Kampf gegen Coronavirus in der Türkei: 5000 Mekka-Pilger müssen in Quarantäne
Türkische Behörden ordnen Quarantäne nun auch für Mekka-Heimkehrer an. Studentenwohnheime wurden geräumt, um Pilger dort unterzubringen.
Arbeiter in Schutzanzügen und Atemmasken versprühen Desinfektionsmittel auf den Straßen von Istanbul, Fußballspiele werden in leeren Stadien ausgetragen, Schulen und Universitäten sind geschlossen, die Flugverbindungen mit neun europäischen Staaten - darunter Deutschland und Österreich - wurden gekappt: Auch die Türkei kämpft gegen das Coronavirus.
Doch während sich das Land von Europa abschottet, wächst die Furcht, dass Mekka-Pilger das Virus aus Nahost einschleppen. Rund 21.000 Türken nahmen nach Regierungsangaben in den vergangenen Wochen in Saudi-Arabien an der Umra teil, der muslimischen Pilgerfahrt nach Mekka außerhalb der Hadsch-Saison. Rund drei Viertel von ihnen sind inzwischen wieder zu Hause, wo sie traditionell von Verwandten, Nachbarn und Lokalpolitikern besucht und begrüßt werden.
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Bisher hatte die Regierung lediglich an die Wallfahrer appelliert, sich nach der Heimkehr freiwillig selbst zu isolieren, doch der Aufruf wurde offenbar ignoriert. In den sozialen Medien kursieren viele Fotos, die Politiker und Honoratioren nach ihrer Rückkehr von der Umra mit Besuchergruppen zeigen. Kritiker beklagen, die Regierung der islamisch geprägten Partei AKP lasse die Pilger aus religiös-ideologischen Gründen gewähren.
Saudi-Arabien hat wegen der Virus-Gefahr die Umra inzwischen abgebrochen. Vorübergehend war die die Große Moschee in Mekka, das Ziel von Millionen Pilgern aus aller Welt, geschlossen. Am Wochenende gab Saudi-Arabien die Einstellung des internationalen Flugverkehrs für zwei Wochen bekannt.
Regierung ordnet für 5000 Heimkehrer Quarantäne an
Gemessen an den saudischen Maßnahmen wirken die bisherigen Appelle der türkischen Regierung an die Pilger sehr zurückhaltend. Die Pilger stellten ein großes Risiko dar, warnt der Oppositionsabgeordnete Ali Seker. Der im Berliner Exil lebende Journalist Can Dündar warf der Regierung auf Twitter vor, mit Menschenleben zu spielen.
Offenbar unter dem Eindruck der wachsenden Kritik schalteten die Behörden am Sonntag plötzlich um und ordneten für die letzten 5000 der heimkehrenden Pilger eine 14-tägige Quarantäne in Studentenwohnheimen in Ankara und im zentralanatolischen Konya an. Die Internierung der Wallfahrer kam so überraschend, dass die Studenten mitten in der Nacht aus den Betten geholt und aus ihren Zimmern geworfen wurden.
Sie müssen jetzt zu ihren Eltern reisen oder sich anderswo eine Bleibe suchen. Am Sonntag wurden mindestens fünf Flugzeuge mit Pilgern in Ankara erwartet. Laut Medienberichten werden die Passagiere der Pilger-Flugzeuge noch an Bord auf Fieber und andere Symptome hin untersucht.
Ob eine Weiterverbreitung des Virus damit verhindert werden kann, ist ungewiss. Nach offiziellen Angaben zählt die Türkei bisher erst sechs Corona-Fälle; die Regierung führt die niedrige Zahl auf eine rasche und rechtzeitige Reaktion zurück, die ihr sogar ein Lob der Weltgesundheitsorganisation einbrachte.
Andere Maßstäbe, wenn es um die Religion geht
Doch diese glänzende Bilanz ist nun in Gefahr. Gesundheitsminister Fahrettin Koca teilte in der Nacht zum Sonntag mit, unter den Infizierten sei ein Mekka-Pilger. Viele Türken nehmen ohnehin an, dass die tatsächliche Zahl der Patienten weit höher liegt als von der Regierung zugegeben.
Der laxe Umgang mit den Mekka-Pilgern dürfte das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Regierungsangaben weiter erschüttern, zumal die verspätete Quarantäne für die Wallfahrer nicht das einzige Beispiel dafür ist, dass die Behörden im Kampf gegen das Virus die Handbremse anziehen, wenn es um religiöse Zusammenhänge geht.
So weigert sich das staatliche Religionsamt bisher, die Freitagsgebete in den Moscheen abzusagen, obwohl dabei teilweise mehrere tausend Menschen zusammen sind – und obwohl keine anderen Veranstaltungen mit ähnlichen Menschenmengen stattfinden dürfen. Der regierungskritische Wirtschaftswissenschaftler Mustafa Sönmez machte am Sonntag seinem Ärger auf Twitter Luft: „Die größte Corona-Gefahr für dieses Land ist das Religionsamt.“