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Marktplatz in Minsk, der weißrussischen Hauptstadt.
© REUTERS

Weißrussland vor der Eishockey-WM: Abhängig unabhängig

Die Regierung in Minsk braucht Gas und Geld von Moskau – die Abhängigkeit von Russland bremst auch den oppositionellen Elan im Land.

Nikolai, zum Beispiel. 21 Jahre alt, wissbegierig, doch von umstürzlerischem Elan keine Spur. Oder Andrej. Galanter Student, fließendes Englisch, ein wenig Deutsch – und derzeit mit seinem Leben in Minsk, der weißrussischen Hauptstadt, ziemlich zufrieden. Während die Ukraine in einen Bürgerkrieg rutscht, herrscht in Weißrussland schlicht Ruhe. Kurz vor der Eishockey-WM, die am Freitag in Minsk beginnt, haben Oppositionelle zwar zu Protesten gegen die autoritäre Regierung aufgerufen, laut Amnesty International wurden Aktivisten verhaftet, und ausländische Regierungsgegner durften wohl, anders als von den Behörden angekündigt, auch mit WM-Tickets nicht einreisen. Doch Massendemonstrationen muss Staatschef Alexander Lukaschenko ohnehin nicht fürchten.

Angst vor Mafia, Gewalt, Armut

Nicht nur Offizielle in Minsk, auch Beobachter aus dem Westen gehen davon aus, dass das aufständische Potenzial in Weißrussland gering ist. Das dürfte mit allerlei Sorgen in der Bevölkerung zu tun haben – Angst vor bewaffneten Konflikten wie es sie in fast allen Ex-Sowjetrepubliken gab, Angst vor steigenden Mieten, vor Arbeitslosigkeit. Denn das drohe, glauben viele, wenn Lukaschenko fällt. "Klar, besser wäre, wir wären nicht so isoliert", sagt Nikolai. "Aber das, was ich im Netz über unser Land lese, ist übertrieben." In Minsk sitzt McDonald’s schräg gegenüber einem Laden von Hugo Boss, es gibt IT-Start-ups, Kaffeehäuser, Clubs. In den Parks wird Sport getrieben, die Straßen sind sauber. „Unsere Stadt“, sagt Nikolai stolz. Der angehende Linguist bezeichnet sich selbst als jemand, der "die Opposition eigentlich ein bisschen mehr mag als die Regierung". Sein Kommilitone Andrej besteht darauf, "unpolitisch" zu sein.

Mächtige Flügelzange. Russlands Präsident Putin (r.) und Weißrusslands Machthaber Lukaschenko machen nicht nur auf dem Eis gern gemeinsame Sache.
Mächtige Flügelzange. Russlands Präsident Putin (r.) und Weißrusslands Machthaber Lukaschenko machen nicht nur auf dem Eis gern gemeinsame Sache.
© imago/ITAR-TASS

Die beiden Studenten sitzen in einer Bar in der winzigen Minsker Altstadt. Es sind wenige Häuser, die 1941 nicht von der Wehrmacht niedergebrannt wurden. Nikolai findet nicht, dass Lukaschenko der Diktator sei, als der er im Westen bezeichnet wird. Ein "Mann, der die Macht will" sicherlich, aber eben jemand, der Mafia und Korruption verhindere, die in der Ukraine und Russland zu Gewalt und Armut geführt hätten.

Weißrussen, Russen, Polen, Ukrainer

Dass Lukaschenko die Opposition unterdrückt – in der es neben Religiösen und Bürgerlichen auch Linke gibt –, bestreitet niemand. Doch die Unterstützung für seine Regierung in der Bevölkerung schätzen selbst Kritiker auf bis zu 50 Prozent. Das könnte auch damit zu tun haben, dass nirgendwo in der Sowjetunion das traditionalistisch Nationale so stark verschwunden war wie in der weißrussischen Teilrepublik. Minsk galt als sozialistische Musterstadt. Weißrussisch sprach auch auf den Dörfern nur eine Minderheit. Bis heute reden die meisten im Alltag eher Russisch, auch wenn sich nur acht Prozent als Russen bezeichnen. Neben Weißrussen gibt es vor allem Polen, Ukrainer, Tataren. Nationalistische Kämpfe wie in der Ukraine seien ausgeschlossen, glaubt Andrej.

Selbst die Opposition fürchtet um die Unabhängigkeit

Dass Lukaschenko seine Gegner im Inneren derzeit nicht fürchten muss, wird auch daran deutlich, dass selbst das Oppositionsjournal "Nascha Niwa" kürzlich sinngemäß schrieb, die Unabhängigkeit von einem aggressiven Russland habe Priorität. Denn wenn auch wenig auf ethnische Spannungen hindeutet, so hat Lukaschenkos Weißrussland ein großes Problem: Es verfügt kaum über Rohstoffe und ist von Russland abhängig, das billiges Gas liefert und günstige Kredite vergibt. Bislang galt Wladimir Putin als engster Verbündeter. Weil der russische Präsident aber im Namen des Russentums die Krim zur russischen Provinz machte, dürfte auch Lukaschenko nicht sorgenfrei an die Russen in Weißrussland denken, selbst wenn wegen der Alltagssprache und gemeinsamer Familien eine Trennung der eng verwandten Ethnien unmöglich sein dürfte. Kürzlich hat Lukaschenko betont, dass die Unabhängigkeit Weißrusslands das Wichtigste sei. Mit Blick auf die Ukraine sagte er, dass heute wieder Grenzen niedergerissen würden. Wohlgemerkt von Russland – was Lukaschenko aus oben erwähnten Gründen nur vorsichtig anspricht.

Ohnehin könnten Gas und Kredite bald ausbleiben. Denn die Minsker Regierung weigert sich, die von Moskau geforderten Privatisierungen der Staatsindustrien zu starten. Putin hatte genau das zur Bedingung für neue Kredite gemacht. Russische Oligarchen haben seit langem die weißrussischen Raffinerien und Kaliwerke im Blick. Weil Putin letztlich das Sagen hat, wird Lukaschenko wohl noch im Mai wie geplant den Vertrag über die eurasische Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan unterschreiben.

Hannes Heine

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