Andrea Nahles im Kampfmodus:: "Ab morgen kriegen sie in die Fresse!"
Morgens saß sie noch im Kabinett, am Mittag wurde sie zur neuen SPD-Fraktionschefin gewählt. Und kündigte einer harte Gangart gegen die Union an.
Die Umstellung vom Job einer Ministerin in der Regierung Merkel zur Oppositionsführerin gegen eine Regierung Merkel scheint bei Andrea Nahles ziemlich flott zu gehen. Am Mittwochmorgen nahm die SPD-Arbeitsministerin noch an der Kabinettssitzung teil, am Mittag war sie schon mit 90 Prozent zur neuen Vorsitzenden der geschrumpften SPD-Bundestagsfraktion gewählt und bat um Entlassung aus dem Ministeramt. Auf die Frage, wie sie sich nach ihrer letzten Kabinettssitzung mit den Unionskollegen fühle, antwortete die 47-Jährige salopp: "Ein bisschen wehmütig – und ab morgen kriegen sie in die Fresse!"
Kampfeslustig soll nach den Vorstellungen von Nahles auch ihre Fraktion in der neuen Legislaturperiode sein. Die SPD-Abgeordneten hätten Freude daran, die Oppositionsrolle anzunehmen und würden eine "sehr leidenschaftliche, sehr intensive Oppositionsarbeit" leisten, kündigte sie an. Im Fokus der Auseinandersetzung werde für die SPD nicht die AfD, sondern die sich neu bildende Regierung stehen. Die SPD erwartet, dass eine Jamaika-Koalition unter Führung von Angela Merkel zustande kommt.
Der Personaltausch an der Spitze der Fraktion sei "der Beginn eines Erneuerungsprozesses", bei dem es auch um die Partei gehe, sagte Nahles. Sie wolle sich Zeit nehmen, "die Gründe zu suchen, was denn eigentlich jetzt schiefgelaufen ist". Als Themen nannte die scheidende Arbeitsministerin den "digitalen Kapitalismus", der die soziale Marktwirtschaft infrage stelle, wenn er keine Steuern zahle, sowie die Abkoppelung von ländlichen Regionen und das Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Die SPD werde sich im Bundestag zudem als die eigentliche Europapartei erweisen. Nahles lobte in diesem Zusammenhang die Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für die EU: "Das ist ganz in unserem Sinne."
Die neue Vorsitzende begreift ihre Fraktion als Kraftzentrum der Sozialdemokratie. SPD-Chef Martin Schulz hatte die Führung der Abgeordneten ursprünglich selbst übernehmen wollen, musste aber nach dem 20,5-Prozent-Desaster vom Wahlsonntag einlenken und abgeben. Spannungen zwischen der selbstbewussten neuen Fraktionschefin und dem in seiner Autorität massiv geschwächten SPD-Vorsitzenden werden in der Partei erwartet. Zur künftigen Zusammenarbeit mit Schulz sagte Nahles lediglich: "Das werden wir jetzt zu klären haben."
Dass sie auch nach innen Autorität beansprucht, machte die frühere Juso-Chefin und SPD-Generalsekretärin nach ihrer Wahl deutlich. Von all ihren Vorgängern im Amt habe sie Peter Struck am meisten geprägt, sagte sie: Struck habe das Parlament, die parlamentarische Debatte und die Parlamentarier selbst ernst genommen. Nahles fügte hinzu: "Und er hat für Disziplin gesorgt."
Vor der Entscheidung für Nahles hatte es Streit um den Posten des künftigen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Fraktion (PGF) gegeben. Schulz konnte seinen Vorschlag Hubertus Heil nicht durchsetzen, weil der "Seeheimer Kreis" vom rechten Parteiflügel sich querstellte und mit Carsten Schneider einen seiner Sprecher für das Amt vorschlug. Nach Drohungen und komplizierten Verhandlungen erklärte sich Heil bereit, seine Funktion als SPD-Generalsekretär bis zum SPD-Parteitag Anfang Dezember weiter auszuüben. Dort will er sich aber nicht erneut bewerben. Wohl auch im Lichte dieser Vorgeschichte nannte der scheidende Fraktionschef Thomas Oppermann das gute Ergebnis seiner Nachfolgerin einen "großen Vertrauensbeweis" der 152 anwesenden SPD-Abgeordneten.
Der Fraktionsvorstand hatte am Dienstag einstimmig empfohlen, den Thüringer Schneider zum PGF zu wählen. In der Fraktion musste der Haushalts- und Finanzexperte aber einen Dämpfer hinnehmen und erhielt nur 77 Prozent der Stimmen. Nahles sprach anschließend von einem "stabilen Ergebnis". Intern wurde das schlechtere Abschneiden des 41-Jährigen auch damit erklärt, dass beide Wahlgänge entgegen gängiger Praxis gleichzeitig abliefen. Getrennte Wahlgänge übten nach Konflikten disziplinierende Wirkung aus, weil die Flügel darauf achteten, ob Kandidaten von allen breit gestützt würden und auf Ergebnisse reagieren könnten.