Analyse zum US-Schuldenstreit: Abgeordnete streiten um Schuldenlimit
Ein erbittertes Kräftemessen lähmt die USA. Schulden erhöhen oder Ausgaben kürzen – Republikaner und Demokraten können sich nicht auf eine gemeinsame Lösung einigen. Warum sind die Positionen so verhärtet?
Ein erbittertes Kräftemessen lähmt die USA. Schulden erhöhen oder Ausgaben kürzen – bisher gibt es keine Lösung zwischen Demokraten und Republikanern, die diese beiden Positionen vereint. Dabei wird die Zeit knapp. Zum 2. August droht den USA die Zahlungsunfähigkeit.
Was sind die Ursachen für die hohen
Schulden?
Der Schuldenberg ist seit 1980 kontinuierlich gewachsen, besonders stark seit dem Amtsantritt des republikanischen Präsidenten George W. Bush. Als der Demokrat Jimmy Carter das Amt 1981 an den Republikaner Ronald Reagan übergab, hatten die USA rund eine Billion Dollar Schulden. Heute sind es 14,3 Billionen. Unter Reagan und seinem republikanischen Nachfolger Bush senior war die Verschuldung bis 1992 auf vier Billionen Dollar gewachsen, unter dem Demokraten Bill Clinton auf knapp sechs Billionen. Doch als Clinton im Januar 2001 aus dem Amt schied, hatte sich der Anstieg der Schulden deutlich abgeflacht. Der laufende Haushalt schloss mit einem Überschuss ab. Damals bestand die Aussicht, die Schulden binnen eines Jahrzehnts komplett abzuzahlen.
Unter Bush geschah zweierlei. Er hatte versprochen, die Steuern zu senken – in der Hoffnung, dadurch ein höheres Wirtschaftswachstum auszulösen und dem Staat trotz niedrigerer Steuersätze in der Summe gleichbleibende oder sogar steigende Einnahmen zu ermöglichen. Und er wollte die Staatsausgaben kürzen. Tatsächlich brach die Konjunktur drei Mal ein. Noch unter Clinton platzte die sogenannte IT-Blase, die auf ein rasches Wachstum der Internetwirtschaft gesetzt hatte. In der Folge sanken die Steuereinnahmen. Im September 2001 löste der Terrorangriff auf New York weltweite Verunsicherung und eine neue Rezession aus. 2008 folgte die globale Finanzkrise, als das Spekulationsgeschäft mit Immobilienkrediten zusammenbrach. Parallel konnte Bush sein Versprechen geringerer Staatsausgaben nicht erfüllen. Er führte Kriege in Afghanistan und im Irak. Die Militärausgaben verdoppelten sich. Und er schuf ein riesiges Ministerium für Heimatschutz. Er baute auch die Ansprüche der Senioren auf eine staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung im Alter aus. Als die Finanzkrise Banken, Versicherungskonzerne und Autofirmen bedrohte, beschloss der Kongress noch unter Bush Rettungsprogramme im Wert mehrerer hundert Milliarden Dollar. Als Bush im Januar 2009 an Obama übergab, waren Amerikas Schulden auf zehn Billionen Dollar gewachsen.
Obama setzte Bushs Kurs zur Rettung von Konzernen fort und ließ den Kongress ein 800 Milliarden Dollar teures Konjunkturprogramm beschließen. Seine Ankündigung, die Steuererleichterungen für die Reichsten zu beenden, scheiterte am Widerstand im Kongress. Wegen der Folgen der Wirtschaftskrise liegen die Steuereinnahmen bis heute deutlich unter den Ausgabenverpflichtungen, die der Kongress beschlossen hat. Jedes Jahr kommen derzeit etwa 1,3 Billionen Dollar neue Schulden hinzu – als Differenz zwischen Steuereinnahmen und Staatsausgaben. Die unter Obama beschlossene Gesundheitsreform macht sich bisher im Budget noch nicht bemerkbar, weil die zentralen Bestimmungen erst in den kommenden Jahren in Kraft treten.
Welchen Rückhalt haben Ausgabenkürzungen oder Einnahmeerhöhungen im Volk?
