Klimaflüchtlinge: "50 bis 60 Staaten verschwinden"
Nur selten lässt sich die Umweltsituation als einziger oder wichtigster Migrationsgrund nachweisen. Gibt es schon bald 200 Millionen Flüchtlinge wegen des Klimawandels?
„Wir müssen damit rechnen, dass in den kommenden 100 Jahren 50 bis 60 souveräne Staaten von der Landkarte verschwinden werden, weil der Meeresspiegel steigt“, sagt Koko Warner. Sie ist bei der UN-Universität in Bonn Abteilungsleiterin Umwelt und Migration. Bis 2050 könnten mehr als 200 Millionen Menschen auf der Flucht vor den Folgen des Klimawandels sein. Die ersten Opfer sind kleine Inselstaaten wie Tuvalu oder Kiribati, „die schon heute von der schlimmen Umweltsituation betroffen sind“. Diese Nachricht ist auch bei der Europäischen Union und den UN-Klimaverhandlungen angekommen. Bei der Verhandlungsrunde in Accra im August wurde das Thema zum ersten Mal vorgetragen. Eine Lösung erwartet Warner bis zum Abschluss der Verhandlungsrunde in Kopenhagen Ende 2009 zwar nicht, aber zumindest eine „Überschrift“. „Was genau dort stehen soll, müsste dann in den Folgejahren ausverhandelt werden.“ Die Chancen dafür stünden gut, sagt Koko Warner.
Die EU fördert derzeit ein Forschungsprojekt, das mehr Klarheit über die Gründe zur Migration bringen soll. Koko Warner gehört zu der Forschergruppe, die von Haiti über Mosambik, Ägypten, China und Tuvalu in 22 Ländern Intervies mit Vertriebenen geführt hat, die direkt aus Umweltgründen ihre Heimat verlassen haben oder wegen Großprojekten, etwa Dammbauten, umgesiedelt wurden. Nun liegen erste Ergebnisse vor.
Nur selten lässt sich die Umweltsituation als einziger oder wichtigster Migrationsgrund nachweisen. Doch klar ist auch, dass wiederkehrende Wetterkatastrophen, Großprojekte sowie langsame ökologische Verschlechterungen wie etwa Bodenerosion oder der Verlust der Bodenfruchtbarkeit durch Versalzung dazu beitragen, sich für einen Ortswechsel zu entscheiden. Die Autoren halten „Auswanderung für eine mögliche Anpassungsstrategie an den Klimawandel“, allerdings nur für diejenigen, die entsprechende Ressourcen haben. In einigen asiatischen Ländern wie Vietnam und Bangladesch stellten sie fest, dass Menschen, die wiederholt Wetterkatastrophen ausgesetzt waren, ein höheres Risiko tragen, Opfer von Menschenhändlern zu werden, die sie in die Prostitution oder Sklavenarbeit verkaufen.
Die Fallstudien sind schwer vergleichbar. Doch an vielen Orten sind ökologische Verschlechterungen der Grund, warum Menschen ihre ökonomische Lebensgrundlage verlieren und zunächst Familienmitglieder als Saisonarbeiter anderswo hinschicken, oder innerhalb ihres Landes nach einer neuen Lebensgrundlage suchen. Aus diesen zunächst internen Migranten können in einem zweiten Schritt dann aber auch Auswanderer werden, die es nach Europa oder die USA zieht. „Migration ist ein komplexer Vorgang“, sagt Koko Warner. Deshalb ist es schwierig, „Klimaflüchtlinge“ von anderen Migranten abzugrenzen. Zudem sind politische Flüchtlinge über die Genfer Konvention geschützt. Deshalb sprechen die Forscher von „umweltbezogenen Migranten“, um keine völkerrechtlichen Probleme aufzuwerfen. Denn „die betroffenen Menschen brauchen Hilfe“, sagt Warner.