir nicht“, sagt er. Zahlreiche Abgeordnete der anderen Fraktionen fotografieren die leeren Sessel der AfD. Der Zweck ist eigentlich klar: Wenn die AfD-Abgeordneten fehlen, kann es eher passieren, dass der Bundestag nicht beschlussfähig ist.
Aber dann verkündet Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau das Ergebnis. „Abgegebene Stimmen 414“, sagt sie. So viel Applaus ist selten im Bundestag. Die Fraktionen klatschen, es gibt sogar Pfiffe. Der Bundestag ist beschlussfähig, die Aktion der AfD ist nach hinten losgegangen. Als die AfD-Abgeordneten wieder hereinkommen, gibt es Buh-Rufe. Und dann, nachdem Pau das gesamte Ergebnis verlesen hat, erheben sich die Abgeordneten der anderen Fraktionen, und applaudieren sich selbst.
Auf Twitter setzt sich der Streit dann fort. „Mehr Verachtung gegenüber dem Parlament geht nicht. Da wundert ihr euch ernsthaft, dass die anderen Fraktionen euch nicht ins Präsidium wählen?! Peinlich. Ekelhaft“, twittert der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser. Auch andere sind sauer, dass die AfD so eine Abstimmung beantragt und dann selbst weg bleibt. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, der selbst nicht twittert, gibt eine Pressemitteilung heraus. Darin kritisiert er noch einmal die Nicht-Wahl von Harder-Kühnel. Und erklärt: „Die Altparteien behandeln uns wie Feinde und nicht wie politische Gegner. Dafür müssen wir alle nun bis auf weiteres die Konsequenzen tragen. Wer nicht hören will, muss fühlen.“ Offenbar könnte es also künftig häufiger solche Aktionen geben.
Dürfen die anderen Fraktionen die AfD-Kandidatin ablehnen?
So absurd das alles klingt, der Hintergrund ist ernst. Tatsächlich gibt es eine Kontroverse darüber, ob es legitim ist, dass die anderen Fraktionen Harder-Kühnel nicht zur Bundestagsvizepräsidentin gewählt haben. Sie begründen das weniger mit der Kandidatin selbst, als vielmehr mit ihrer Partei - und ihrem Personal. Da wird beispielsweise Fraktionschef Gauland genannt, der die NS-Zeit als „Vogelschiss“ bezeichnete. Und Harder-Kühnel hätte als Bundestagsvizepräsidentin durchaus Einfluss: Sie würde dann Sitzungen des Bundestages leiten und könnte Ordnungsrufe verteilen - oder eben auch nicht. Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihre eigenen Parteikollegen für radikale Äußerungen zur Ordnung ruft. Dennoch steht jeder Fraktion ein Bundestagsvizepräsidentenposten zu. Und die AfD kann sich, immer wenn ihre Kandidaten nicht gewählt werden, als Opfer gerieren.
Mit ihren beiden Hammelsprüngen wollte die AfD die Bundestagsabgeordneten auch in anderer Hinsicht vorführen: Die Rechtspopulisten vermitteln gern den Eindruck, die anderen Fraktionen seien faul und würden zu wenig an den Bundestagsdebatten teilnehmen. Nur sie, die AfD, sei da eine rühmliche Ausnahme. Dabei hat die AfD schon selbst gemerkt, dass sie sich damit in eine Zwickmühle manövriert hat. Im parlamentarischen Betrieb ist es schwer möglich, an allen Debatten teilzunehmen, so dass oft nur die Fachpolitiker im Plenum anwesend sind. Man kann das schlecht finden. Aber die AfD sitzt im Glashaus: Immer wieder sind auch ihre Reihen nur spärlich besetzt. Laut einem Bericht des ARD-Magazins Kontraste fehlen bei namentlichen Abstimmungen besonders häufig AfD- und Linken-Politiker.