Die Meinungsumfragen sind widersprüchlich. 78 Prozent der Bürger sind entweder „sehr besorgt“ oder „besorgt“, dass der Staat nach einer Erhöhung der Schuldenobergrenze erst recht mehr Geld ausgeben wird, als er einnimmt – und sind deshalb gegen die Anhebung. Zugleich sind 74 Prozent „sehr besorgt“ oder „besorgt“, dass die Verweigerung der Anhebung zu einer Finanzkrise führt und dem Land schadet. Vor die Alternative gestellt, was sie mehr fürchten, sagen 47 Prozent, die Anhebung der Schuldenobergrenze mache ihnen mehr Angst. 42 Prozent sagen das über die Insolvenz.
Was wollen die Republikaner genau, warum sind sie in ihren Positionen so zerrissen?
Unter den Republikanern im Kongress gibt es drei Hauptströmungen. Die Moderaten um Parlamentspräsident John Boehner wollen einen Kompromiss schließen: möglichst hohe Kürzungen bei den Ausgaben, dazu keine Erhöhungen der Steuersätze, aber über die Streichung von Abschreibungsmöglichkeiten lassen sie mit sich reden. Boehner und Obama hatten sich auf ein Paket geeinigt, dass auf zehn Jahre gerechnet vier Billionen Dollar einbringt, wobei drei Viertel auf Kürzungen bei den Ausgaben und ein Viertel auf höhere Staatseinnahmen entfallen.
Da möchte der rechte Parteiflügel nicht mitmachen. Die mehr als 80 neuen Abgeordneten aus den Reihen der „Tea Party“ sagen, auch die Streichung von Abschreibungsmöglichkeiten sei eine Steuererhöhung. Auf ihren Druck hin musste Boehner den Kompromiss mit Obama aufgeben und verkünden, dass es dafür keine Mehrheit im Kongress gebe. Ihr Wortführer ist Eric Cantor, die Nummer zwei im Abgeordnetenhaus. Ihm wird nachgesagt, er wolle den Streit nutzen, um Boehner zu stürzen und selbst Parlamentspräsident zu werden.
Eine dritte Gruppe um den republikanischen Führer im Senat, Mitch McConnell, sieht folgende Notlösung, wie man die Schuldenobergrenze erhöht, ohne dass die Republikaner dafür stimmen müssen. Der Kongress soll dieses Recht an den Präsidenten übertragen. Dann kann Obama allein höhere Schulden beschließen. Die Republikaner werden im Kongress dagegen stimmen. Aber ihre Ablehnung wird nicht wirksam, weil der Präsident sein Veto einlegt.
Was passiert, wenn bis zum 2. August keine Lösung erreicht wird?
Wird die Schuldengrenze nicht angehoben, dürfen die USA keine zusätzlichen Schulden mehr machen. Das würde nicht zwangsläufig die Zahlungsunfähigkeit für jeden einzelnen Ausgabenposten bedeuten. Die Regierung kann dann jedoch nur das Geld ausgeben, das an Steuern hereinkommt und müsste entscheiden, wofür sie es verwendet: Rentenschecks oder Zinszahlungen oder Sozialleistungen. „Die USA werden alles daran setzen, dass es nicht zu einem Zahlungsausfall kommt“, sagt Nils Jannsen, Experte für die Einschätzung der konjunkturellen Lage in den USA am Institut für Weltwirtschaft in Kiel.
Bereits eine geringfügige Abstufung der US-Anleihen in internationalen Ratings, wie sie zum Beispiel die Ratingagentur Moody’s androht, hat teure Folgen. Aktuell gelten US-amerikanische Staatsanleihen als absolut sicher. „Wenn die Anleihen abgestuft werden, müssen die USA deutlich höhere Zinsen zahlen“, sagt Jannsen. Viele Pensionsfonds und Versicherungen müssten ihre Anleihen verkaufen, da sie nur in Papiere mit höchster Bonität investieren dürfen. Dies würde die Situation weiter zuspitzen. Sollte infolge solcher Entwicklungen letztlich doch noch der Zahlungsausfall eintreten, dann wäre dies eine „unvorstellbare Erschütterung des Finanzmarktes“. Eine schlimme Finanzkrise könnte folgen.