Wahlen im Jemen: Abschied vom Regime – auf Raten
Im Jemen wird am Dienstag ein neuer Präsident gewählt. Einziger Kandidat ist der bisherige Vizepräsident Abd Rabbu Mansour Hadi. Die Wahl ist ein pseudodemokratisches Spektakel - und dennoch könnte sie den Beginn eines neuen Zeitalters markieren.
Auf den ersten Blick scheint alles wie gehabt – ein einziger Kandidat, eine wahrscheinlich mäßige Wahlbeteiligung und ein hochprozentiges Traumergebnis. An diesem Dienstag sind die 24 Millionen Jemeniten aufgerufen, ihren bisherigen Vizepräsidenten Abd Rabbu Mansour Hadi per Akklamation für die kommenden zwei Jahre zum neuen Staatschef zu küren. Die Separatistenbewegungen im Süden und Norden trommeln zum Boykott, ein Dutzend Wahllokale ging bereits in Flammen auf. Und dennoch könnte dieses pseudodemokratische Spektakel den Jemen davor bewahren, in einem ausweglosen Bürgerkrieg zu versinken.
Mit Hadi als neuem Staatschef zieht das Land nach einem Jahr Dauerunruhen, Hunderten von Toten und ruinierter Wirtschaft einen ersten Schlussstrich unter 33 Jahre Ali Abdullah Saleh, der längsten Präsidentenherrschaft in der Geschichte des modernen Jemen. Der Nachfolger Salehs soll die aufgewühlte Bevölkerung nun durch eine zweijährige Übergangsphase steuern, einen nationalen Dialog aller politischen Kräfte organisieren, eine neue Verfassung auf den Weg bringen sowie am Ende echte Wahlen für Präsident und Parlament ausrufen. Eine Regierung der Nationalen Einheit unter Führung von Ex-Außenminister Mohammed Salem Basendua wurde bereits Ende November installiert, kurz nachdem Saleh seine Unterschrift unter den Fahrplan der Golfstaaten gesetzt hatte, dem ersten per Vertrag ausgehandelten Machtübergang des Arabischen Frühlings. Seitdem sind die 34 Kabinettsposten zwischen Regime und Opposition gleichmäßig aufgeteilt.
Anders als in Tunesien, Ägypten oder Libyen wird der Abgang des alten Regimes im Jemen damit ein Abgang auf Raten. Ex-Präsident Saleh ordnete an, seine Propagandaplakate aus dem Stadtbild von Sanaa zu entfernen und durch Bilder von Hadi zu ersetzen. Im realen Machtgefüge des Landes jedoch halten seine Regierungspartei und seine Verwandtschaft weiterhin wichtige Fäden in der Hand. Salehs Sohn Ahmed befehligt die Republikanischen Brigaden, seine Neffe Yahya Spezialeinheiten der „Zentralen Sicherheit“.
In den letzten Monaten allerdings hat sich der designierte Nachfolger Hadi auf allen Seiten Respekt verschafft, auch bei der Opposition. Der wortkarge Ex-Major gilt als Mann des Konsenses, mit dem der Jemen den diffizilen Transfer in ein Nach-Saleh-Zeitalter meistern könnte. In einer Fernsehansprache kündigte der 66-Jährige an, die Wirtschaft wiederzubeleben, auf die Separatistenbewegungen zuzugehen, radikale Reformen einzuleiten und die Terrorgruppe Al Qaida zu zerstören. „Hadi hat Unterstützung auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Er ist eine angesehene Führungspersönlichkeit mit Blick für die Zukunft“, erklärte General Ali Mohsen al Ahmar, einst Intimus von Saleh, bevor er sich vor einem Jahr mit seiner Ersten Division auf die Seite der Demonstranten stellte. Auch Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman rief die Aktivisten der Demokratiebewegung auf, für Hadi zu stimmen. Seine Wahl sei die „erste Frucht des Jugendaufstandes“, erklärte sie. Tawakkul Karman kampiert mit Tausenden anderen seit Januar 2011 in Zelten auf dem „Platz des Wandels“ nahe der Universität. Die 32-Jährige und ihre Mitstreiter fürchten, ohne die Transferphase könnte es zu einem verfassungsrechtlichen Vakuum kommen und einem totalen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung.
Was das bedeutet, davon hat Jemen in den letzten Monaten bereits einen Vorgeschmack bekommen. Immer mehr Menschen hungern, Wasser, Strom und Benzin sind knapp. Tawakkul Karman bekam vor kurzem sogar Morddrohungen von Al Qaida. In drei Städten des Landes, Zinjibar und Jaar in der Südprovinz Abyan sowie Rada südwestlich von Sanaa, haben die radikalen Kämpfer inzwischen die Macht übernommen und eine Massenflucht der Bewohner ausgelöst.
Martin Gehlen
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